Schon jetzt existieren diverse Roboter, deren Hände und Arme präzise Bewegungen durchführen können. Ein Sicherheitsproblem bleibt, dass diese starr und wenig biegsam sind.

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Roboter sollen in Zukunft flexibel werden – auch im wörtlichen, physikalischen Sinn: Denn für bestimmte Anwendungen ist es nützlich, wenn die mechanischen Arme, Greifinstrumente oder Werkzeuge biegsam sind. Wenn etwa ein Roboterarm mit einem Menschen interagiert, muss das System so konzipiert sein, dass er diesen nicht verletzen kann.

Besser wäre es also, dass sich der mechanische Arm bei Kontakt verformt, als dass ein menschlicher Knochen gebrochen wird. Auch im medizinischen Bereich könnten die biegsamen Roboterinstrumente von Vorteil sein. Operationsroboter, die Gewebe behutsam aufspreizen oder enge Kanäle präzise durchfahren, würden wertvolle Dienste leisten.

Digitaler Zwilling

Eine von Maschinen "bewusst" eingesetzte Flexibilität macht die Steuerung der mechanischen Systeme aber um ein Vielfaches komplexer. Eine Zukunftsvision ist, dass das Agieren des Roboters in einem "digitalen Zwilling" präzise abgebildet wird.

Diese Eins-zu-eins-Modellierung soll nicht nur jede Bewegung des Roboters berechnen. Mittels Sensoren am physikalischen Gerät sollen Modellierung und Realität auch ständig miteinander verglichen werden, um Abweichungen zu erkennen und Optimierungen durchzuführen. Besteht der Roboter aus flexiblen Strukturen, wird diese Echtzeitsimulation entsprechend aufwendiger.

Berechnung in Echtzeit

Karin Nachbagauer beschäftigt sich mit Systemen dieser Art, sowohl als Professorin für Angewandte Mathematik an der FH Oberösterreich in Wels als auch an der TU München, wo sie Gastprofessorin für Angewandte Mechanik ist. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen in Österreich, Deutschland und Belgien arbeitet sie an einem Projekt, in dem ein digitaler Zwilling eines Industrieroboters entwickelt wird, der zum Teil aus biegsamen Leichtbauelementen besteht.

"Die größte Herausforderung ist, die flexiblen Elemente in einfacher Weise mathematisch zu beschreiben, um sie steuern zu können", erklärt Nachbagauer. "Die Gleichungen müssen schnell lösbar sein, denn die Bewegungen sollen in Echtzeit berechnet werden."

Zur Veranschaulichung: Ein starrer Körper, beispielsweise ein Würfel, verfügt über sechs mögliche Bewegungsrichtungen, sogenannte Freiheitsgrade. Entlang jeder räumlichen Rotationsachse kann man ihn in die eine oder in die andere Richtung drehen. Ein frei biegsamer Körper, der verschiedene Formen annehmen kann, kann dagegen über tausende Freiheitsgrade verfügen, was die mathematische Berechnung um ein Vielfaches verkompliziert.

Kampf gegen Gleichungen

"In der Praxis, etwa wenn man die Verformung eines Bauteils im Auto berechnet, versucht man deshalb die Zahl der Freiheitsgrade zu verringern und auf Verformungen zu fokussieren, die relevanter sind und öfter vorkommen", sagt Nachbagauer. "Der neue Ansatz sollte allerdings möglichst viele Freiheitsgrade berücksichtigen."

Doch dadurch ergeben sich Systeme aus tausenden Gleichungen, die kaum schnell lösbar sind. Die Forschenden arbeiten deshalb an einer Methode, die aus dieser großen Optimierungsaufgabe eine entsprechend kleinere macht. In der Mathematik hilft dabei der Bereich der dualen oder adjungierten Probleme.

"Ganz allgemein gesprochen geht man dabei davon aus, dass die letztendliche Lösung des sehr komplexen Gleichungssystems auch die Lösung eines kleineren Gleichungssystems sein kann", erklärt Nachbagauer. "Bei unserer Herangehensweise suchen wir nach diesem einfacheren mathematischen Ansatz, der das Problem aber ebenfalls genau beschreiben kann. Diese Methode wollen wir ganz allgemein für Mehrkörpersysteme herleiten, sodass sie beliebig nutzbar ist."

Simulationssoftware

Die Erkenntnisse sollen auch in die Simulationssoftware Free Dyn einfließen. Das Werkzeug, das in der Lehre an der FH Oberösterreich eingesetzt wird, kann mechanische Mehrkörpersysteme jeder Art – vom Auto bis zum Roboter – durchgehend berechnen. Roboterarme können damit zur Optimierung der Bewegungsabläufe angesteuert werden, womit das Tool auch zum digitalen Zwilling eines physischen Systems werden kann.

Gefördert vom Land Oberösterreich, soll das frei zugängliche Simulationswerkzeug auch Klein- und Mittelbetrieben helfen, die nach einem Einstieg in die Industrie 4.0 ohne kostenintensive Lizenzierungen suchen.

Mathematikerinnen gefragt

Im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit ist es Nachbagauer wichtig, den Studierenden zu vermitteln, dass Mathematik das zentrale Mittel ist, um Probleme im Maschinenbau zu lösen. "Hinter jeder bunten Visualisierung eines Bauteils steht die Mathematik. Sie ist kein elitäres Wissen, sondern ein universales Werkzeug, das alle verwenden können", betont sie. Die unbedingte Anwendbarkeit der Mathematik zu vermitteln, anstelle eines abstrakten Formalismus, ist für die Mathematikerin auch der Schlüssel, um in der Schule mehr junge Menschen – und dabei vor allem junge Frauen – für dieses Fachgebiet zu begeistern.

Auch Nachbagauer selbst ist in der aktiven Nachwuchsförderung engagiert: "Wir haben beispielsweise eine Summer-Academy für junge Frauen an der FH Oberösterreich. Die Teilnehmerinnen kommen aus diversen Ländern und werden eingeladen, drei Wochen lang an Technikworkshops teilzunehmen", erklärt die Mathematikerin. "Das machen wir nicht uneigennützig – im besten Fall kommen die jungen Frauen dann nach Österreich, um zu studieren." (Alois Pumhösel, 3.9.2022)