Die angepassten Impfstoffe erhöhen die neutralisierenden Antikörper. Wie viel besser der Schutz dadurch ist, ist unklar.

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Lange wurden sie erwartet, die Hoffnung war – auch unter Fachleuten – groß, und jetzt soll es endlich so weit sein: Morgen oder übermorgen werden die angepassten Omikron-Impfstoffe wohl von der EMA zugelassen und im Anschluss ausgeliefert. Was bedeutet das genau?

Frage: Welche Impfstoffe werden in den nächsten Tagen genau zugelassen?

Antwort: Es geht um sogenannte bivalente Impfstoffe der Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna, die an die Omikron-Ursprungsvariante BA.1 angepasst wurden. "Die Hälfte des Impfstoffes ist gegen den Ursprungsstamm gerichtet, die andere Hälfte gegen BA.1", erklärt Markus Zeitlinger, Leiter der Universitätsklinik für klinische Pharmakologie der Med-Uni / AKH Wien. Trotzdem sind beide Vakzine auch gegen BA.4 und BA.5 besser, als es der ursprüngliche Impfstoff wäre.

Beide Hersteller arbeiteten parallel auch an einem bivalenten Impfstoff mit Ursprungstyp- und BA.4/BA.5-Komponenten. Von Moderna gibt es bisher noch keine Studien dazu, wohl aber In-vitro-Daten. Biontech teilte mit, dass im August klinische Studien zu dem an BA.4/BA.5 angepassten Impfstoff beginnen würden.

Frage: Wie viel besser wirken die angepassten Impfstoffe denn nun?

Antwort: "Wie sie wirken, wissen wir eigentlich nicht, aber sie neutralisieren einen Tick besser", wie Zeitlinger sagt. Die angepassten Impfstoffe erhöhen die neutralisierenden Antikörper gegenüber dem Wildtyp und Omikron BA.1 um den Faktor 1,5.

Um diese Zahl greifbar zu machen, muss man sich genauer anschauen, wie Impfstoffe auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. In diesem Fall wurden die angepassten Impfstoffe alle in Studiensettings geprüft, wo sie als Booster zur Anwendung kamen. Menschen, die schon drei Impfungen erhalten hatten, wurden dann entweder mit dem bereits zugelassenen Impfstoff oder mit dem angepassten Impfstoff geimpft.

Daraus ergeben sich sogenannte Titer. Das sind Indikatoren dafür, welches Virus wie gut neutralisiert werden kann. Man kann sich das so vorstellen: Der angepasste Impfstoff wird über eine mit Omikron BA.1 infizierte Zellkultur geschüttet. Danach schaut man sich an, wie oft man das Serum (also den angepassten Impfstoff) verdünnen kann, sodass das Virus trotzdem gerade noch neutralisiert wird. Je öfter man es verdünnen kann, desto höher ist der Titer, der sich daraus ergibt. Angenommen, ein Impfstoff erreicht einen absoluten Titer-Wert von 1.000 und ein anderer 1.500, dann ist der zweite um den Faktor 1,5 besser.

Schüttet man dann das gleiche angepasste Serum und den bisherigen Impfstoff über eine mit BA.4 und BA.5 infizierte Zellkultur, sind die Titer beim "alten" Impfstoff beispielsweise nur noch 458, beim "neuen" 776, das heißt: "Beide haben schlechter neutralisiert, aber der Faktor ist gleich geblieben. Genau das hat man auch in der Praxis beobachtet", erklärt Zeitlinger.

Vereinfacht gesagt bedeutet das: Im Vergleich zu den bisherigen Impfstoffen wirkt der angepasste Impfstoff besser gegen BA.4 und BA.5, aber die Impfstoffe wirken mit jeder neuen Mutation generell allesamt schlechter. Oder anders ausgedrückt: "Die neutralisierende Wirkung des bisherigen Impfstoffs gegenüber BA.1 ist besser als die Wirkung des angepassten Impfstoffes gegenüber BA.4 und BA.5", sagt Zeitlinger.

Frage: Was bedeutet das? Wie viel besser ist man nach einer Impfung mit dem angepassten Impfstoff geschützt?

Antwort: Das ist unklar. Dass der Antikörperspiegel im Verhältnis beim angepassten Impfstoff besser ist als bei den bisherigen Impfstoffen, bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass man auch um das 1,5-Fache besser geschützt ist. "Ob es einen messbaren klinischen Unterschied gibt, weiß man nicht mit Sicherheit", sagt Zeitlinger.

Grundsätzlich gilt allerdings, das konnte man in der Forschung schon beobachten: Ein hoher Titer schützt besser als ein niedriger Titer. Man könne das aber nicht in klare Zahlen umlegen, etwa dass sich mit dem neuen Impfstoff um fünf oder zehn Prozent weniger Menschen anstecken werden: "Das ist basierend auf diesen Zahlen komplett unmöglich zu sagen", betont der Experte.

