Manche Vertreter der faszinierenden Nesseltiere besitzen die ewige Jugend. Doch welche Gene sind dafür verantwortlich?
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Schwerelos hängt die gigantische, porzellanweiße Qualle im Blau, schwebt majestätisch vor den Augen der Besucher. In der französischen Serie „Ad Vitam“ verbirgt sich in den Genen dieser kalten Schönheit das Geheimnis des ewigen Lebens: Die Menschen können sich dank der Quallen-DNS beliebig oft verjüngen – mit erheblichen sozialen Verwerfungen. Und tatsächlich gibt es Quallen, die dem Altern ein Schnippchen schlagen können. Doch im Gegensatz zur Serie sind die alterslosen Quallen in Wirklichkeit winzig klein.

Unserer Fantasie sind verschiedene Formen der Unsterblichkeit entsprungen: Seit Menschengedenken glauben Unzählige an eine unsterbliche Seele oder an ewig junge Göttinnen und Götter, Figuren wie Dorian Gray, dessen Bildnis an seiner statt altert, auch Untote wie Vampire faszinieren die Menschen. Dabei ist Unsterblichkeit kein reines Fantasieprodukt, wie die Qualle Turritopsis dohrnii beweist. Die wenige Millimeter große Qualle kommt im Mittelmeer rund um die Balearen vor der spanischen Küste vor – und hat einen erstaunlichen Trick entwickelt: Sie besitzt zyklische Unsterblichkeit.

Bizarre Nesseltiere

Quallen sind gewissermaßen zwei Lebewesen in einem: Zunächst leben sie als fest am Meeresgrund verankerte Polypen, die sich asexuell vermehren. Doch können die Polypen auch in ein Quallenstadium übergehen: Teile der Polypen schnüren sich ab und verwandeln sich in freischwimmenden Medusen. In dieser Form können sich die Quallen nun sexuell fortpflanzen, woraufhin Larven entstehen, die wieder zu festsitzenden Polypen werden.

Nach der Paarung sterben die Quallen gewöhnlich – nicht aber so bei T. dohrnii! Zellen ihres Schirms, also der pulsierenden Außenhaut des Tiers, verwandeln sich in Polypen, die exakte genetische Kopien der Medusa selbst sind. Das gleiche Tier kann so im Prinzip beliebig oft den Quallen-Lebenszyklus durchlaufen und ist biologisch unsterblich. Damit ähnelt die Qualle Dr. Who: Die Hauptfigur der gleichnamigen britischen Kultserie stirbt nicht, sondern regeneriert sich, indem sie einen anderen Körper annimmt – für die Serienmacher ein eleganter Weg ist, wechselnde Darsteller zu erklären.

Die kleine, unscheinbare Qualle Turritopsis dohrnii besitzt etwas, nach dem sich die Menschheit sehnt, seit es sie gibt: Unsterblichkeit.
Foto: Maria Pascual-Torner

Gute Gene für ewige Jugend

Anders als Dr. Who könnte sich die Qualle nicht an Ereignisse aus ihren früheren Leben erinnern, dennoch ist ihre Verjüngungskur erstaunlich. Spanische Wissenschafterinnen und Wissenschafter rund um Maria Pascual-Torner von der Universität Oviedo haben sich auf die Suche nach den genetischen Ursachen für die Unsterblichkeit von T. dohrnii begeben. Wie das Team kürzlich im Fachblatt "Proceedings of the National Academy of Science" berichtete, besitzt die Qualle doppelt so viele Gene, die mit DNS-Reparatur zusammenhängen, als ihre enge, aber sterbliche Verwandte Turritopsis rubra.

Aus den genetischen Analysen der Forscherinnen und Forscher geht hervor, dass diese überzähligen Gene Proteine kodieren, die die Tiere etwa vor oxidativen Stress schützen und verhindern, dass sich die Telomere bei der Zellteilung abnutzen. Als Telomere bezeichnen Fachleute die Enden der Chromosomen, also jener Transportform der DNS, wie sie während der Zellteilung vorliegt. Doch die schützenden Kappen schrumpfen bei jeder Teilung – ein Prozess, der mit Altern in Zusammenhang steht.

Mögliche Anwendungen

Doch es ist nicht überraschend, dass T. dohrnii besonders sorgsam mit ihrem Erbgut umgeht. Spannend ist, wie das genetische Drehbuch ihres Verjüngungstricks aussieht. Dazu betrachteten Pascual-Torner und ihr Team Gene, die besonders während der Verwandlung zurück in einen Polypen aktiv sind. Wie sich zeigte, schalten die Quallen in dieser Phase Gene aus, die sonst das Wachstum und die Entwicklung der Tiere steuern. Hingegen wurden DNS-Abschnitte eingeschaltet, die den Zellen erlauben, wieder zu pluripotenten Zellen zu werden, um sich später zu einer neuen Qualle zu entwickeln.

Vielleicht können wir aus den genetischen Abläufen hinter der Regeneration der Qualle Lehren über das menschliche Altern ziehen.
Foto: AFP/KAZUHIRO NOGI

Gemeinsam erlauben diese genetischen Anpassungen der Qualle, zwischen ihren beiden Formen pendelnd ewig zu leben. Wie Pascual-Torner betont, könnten diese Erkenntnisse auch zum Verständnis des menschlichen Alterns beitragen. Denn obwohl uns auf den ersten Blick wenig mit der durchsichtigen Qualle verbindet, teilt sich der Mensch mit dem Tierreich große Teile seiner Erbinformation. Dementsprechend hofft die Forscherin, dass ihre Ergebnisse die regenerative Medizin inspirieren können.

Übrigens, T. dohrnii ist nicht das einzige unsterbliche Nesseltier. Dieses Kunststück beherrschen auch Süßwasserpolypen der Gattung Hydra, wobei die kleinen gallertartigen Wesen ihrem brachialen Fachbegriff nicht gerecht werden. Einige dieser Polypen produzieren laufend Stammzellen, wodurch sie nicht altern und sich sogar regenerieren können, wenn sie zerteilt werden. Im Gegensatz zu unserer Dr.-Who-Qualle handelt es sich hierbei aber um lineare Unsterblichkeit: Die Tiere leben unverändert vor sich hin. (Dorian Schiffer, 1.9.2022)