Rainald Franz in der Keramiksammlung des Mak mit einer Vase des zeitgenössischen Keramikers Marino Moretti.

Foto: Nathan Murrell

Eng, aber äußerst charmant. Das Büro von Rainald Franz hätte das Zeug zu einer Filmlocation. Unter Platzangst dürfte das Kamerateam allerdings nicht leiden. Die Kammer unter dem Dach des ehrwürdigen Hauses gleicht einer abgeschrägten Schuhschachtel. In ihr türmen sich in Regalen Bücher, Kataloge, Ordner und allerlei Schnickschnack.

Ein Ventilator surrt, und der Besucher findet tatsächlich ein Plätzchen, auf dem er sich niederlassen kann. Er staunt ob der vielen Dinge um ihn. Seltene Vasen sind nicht zu sehen. Und das ist wohl auch besser so.

STANDARD: Sie sind im Mak unter anderem für die Keramiksammlung zuständig, die über 25.000 Objekte umfasst. Was fasziniert Sie an diesem Bereich?

Rainald Franz: Keramik ist ein Urmaterial. Wir haben das Glück, hier im Haus eine Sammlung zu haben, die über 160 Jahre aufgebaut worden ist. Sie gibt einen Querschnitt durch das, was österreichische Keramik ist, von den Anfängen im Mittelalter bis heute.

STANDARD: Gut, aber was fasziniert Sie am Material selbst?

Franz: Ich bin mütterlicherseits mit Keramik infiziert worden, wenn man so will. Meine Mutter hat sich viel mit dem Material beschäftigt und sogar ein Buch über Kachelöfen geschrieben. Das Faszinierende an dem Werkstoff liegt in der Tatsache, dass er überall vorhanden ist. Wenn man will, kann man in den Garten gehen und schauen, ob man mit der Erde, die dort vorkommt, arbeiten kann.

STANDARD: Und es geht weiter bis zum Einsatz des Materials in der Raumfahrt ...

Franz: So ist es. Keramik ist ein unglaublich kulturprägendes Material.

STANDARD: Der Boom in Sachen Keramik in all seinen Ausformungen ist kaum zu bremsen. Wie erklären Sie sich das?

Franz: Es existiert ein sehr großes Bedürfnis nach Haptik und nach Auseinandersetzung mit Materialien, was natürlich von unserer hyperdigitalisierten Gesellschaft herzuleiten ist. Und das ist ein großes Thema, das auch in der Kulturphilosophie wieder bearbeitet wird. International bekannte Künstler wie Erwin Wurm sind ganz bewusst wieder in die Keramik "gegangen". Er selbst sagt, "mit dem Material habe ich wieder Kontrolle über meine Arbeit bekommen". Das heißt, wir sprechen von einem Material, das ganz persönliche Ausdrucksweisen möglich macht.

STANDARD: Könnte man nicht genauso gut schnitzen?

Franz: Sicher, es herrscht ja allgemein ein Trend zur haptischen Auseinandersetzung mit Dingen und somit auch hin zum Handwerklichen. Angefangen hat das als Bobo-Trend, inzwischen handelt es sich um etwas, das Kultur definiert.

STANDARD: Der international umtriebige Designer und Architekt Matteo Thun war einer der Letzten, die an der Wiener Universität für angewandte Kunst auch Keramik unterrichteten. Warum gibt es, trotz anhaltenden Booms, keinen Lehrstuhl für Keramik an österreichischen Hochschulen?

Franz: Das ist absurd. Es gibt auch nur einen österreichischen Keramikpreis. Meiner Meinung nach ist das eine verfehlte Ausbildungspolitik. Unser Schwesterinstitut, die Universität für angewandte Kunst, ist ja keine Kunstakademie, sondern eine Universität für angewandte Kunst, wie der Name schon sagt. Es gibt dort noch die Werkstätten mit den Brennöfen, und die Rufe werden immer lauter, sich mit dem Material wieder stärker auf Ausbildungsebene auseinanderzusetzen. Wir hoffen, dass das kommende, neue Rektorat auf diese Rufe hört und einen Lehrstuhl für Keramik installiert. Ich bin guter Hoffnung.

STANDARD: Es fällt auf, dass vor allem schräge, verformte Objekte en vogue sind. Die findet man auch zuhauf auf Social-Media-Plattformen. Woher stammt diese Abkehr von klassischen ästhetischen Idealen?

Franz: Wie bereits erwähnt, es handelt sich um das Bedürfnis nach Ausdruck, das sich etabliert. Durch technische Möglichkeiten ist es auch in der Keramik möglich, bis zur Perfektion vorzudringen. Ich sage nur 3D-Druck. Die andere Seite sucht eben ganz bewusst nach dem Imperfekten und nach einer Offenheit der Form.

STANDARD: Nimmt die Keramik diesbezüglich eine Sonderstellung ein?

Franz: Auf alle Fälle. Und diese expressive Tendenz lässt sich bereits bei den Entwürfen von Keramikerinnen in der Wiener Werkstätte erkennen. Das hat sich dauerhaft etabliert, denken Sie zum Beispiel an Objekte von Vally Wieselthier oder Susi Singer.

STANDARD: Der Schriftsteller und Töpferguru Edmund de Waal sagte in einem Interview: "Eines der fabelhaften Dinge im Zusammenhang mit Porzellan ist, dass man Perfektion anstrebt, aber stets scheitert."

Franz: Es ist immer das Scheitern, das im Zusammenhang mit Keramik inhärent ist. Man weiß nie, was herauskommt, wobei das Scheitern auch sehr faszinierend sein kann.

STANDARD: Wie schaut es denn mit Ihrem Töpfertalent aus?

Franz: Ich bin ein unfähiger Autodidakt. All meine dilettantischen Objekte sind im Müll gelandet. Mein Part liegt in der Interpretation und Unterstützung. Aber es ist wichtig, die handwerkliche Umsetzung zu verstehen, um keramische Objekte in ihrer Einzigartigkeit wertschätzen zu können.

STANDARD: Zurück zum Anfang, zu den 25.000 Objekten des Mak: Gibt es einen Gegenstand, den Sie eines Tages gern in die Pension mitnehmen würden?

Franz: Nein, ich bin sehr demütig und happy, diese Sammlung eine Zeitlang betreuen zu dürfen, sie publik zu machen, sie zu bereichern etc. Mir geht es in erster Linie um die Aufarbeitung ungehobener Schätze. Ich könnte mich auch gar nicht für ein Objekt entscheiden.

STANDARD: Haben Sie schon einmal ein Museumsstück fallen lassen?

Franz: Bislang noch nicht. Wir hätten allerdings für so einen Fall eine gute Abteilung für Restaurierung. Aber ich klopfe sicherheitshalber einmal auf Holz. (Michael Hausenblas, RONDO, 10.9.2022)

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