Frage: Warum wirkt der angepasste Impfstoff nicht deutlich besser?

Antwort: Weil die Impfstoffe an die Omikron-Variante BA.1 angepasst wurden, nicht aber an die aktuell zirkulierenden Subtypen BA.4 und BA.5. Die Impfhersteller begannen im November 2021 – also mitten in der Delta-Welle – mit der Weiterentwicklung ihrer Vakzine. Anfang Dezember 2021 mutierte dann das Virus, Omikron BA.1 wurde rasch zur dominierenden Variante. Pharmahersteller fokussierten sich in der Weiterentwicklung ihrer Impfstoffe auf diese damals neue Variante.

Weil die Entwicklung, Prüfung und Zulassung eines Vakzins aber mehrere Monate in Anspruch nimmt, hat das Virus mittlerweile schon wieder einen Vorsprung. Die Impfstoffe, die in den kommenden Tagen wohl zugelassen werden, wurden im Nachhinein allerdings auch auf Wirksamkeit gegenüber BA.4 und BA.5 geprüft.

Frage: Wann kann man mit einem an BA.4 und BA.5 angepassten Impfstoff rechnen?

Antwort: Noch in diesem Jahr. Am 10. August teilte die EMA mit, dass man einen Antrag für den von Biontech/Pfizer entwickelten und an BA.4/BA.5 angepassten Impfstoff erwarte und diesen "für eine mögliche rasche Zulassung im Herbst bewerten wird".

Bisher dauerte das Verfahren zur Zulassung von Corona-Impfstoffen noch deutlich länger als etwa bei jährlich angepassten Influenza-Impfstoffen, obwohl Fachleute immer wieder betonten, dass die angepassten Corona-Impfstoffe auf schnellstem Weg durch das Zulassungsverfahren gewinkt werden sollen.

Das liegt daran, dass der saisonal angepasste Influenza-Impfstoff für die Zulassung keine klinischen Studien mehr braucht – es sei denn, es ändere sich grundlegend etwas an der Komposition, den Inhaltsstoffen oder der Formulierung. Künftig könnte das auch bei angepassten Corona-Impfstoffen der Fall sein. Die US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel FDA hat einem solch adaptierten Zulassungsweg bereits zugestimmt. Dort werden für Corona-Impfstoffe keine klinischen Daten, sondern nur noch In-vitro-Daten verlangt. Vonseiten der EMA gab es dazu noch keine finale Zustimmung, aber – so prognostiziert Zeitlinger: "Ich denke, dass man auch in Europa diesen Weg gehen wird."

Unabhängig davon werde wohl der BA.4/BA.5-Impfstoff noch in diesem Jahr zugelassen. Der genaue Zeitpunkt ist offen, aber es seien für das heurige vierte Quartal schon Dosen von diesem Impfstoff bestellt worden. "Ob es dann Anfang Oktober oder Ende Dezember wird, ist unklar, aber sicher noch heuer", sagt Zeitlinger.

Frage: Soll man mit dem vierten Stich auf den an BA.4/BA.5 angepassten Impfstoff warten?

Antwort: Eher nicht, sind sich Fachleute einig. Auch für Zeitlinger ist die Frage nach dem Impfstoff nur zweitrangig. In erster Linie gehe es um die Frage, wie viel Zeit seit dem letzten Viruskontakt vergangen ist. Ist die letzte Impfung oder Infektion schon sechs Monate oder länger her, gehört man zur Risikogruppe, und/oder man ist über 60 Jahre, dann "lieber heute mit dem verfügbaren Impfstoff als in ein paar Monaten mit einem adaptierten Vakzin impfen", rät er.

Für alle anderen ist es individuelle Geschmackssache mit dem einfachen Credo: "Nichts ist falsch", betont Zeitlinger, weil man bei Erkrankung als dreifach geimpfte Person mit normaler Immunantwort ohnehin nicht kritisch krank werde. Für die meisten bleibt es daher eine nahezu rein organisatorische Entscheidung der Frage: Wann möchte ich optimal geschützt sein? Lieber jetzt zum Schulstart oder erst zu Weihnachten für die großen Familienfeiern?

Angepasste Impfstoffe spielen für Zeitlinger dabei eine untergeordnete Rolle, betont er: "Ja, der angepasste Impfstoff wird eindeutig besser sein, und wenn ich beide Impfstoffe vor mir auf dem Tisch liegen habe, würde ich natürlich den angepassten nehmen. Aber er würde für mich keine Verzögerung um mehrere Monate rechtfertigen." (Magdalena Pötsch, 30.8.2022)