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Wenn es die ersten Male zum Kindergarten geht, kann das für viele Tränen sorgen. Der Familienrat sagt: Ruhig bleiben, Kindern Sicherheit vermitteln und sie ermutigen.
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Frage:

Weil wir demnächst beide wieder arbeiten, kommt unser Kind mit zwei Jahren in den Kindergarten. Vor der Eingewöhnung haben wir großen Respekt. Von befreundeten Eltern haben wir gehört, dass sie mit viel Schreien verbunden ist und dass es dann als Mama oder Papa sehr schmerzhaft ist, aus dem Raum zu gehen. Wir fragen uns: Wie viel Schreien ist "normal"? Wie können wir den Prozess als Eltern gut begleiten? Und wie schaffen wir es auszuhalten, dass unser Kind so bitterlich weint?

Antwort von Linda Syllaba:

Vorab möchte ich sagen, dass es nicht zwingend sein muss, dass es Ihrem Kind arg schwer fällt, sich im Kindergarten einzugewöhnen. Es gibt auch Kinder, für die es ganz leicht ist, die sogar mit großer Freude und Neugier eintreten. Oft sind es auch die Eltern, die sich schwer tun, und die Kinder spiegeln dann unbewusst deren Gefühle.

Allgemein gilt, je ruhiger Sie selbst bleiben, umso besser. Sie haben diese Entscheidung getroffen und Ihre guten Gründe dafür, stehen Sie also auch dazu, falls es tatsächlich nicht reibungslos läuft. Mit schlechtem Gewissen dienen Sie niemandem. Und es ist bestimmt auch ungünstig, bei auftretendem Trennungsschmerz in die eigenen Gefühlsdramen einzutauchen.

Die Unzufriedenheit Ihres Kindes aushalten zu lernen steht ohnedies noch auf dem elterlichen Lehrplan, das wird Sie noch einige Jahre begleiten. Denken Sie daran, dass es wichtig ist, mit Frust, Trauer, Wut und anderen Gefühlen umgehen zu lernen – und dass das nicht möglich ist, ohne diese Gefühle zu durchleben.

Linda Syllaba ist diplomierte psychologische Beraterin, Familiencoach nach Jesper Juul und Mutter. Sie ist Autorin der Bücher "Die Schimpf-Diät" (2019) und "Selfcare für Mamas" (2021).
Foto: Stefan Seelig

Bei der Trennung von den Eltern geht es natürlich nicht nur um den unerfüllten Wunsch, bei den Eltern zu bleiben, sondern um einige Bedürfnisse: Sicherheit, Vertrauen, Nähe etc. Deshalb achten Sie darauf, dass diese Dinge ansonsten möglichst gut gedeckt werden. Vermitteln Sie Sicherheit, indem Sie sicher und klar auftreten. Kümmern Sie sich gegebenenfalls um eigene Unsicherheiten, Kinder spüren so etwas und reagieren darauf. Vertrauen basiert auf der Erfahrung, dass Wort gehalten wird und dass eindeutiges Wohlwohlen gegeben ist. Und zeigen Sie sich auch vertrauensvoll in Bezug auf die Kompetenz des Kindes, sprechen Sie ermutigend und bestärkend mit dem Kind, im Tenor "Ich glaube an dich".

Für das Kind wird es neu sein, dass Sie weggehen und es alleine an einem Ort bleibt, ganz ohne Sie. Es gilt nun zu lernen, mit dieser Situation klarzukommen und, wenn Sie fortgehen und sagen, dass Sie wiederkommen, die Erfahrung zu machen, dass Sie tatsächlich wiederkommen. Vertrauen Sie Ihrem Kind! Wenn es von sich aus Unsicherheiten zeigt, thematisieren Sie diese, sonst nicht. Sprechen Sie aus, was ist und was Sie wahrnehmen. "Das ist jetzt für uns alle neu, und wir werden das ganz bestimmt gut machen." Zeigen Sie also Zuversicht. Verabschieden Sie sich immer, niemals einfach gehen, selbst wenn es bereits ein interessantes Spielzeug entdeckt hat. Das Kind muss sich darauf verlassen können, dass es nicht einfach so dagelassen wird. Beim Abholen zeigen Sie Ihre Wiedersehensfreude und sprechen Sie diese auch aus. Vertrauen Sie nicht nur Ihrem Kind, sondern auch sich selbst, und gehen Sie weiterhin liebevoll und empathisch mit ihm um.

