Hitler-Experte und Hypochonder: Adam Driver in "White Noise".

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Der Deutschunterricht fällt ihm ziemlich schwer. "Ich esse Kartoffelsalat", wiederholt Jack Gladney immer wieder, doch es hört sich so an, als hätte er heiße Erdäpfel im Mund. Gladney ist das wissenschaftliche Aushängeschild seines Colleges, mit seinen "Hitler Studies" hat er es von 1968 bis in die Gegenwart der 80er-Jahre hinein zu einigem Ruhm gebracht. Nur Deutsch spricht er bis heute keines, ein Mangel, den er bei Seminaren mit ausladender Gestik, getönten Sonnenbrillen und schwarzer Robe gut zu kaschieren weiß.

Bereits diese frühe Szene in White Noise, mit dem das Filmfestival Venedig am Mittwoch eröffnet hat, verrät einiges über den Zugang von Noah Baumbach zu Don DeLillos brillantem Roman. Statt der kalten Ironie, mit der der US-Autor eine Familie und ihre innersten Neurosen seziert, setzt er auf grellere Töne, die die inhärente Komik des Buches stärker nach außen kehren.

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Greta Gerwig spielt Gladneys Ehefrau Babette als dauerlockige Frohnatur, die ihre existenziellen Ängste niemandem preisgibt; und Adam Driver sieht mit seinem Schmerbauch schon mehr wie die Karikatur jenes gebildeten Mittelstandsamis aus, die er bei DeLillo nur idealerweise einmal werden sollte. Die Familienszenen – die Gladneys sind eine sechsköpfige Patchwork-Bande – lehnen sich in ihrer sprachlichen Quirligkeit deutlich am Sitcom-Format an.

Produziert wurde White Noise von Netflix. Das erklärt zwar die eine oder andere Anbindung an den Streamingstil, doch insgesamt erweist sich der Film durchaus als wendig, er scheut auch vor großformatigen Wimmelbildern und abenteuerlichen Verfolgungsjagden durch Wälder und Flüsse nicht zurück. Als Zwitter zwischen Kino und Autorenfernsehfilm ist er vielleicht gerade deshalb der geeignete Opener für ein Festival, das all das abmessen will, was gegenwärtig alles als Film gilt: Nach Venedig wird er auch das New York Film Festival einleiten – die erste Arbeit, der jemals diese Ehre zuteilwird.

Herrschaft der Bilder

DeLillos satirischem Zeitbild entspricht Baumbachs Auslegung jedoch auch, schließlich erzählt der Roman, deutlich durchleuchtet von der Lektüre des Philosophen Jean Baudrillard, von der Herrschaft medialer Bilder, die bis hinein in den Familienalltag strahlen. Ein Zug-und Truckunglück, bei dem giftige Gase austreten, der sogenannte "The Airborne Toxic Event", gerät in einer fulminanten Parallelmontage zur unerwarteten Katastrophe. Dass man nach der Flucht über stark verstaute Highways wieder rasch zur gewohnt konsumfröhlichen US-Lebensart zurückkehrt, ist nur folgerichtig: Das Reale ist im trägen Fluss des Lebens zum letzten Mysterium geworden.

Das größte davon ist der Tod, dieser undenkbare Abgrund. Angst vor der Endlichkeit treibt die Gladneys an und bringt sie auf abstruse Ideen. Baumbach versteht es sehr gut, eine flirrende Balance zwischen dem Banalen und dem Existenziellen einzugehen. Er inszeniert Todesahnungen, die den Experten für "Advanced Nazism" in der Nacht als tanzende Schatten einholen, oder lässt Babettes hilflose Ausflucht in eine Pillensucht in einen wahren Moment von Verzweiflung münden. Die Komödie ist in White Noise womöglich nur ein Schutzschild; selbst wenn sich der Todesengel in Gestalt Lars Eidingers nur als Loser in einem Motelzimmer entpuppt. (Dominik Kamalzadeh aus Venedig, 1.9.2022)