Michail Gorbatschow verstarb mit 91 Jahren in Moskau.

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Moskau/Wien/Brüssel – Eine Zeremonie zu Ehren Michail Gorbatschows soll am Samstag stattfinden, heißt es von dessen Tochter. Sie soll im Haus der Gewerkschaften in Moskau stattfinden. Anschließend soll Gorbatschow am zentralen Nowodewitschi-Friedhof bestattet werden. Ob es ein Staatsbegräbnis geben wird, ist noch unklar.

Wohl keine internationalen Gäste

Das Haus der Gewerkschaften war traditionell Ort für Trauerfeiern für die Staatschefs in der Sowjetunion. So wurden hier unter anderem die Leichname von Sowjetgründer Lenin und seinem Nachfolger Stalin aufgebahrt, damit das Volk von ihnen Abschied nehmen konnte. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde erst 2015 mit dem russischen Ex-Premier Jewgeni Primakow wieder ein hochrangiger Politiker im Säulensaal aufgebahrt.

Nach der Trauerfeier soll Gorbatschow auf dem Neujungfrauenfriedhof für Prominente beerdigt werden. Dort wird er neben seiner Frau Raissa liegen, die schon 1999 gestorben ist. Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der größtenteils gekappten Flugverbindungen gilt es als unklar, ob überhaupt internationale Gäste zu einem Staatsbegräbnis nach Moskau kommen werden.

"Michail Gorbatschow war ein Politiker und Staatsmann, der gewaltigen Einfluss auf den Lauf der Weltgeschichte ausgeübt hat", würdigte Russlands Präsident Wladimir Putin Gorbatschow in einem kurz gehaltenen Beileidstelegramm an dessen Angehörigen. Er habe das Land zu einer Zeit "dramatischer Veränderungen" geführt und den großen Reformbedarf erkannt. Er habe versucht, seine Lösungen für das Problem anzubieten, schrieb Putin.

Zahlreiche Würdigungen

Nach dem Tod des letzten Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, haben zahlreiche internationale Politiker ihr Beileid ausgedrückt und ihn ausführlich gewürdigt. Der frühere Generalsekretär des Kommunistischen Partei hatte maßgeblich zum Ende des Kalten Kriegs beigetragen.

DER STANDARD

Mann mit "bemerkenswerter Vision"

US-Präsident Joe Biden würdigte Gorbatschow als einen "Mann mit einer bemerkenswerten Vision". Er habe sich in der Sowjetunion nach Jahrzehnten brutaler politischer Unterdrückung für demokratische Reformen eingesetzt, erklärte Biden am Dienstag. "Dies waren die Taten einer außerordentlichen Führungspersönlichkeit – einer, die die Vorstellungskraft besaß, eine andere Zukunft für möglich zu halten, und den Mut hatte, ihre gesamte Karriere zu riskieren, um dies zu erreichen. Das Ergebnis war eine sicherere Welt und größere Freiheit für Millionen von Menschen."

Biden erklärte weiter, Gorbatschow habe an Glasnost und Perestroika geglaubt – nicht als bloße Schlagworte, sondern als den Weg nach vorn für die Menschen in der Sowjetunion nach so vielen Jahren der Isolation und Entbehrung. "Als Führer der UdSSR arbeitete er mit Präsident Reagan zusammen, um die Atomwaffenarsenale unserer beiden Länder zu reduzieren, zur Erleichterung der Menschen weltweit, die für ein Ende des atomaren Wettrüstens beteten."

"Weg zum freien Europa geebnet"

Uno-Generalsekretär António Guterres zeigte sich "zutiefst traurig" über den Tod Gorbatschows. Dieser sei ein "einzigartiger Staatsmann" gewesen, der den Lauf der Geschichte verändert habe, ließ Guterres am Dienstag mitteilen. "Er hat mehr als jeder andere dazu beigetragen, den Kalten Krieg friedlich zu beenden." Der Portugiese sprach der Familie Gorbatschows und der Bevölkerung Russlands sein Beileid aus. Die Aussage des Friedensnobelpreisträgers, dass Frieden nicht Einheit in Gleichartigkeit, sondern Einheit in Vielfalt sei, habe dieser mit seiner Politik in die Praxis umgesetzt.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte die Bedeutung des ehemaligen sowjetischen Staatschefs Gorbatschow für Europa heraus. "Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Beendigung des Kalten Kriegs und dem Fall des Eisernen Vorhangs", schrieb von der Leyen am Dienstagabend auf Twitter. Sie bezeichnete Gorbatschow als Führungspersönlichkeit, die zuverlässig und geachtet gewesen sei. "Er ebnete den Weg für ein freies Europa. Dieses Vermächtnis werden wir nie vergessen."

