Was brauche ich wirklich? Und was ist es mir wert? Der anhaltend hohe Preisauftrieb bricht bei vielen Menschen eingefahrene Verhaltens- und Denkmuster auf.

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Seit mehr als einem Jahr machen steigende Inflationsraten den Menschen den Alltag zunehmend schwerer. Daran ändert auch die kleine Verschnaufpause über den Sommer wenig, gemäß der Schnellschätzung der Statistik Austria ist die Teuerung im August mit 9,1 Prozent geringfügig um 0,2 Prozentpunkte zurückgegangen. "Ausschlaggebend dafür sind die Treibstoffpreise, die zwar nach wie vor die Inflation treiben, im Vergleich zum Vormonat Juli aber deutlich gesunken sind. Weitere Preisschübe sehen wir bei Haushaltsenergie, Nahrungsmitteln und in der Gastronomie", erklärt Statistik-Austria-Chef Tobias Thomas.

Dennoch, der Inflationsdruck wird auf absehbare Zeit sehr hoch bleiben, wenn nicht sogar neuerlich zunehmen. Wie gehen Konsumenten und Verbraucherinnen mit dem immer stärker steigenden Preisniveau um? Inwiefern passen sie ihr Verhalten an die neuen Gegebenheiten an? Schließlich können sich nur bereits etwas ältere Personen an die Erfahrungen aus den 1970er-Jahren erinnern, als zwei Ölpreisschocks die Inflation in der Spitze auf zweistellige Werte getrieben hatten.

Für Bernadette Kamleitner, Konsumforscherin an der WU Wien, fällt der Inflationsschub diesmal in eine spezielle, da sehr krisenhafte Zeit. Zu den Nachwehen der Corona-Pandemie, der Klimaänderung, dem digitalen Wandel, geopolitischen Umbrüchen durch den Ukraine-Krieg komme nun auch noch eine wirtschaftliche Krise. "Wenn es ökonomische Schwierigkeiten gibt, reagieren die meisten Menschen darauf, indem sie sich in manchen Bereichen einschränken", sagt Kamleitner.

Aus Sparzwängen ausbrechen

Wenn das Geld zu knapp wird, um im zuvor gewohnten Ausmaß weiter zu verbrauchen, wird der Gürtel enger geschnallt. "Es löst eingefahrene Konsummuster und führt zu einer anderen Haltung", erklärt die Konsumforscherin. "Was brauche ich wirklich? Und was ist es mir wert?" Gespart werde aber nicht in allen Bereichen. Sofern dazu die finanziellen Möglichkeiten gegeben sind, brechen Menschen Kamleitner zufolge trotzdem mitunter aus den Sparzwängen aus.

"Manchmal gönnt man sich trotzdem etwas, obwohl man eigentlich sparen muss", sagt sie und ergänzt: "Das kann in manchen Fällen die emotional und ökonomisch richtige Strategie sein." Aus wirtschaftlicher Sicht, da teurere Produkte entsprechend höherwertiger und langlebiger sein sollten. Und emotional, da man dadurch auch das Gefühl des Armseins fernhalten kann.

Armut als Gefühl

"Armut ist auch eine Wahrnehmung", sagt die Konsumexpertin. "Wenn man sich arm fühlt, verhält man sich auch so." Was im Umkehrschluss bedeutet: Wenn man manchmal sogar zum teureren Produkt als zuvor greift, kann es der Psyche – im Gegensatz zur Geldbörse – durchaus guttun. Dazu komme ein geändertes Mindset durch die Lockdowns der Pandemie, als es sich viele in den eigenen vier Wänden gemütlich machten. "Dinge, die mich umgeben, sollen auch eine gewisse Qualität haben", erklärt Kamleitner den Gedanken dahinter.

Gemeinsam mit den Sparzwängen, die ein anhaltend hoher Preisauftrieb in vielen Haushalten auslöst, führt dies laut der Expertin zu folgendem Effekt: "Produkte der preislichen Mitte haben es bei hoher Inflation tendenziell am schwersten." Denn diese seien gewissermaßen ein Kompromiss zwischen Sparen und Luxus. "Man fühlt sich bei Kompromissen oft ein bisschen als Verlierer", ergänzt die Expertin.

Do-it-yourself-Strategie

Eine andere, wenig beliebte Möglichkeit, sich an die Teuerung anzupassen, wäre das Erschließen einer zusätzlichen Einkommensquelle, also mehr zu arbeiten. Oder auf Pump weiter zu konsumieren – schließlich ist Schuldenmachen Kamleitner zufolge in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend entstigmatisiert worden. Langfristig sinnvoller wäre eine Do-it-yourself-Strategie – kochen statt auswärts essen und auch sonst mehr Arbeiten im Haushalt selbst zu erledigen.

Was passiert, wenn die Inflation, wie es der Wifo-Experte Josef Baumgartner erwartet, im Herbst wieder ansteigt? "Dann kann es sein, dass die Inflation die Zehnprozentmarke übersteigt", sagte er unlängst mit Blick auf die Preissprünge der Landesenergieversorger in Wien und Niederösterreich per Anfang September. "Wenn die Inflation zweistellig werden sollte, macht das psychologisch einen Unterschied", erklärt Konsumforscherin Kamleitner. "Dann wirkt sie auf die Menschen noch weniger beherrschbar." (Alexander Hahn, 31.8.2022)