Und zu guter Letzt: Es gibt kein "So viel Schreien ist normal", weil jedes Kind anders ist. Die Pädagoginnen und Pädagogen wissen, wie man mit so einer Eingewöhnungssituation umgeht, und werden Sie ganz bestimmt informieren, wenn etwaiges Weinen über deren Erfahrungswerte hinausgeht. (Linda Syllaba, 5.9.2022)

Antwort von Hans-Otto Thomashoff:

Kinder sind sehr unterschiedlich in ihrer Entwicklung und damit auch in ihren Bedürfnissen. Und so kommt es, dass manche Kinder sich leichter und andere sich schwerer tun mit dem Eintritt in den Kindergarten. Das bedeutet, dass erst einmal gar nicht ausgemacht ist, dass Ihr Kind Schwierigkeiten damit haben wird. In meinen Büchern und Vorträgen betone ich immer, wie wichtig es für eine gesunde kindliche (und später dann auch erwachsene) Psyche ist, frühe sichere Bindung zu erfahren.

Mit der Geburt erlebt die bereits in engem Austausch mit der Umwelt stehende kindliche Psyche einen drastischen Wechsel. Statt der allumfassenden Geborgenheit im Mutterbauch gibt es auf einmal viele neue und bunte Eindrücke, die zugleich aber auch Angst machen können, wenn sie als überfordernd wahrgenommen werden. Entscheidender Schutz vor einer solchen Überforderung ist die Anwesenheit einer oder mehrerer vertrauter Bindungspersonen, deren Anwesenheit verlässlich abrufbar ist: Wenn ich sie brauche, weil ich Hunger habe, mich nicht auskenne, der Bauch oder der Zahn wehtun, sind Mutter oder Vater da und beruhigen mich. Ein Kind, das diese Erfahrung verlässlich macht, entwickelt ein sogenanntes Urvertrauen. Sein Grundgefühl im Leben lautet: Was auch immer passieren wird, es wird schon gutgehen.

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017), "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018) und "Was ist wirklich wichtig im Leben?" (2021).
Foto: Andrea Diemand

Wenn Ihr Kind dieses Urvertrauen hat aufbauen können, dürfte auch eine Eingewöhnung in den Kindergarten mit zwei Jahren kein Drama sein. Dann sollten Sie sich keine übermäßigen Sorgen machen – aus eigenem Interesse, aber auch Ihrem Kind zuliebe. Denn ein Kind spürt natürlich, wenn seine Eltern etwas als dramatisch erleben, nimmt dieses Gefühl dann in sich auf und verhält sich entsprechend.

Sollte es in der frühen Kindheit Ihres Kindes psychisch einschneidende Trennungen gegeben haben – die reichen vom Brutkasten oder anderen Krankenhausaufenthalten bis hin zu dem immer noch verbreiteten, wenngleich meist gut gemeinten Wunsch, Säuglingen durch Weglegen das Schlafen "beizubringen" –, dann wird ihm der Neustart in die aufregende Kindergartenwelt eher schwerfallen, und Ihr Kind wird protestieren. In diesem Fall sollte der Übergang besonders langsam erfolgen. Das bedeutet, anfangs sollten es nur kurze Aufenthalte in der Gruppe mit den anderen im Beisein der Eltern sein. Anschließend sollten die Eltern eine Zeitlang in Rufweite bleiben und verfügbar sein, bevor schließlich die Eingewöhnung ganz gelingt.

Hilfreicher Indikator dafür, ob der Widerstand eines Kindes aus schlichtem Trotz oder aus echter seelischer Not erfolgt, ist das Gefühl, das das Kind in uns auslöst. Bei Trotz merken wir, dass das "inszenierte Theater" nicht so ganz ernst zu nehmen ist, und reagieren selbst je nach Tagesverfassung eher genervt oder auch amüsiert. Bei echter Not hingegen sind wir selbst alarmiert. Wichtige Voraussetzung dafür, dass wir das Erleben unseres Kindes richtig einschätzen, ist eine Grundkenntnis von uns selbst. Denn nur dann können wir verlässlich unterscheiden, ob ein Gefühl, das unser Kind in uns auslöst, wirklich von ihm stammt, oder ob wir womöglich eigene Ängste in unser Kind hineinprojizieren und damit unsere Wahrnehmung verzerren. Wie so oft ist der ehrliche Blick in den Spiegel der eigenen Gefühle (ich nenne das die "Spiegelmethode") hilfreiche Grundlage dafür, in der Erziehung das Richtige zu tun. (Hans-Otto Thomashoff, 5.9.2022)