Die Anklage eines ehemaligen US-Präsidenten durch die Regierung seines Nachfolgers wäre einmalig in der Geschichte der USA. Wie die Straftatbestände, die Donald Trump zur Last gelegt werden könnten. Zum einen geht es um den mutmaßlichen Angriff auf das Herz der amerikanischen Demokratie, der in den Ereignissen vom 6. Jänner 2021 kulminierte.

Nie zuvor versuchte ein amerikanischer Präsident, den friedlichen Transfer der Macht durch einen Staatsstreich zu verhindern. Und es ist kein Fall bekannt, in dem ein Ex-Präsident hunderte Seiten streng geheimer Dokumente in seinem Privathaus hortete; darunter laut "Washington Post" Atomgeheimnisse und Informationen über US-Spione im Ausland.

Ex-Präsident Donald Trump fordert lautstark "Neuwahlen".
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Weshalb wegen gravierender Verstöße gegen das Spionage-Abwehrgesetz, den Umgang mit Staatsgeheimnissen und Behinderung der Justiz ermittelt wird.

Merrick Garland, der als Justizminister gleichzeitig auch Chefankläger der Regierung ist, muss in beiden Fällen abwägen, ob die Ergebnisse der Ermittlungen ausreichen, Trump vor Gericht zu stellen. Der rechte Publizist Matt Drudge brachte die Situation mit einem Foto auf den Punkt, das einen grimmig dreinblickenden Trump in einem orangefarbenen Gefangenenanzug zeigt. Darunter die Schlagzeile: "Trump-Anklage Beobachtung".

"Unruhen auf den Straßen"

Senator Lindsey Graham aus South Carolina sagte in einem Interview auf dem Haussender der Republikaner Fox "Unruhen auf den Straßen" voraus, falls Trump angeklagt werde. "Die meisten Republikaner, inklusive meiner Person, glauben, dass es in Bezug auf Trump kein Recht gibt", klagt der Senator. "Ich lehne Gewalt ab", versuchte er später zurückzurudern. "Aber es wird eine Menge empörter Leute geben."

Einer davon ist der Ex-Präsident selbst, der auf seiner Plattform lautstark "Neuwahlen" fordert. Der Grund: Das FBI verhindert, dass Informationen vom Laptop des Präsidentensohns Hunter Biden vor den Wahlen öffentlich gemacht wurden. Das sei Betrug und Wahlbeeinflussung, "wie sie das Land noch nie gesehen hat".

Zusammen mit den Drohungen gegen Richter Bruce Reinhart in Florida, der die Razzia auf Mar-a-Lago erlaubte, das Nationalarchiv und das FBI erhält Justizminister Garland einen Vorgeschmack, was den USA bevorstehen könnte, falls er sich in einem oder beiden Fällen zu einer Anklage durchringt. Oder wie Ruth Marcus in der "Washington Post" prägnant titelt: "Trump bestellt wieder den Mob".

"Ohne Furcht und Bevorzugung"

Dabei steht das Ergebnis der Ermittlungen zum 6. Jänner oder Trumps Umgang mit den Staatsgeheimnissen keineswegs fest. Garland hat bei einem kurzen Auftritt vor der Freigabe der Veröffentlichung des Durchgangsbefehls und der Inventarliste klargemacht, dass er "ohne Furcht und Bevorzugung" nach rechtsstaatlichen Kriterien entscheiden werde.

Kenner des bedächtigen Justizministers betonen, er sei sich der politischen Implikationen bewusst, Anklage gegen einen Ex-Präsidenten und möglichen Präsidentschaftskandidaten 2024 zu erheben. Ohne glasklare Beweise werde Garland die Finger von einem historischen Prozess gegen einen ehemaligen Präsidenten lassen.

Während Nachfolger Biden große Anstrengungen unternimmt, sich nicht zu den Ermittlungen zu äußern, kündigte das Weiße Haus für Donnerstag eine Grundsatzrede des Präsidenten zur Gefährdung der Demokratie in Amerika an. Er wird zur besten Sendezeit aus dem "Unabhängigkeitspark" in Philadelphia "über die anhaltende Schlacht um die Seele der Nation" sprechen.

In den vergangenen Tagen hatte Biden die bevorstehenden Zwischenwahlen im November als Richtungsentscheidung zwischen der Politik seiner Demokraten und den "MAGA-Republikanern" bezeichnet. Er nannte Trumps "Make America Great Again"-Bewegung "semi-faschistisch" und hielt den Trump-Republikanern vor, zu versuchen, "unsere Demokratie zu zerstören". (Thomas Spang, 31.8.2022)