Auch EU-Ratspräsident Charles Michel hat den verstorbenen russischen Friedensnobelpreisträger und ehemaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow als einen Kämpfer für Frieden und Freiheit gewürdigt. Gorbatschow sei ein Mann gewesen, der sein Leben mit einem großen Engagement für Frieden und Freiheit dem öffentlichen Dienst gewidmet habe, schrieb Michel am Mittwochmorgen auf Twitter.

Michel sprach Gorbatschows Familie, dessen Freunden und dem russischen Volk sein Mitgefühl aus. Der israelische Staatspräsident Yitzhak Herzog würdigte Gorbatschow als "eine der außergewöhnlichsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts". "Er war ein mutiger und visionärer Anführer, der unsere Welt auf eine Weise verändert hat, die vorher als undenkbar galt", sagte Herzog am Mittwoch nach Angaben seines Büros über den ehemaligen sowjetischen Staatschef. "Ich bin stolz, dass ich ihn 1992 während seines Besuchs in Israel getroffen habe."

Würdigung aus Österreich

"Michail Gorbatschow prägte wie kein anderer die Annäherung zwischen Osten und Westen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa und dem Ende des Kalten Kriegs. Möge er in Frieden ruhen", twitterte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in einer ersten Reaktion am Dienstagabend. "Tragisch bleibt, dass die Anerkennung, die er im Westen genoss, ihm in seiner Heimat nie zuteil wurde", bedauerte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) auf Twitter.

Auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) würdigte die Leistungen Gorbatschows für eine friedliche Neuordnung Europas in den vergangenen 30 Jahren. Gorbatschow sei "ein großer Staatsmann" gewesen, sagte Schallenberg am Mittwoch im Ö1-"Morgenjournal". "Er hat die Zeichen der Zeit erkannt."

Der Politologe und Russland-Experte Gerhard Mangott betonte im "Morgenjournal" die Bemühungen Gorbatschows für atomare Abrüstung und seine Leistungen für die Freiheit der osteuropäischen Staaten. Im Westen gebe es eine "idealisierte Wahrnehmung" Gorbatschows, da er die Revolten in Osteuropa nicht militärisch niedergeschlagen habe. Gorbatschow habe gute Beziehungen zum Westen gebraucht für seine Reform der Sowjetunion.

Im eigenen Land seien Gorbatschows Reformen jedoch unpopulär gewesen, sagte Mangott. "Nur Boris Jelzin ist in Russland noch unpopulärer." Putin habe dann Stabilität im Austausch für Einschränkungen der Freiheitsrechte versprochen und das Land in eine Diktatur verwandelt.

"Mann des Friedens"

Auch der britische Premierminister Boris Johnson würdigte das historische Erbe Gorbatschows. "Ich habe immer den Mut und die Integrität bewundert, die er gezeigt hat, indem er den Kalten Krieg zu einem friedlichen Ende brachte", schrieb Johnson am späten Dienstagabend auf Twitter. Zudem stellte er Gorbatschow dem russischen Präsidenten Putin gegenüber. "Zu einer Zeit von Putins Aggression in der Ukraine bleibt sein unermüdliches Engagement für die Öffnung der sowjetischen Gesellschaft ein Vorbild für uns alle", schrieb Johnson.

Der französische Präsident Emmanuel Macron würdigte den verstorbenen russischen Friedensnobelpreisträger als "Mann des Friedens". Seine Entscheidung habe den Russen "einen Weg der Freiheit" geöffnet, schrieb Macron in der Nacht auf Mittwoch auf Twitter. "Sein Engagement für den Frieden in Europa hat unsere gemeinsame Geschichte verändert."

Der prominente liberale russische Oppositionspolitiker Grigori Jawlinski würdigte Gorbatschow als einen Veränderer der Welt. "Gorbatschow gab uns die Freiheit. Er hat Millionen von Menschen die Freiheit gegeben – in Russland und seinem Umfeld und noch dazu der Hälfte Europas", schrieb der Gründer der Oppositionspartei Jabloko in der Nacht auf Mittwoch in seinem Blog im Nachrichtenkanal Telegram. Jawlinski und die Partei Jabloko sind die letzten Reste der Opposition in Russland. Es liege auch heute in der Verantwortung der Russen, die damals geschenkte Freiheit zu nutzen, sagte Jawlinski. Wenige Anführer hätten einen solchen Einfluss auf die Geschichte gehabt. "In seinen sechs Jahren an der Macht hat Michail Gorbatschow die Welt verändert", unterstrich der Politiker. (APA, 31.8.2022)