Ich war nie wirklich anspruchsvoll. Mit meiner positiven Art und meiner optimistischen Sicht konnte ich immer das Gute in jeder Situation erkennen. Im März 2014 lernte ich mit 27 Jahren meinen jetzigen Mann kennen und beschloss, neu anzufangen. Ich hatte eine kleine, wundervolle Wohnung im Speckgürtel Wiens gemietet und freute mich einfach über das Leben. Im Oktober desselben Jahres veränderte es sich komplett.

Umbruch

Mit einer nicht abklingenden Kehlkopfentzündung und nächtlichem Schwitzen startete der Albtraum. Man sagte mir, ich solle Antibiotika nehmen, Tee trinken und mich schonen. Beim Ultraschall meiner Lymphknoten scherzte ich noch: Ich sagte dem Radiologen, dass so wohl die ersten Ultraschallbilder meiner Kinder aussehen würden. Er meinte nur mit ernstem Blick, dass es sich wohl um Krebs handle und ich jetzt besser ein Krankenhaus aufsuchen solle. Mit gefrorenem Blick und einem Stein in der Magengrube konnte ich die erste Diagnose nicht fassen: Krebs? Ich bin 27. Ich rauche und trinke nicht. Ich ernähre mich halbwegs gesund und spare nicht bei der Bewegung. Wie konnte mir das passieren? Warum ich? Wie kann das sein? Wie geht’s jetzt weiter? Ich bin in der Probezeit, mein Mann hat mich erst kennengelernt. Verliere ich jetzt alles?

Dank unendlich viel Unterstützung meines Mannes (wir waren erst sechs Monate ein Paar) ging es zur Biopsie. Noch immer war die Hoffnung groß, dass es sich um einen Irrtum handeln könnte. Leider bestätigte sich der erste Verdacht des Hodgkin-Lymphoms. Schon zehn Tage später begann ich mit der ersten Chemotherapie.

Kein Weg zurück

Sobald die Chemotherapie über Infusionen in den Körper fließt, gibt es kein Zurück mehr. Ich fühlte mich grauenvoll. Radioaktive Injektionen und unzählige Krankenhausaufenthalte können einen zermürben. Nach dem ersten Zyklus der Chemo begannen mir die Haare auszufallen. Mein Mann und ich beschlossen, sie einfach radikal abzurasieren. Wir zelebrierten dies richtig: Wir legten meinen Lieblingssong auf, tranken ein Gläschen Wein und machten es uns im Badezimmer mit der Haarschneidemaschine gemütlich. Dann legte mein Schatz los, und wir probierten diverse lustige Frisuren aus, bis die endgültige "Länge" – die Glatze – erreicht war. Wir lachten zusammen, wir weinten zusammen. Eine Strähne meiner Haare habe ich mir aufgehoben, und sie erinnert mich jedes Mal daran, wie kaputt meine Haare waren. So habe ich meinen Haaren die Chance gegeben, neu anzufangen und sich zu regenerieren – eine Metapher für mein eigenes Leben.

Jacqueline Fausik mit ihrem Mann im Krankenhaus.
Foto: Jacqueline Fausik

Leider verliert man nicht nur Haare. Der schlimmste Verlust ist der von Selbstachtung und Lebensfreude. Ich wurde künstlich in die Wechseljahre versetzt, um die Fertilität zu erhalten. Das war zusätzlich zu den Nebenwirkungen der Medikamente eine weitere körperliche und emotionale Belastung.

An dieser Stelle danke ich allen, die mich immer ermutigt und aufgefangen haben. Mein Mann stand jeden Tag an meiner Seite, und mein neuer Arbeitgeber gab mir die benötigte Zeit und versprach mir einen fixen Arbeitsplatz nach meiner Genesung. Das Wichtigste jedoch waren der Wille und der Optimismus in dieser Zeit. Den konnte mir auch die Chemotherapie nicht nehmen.

Wiedergeburt

Nachdem mich ein halbes Jahr später mein Arzt eines Tages in der Früh charmant mit den Worten "Guten Morgen! Schön, dass Sie noch leben – die letzten Tage waren haarscharf!" weckte, ging es bergauf. Nach einem halben Jahr voller Leid und Trostlosigkeit konnte ich dank der Krebsforschung ohne weiterführende Strahlentherapie krebsfrei in ein neues, besseres Leben starten.

Jacqueline Fausik setzt ein Zeichen im Kampf gegen Krebs.
Foto: Jacqueline Fausik

Nur – was jetzt? Der Krebs hat mein Leben "verdichtet". Hat man so eine schreckliche Zeit hinter sich gebracht, fällt der Blick aufs Wesentliche deutlich leichter. Die Energie war zwar weg, jedoch blieb mir viel Hunger auf mein neues Leben übrig.

Nach so vielen Wochen im Krankenbett zog es mich einfach raus in die Natur. So entdeckten mein Mann und ich die Liebe zum Laufen. Eine kostengünstige Sportart, die immer und überall praktiziert werden kann.

Lauf-Feuer

Zuerst fingen wir mit kleinen Läufen um den Häuserblock an. Danach arbeiteten wir uns zu den ersten kleinen Wettkämpfen vor. Ein jährlicher Fixpunkt in unserem Leben ist der Krebsforschungslauf, eine Laufveranstaltung ohne Druck und Zeitmessung. Ein Lauf im Alten AKH, der aber nicht darauf abzielt, die Schnellsten und Besten zu küren. Hier geht es um das Sammeln von Spenden, um innovative, neue Behandlungsansätze zu finden und somit das Leid minimieren zu können. Pro Runde werden Spendengelder gesammelt, die sinnvoll, wirksam und nachhaltig in der Forschung eingesetzt werden.

Jacqueline Fausik mit ihren Laufpartnerinnen und Laufpartnern beim Krebsforschungslauf 2018.
Foto: AR Vienna

Neben der Strecke sammeln sich stets jubelnde Zuschauer und Zuschauerinnen sowie stimmgewaltige Bands. Auf der Strecke ist man ein Teil einer Gemeinschaft, die einen ohne Vorurteile sieht, und Runde um Runde schafft das Kollektiv Großartiges.

Ich habe den Krebs besiegt, also kann ich auch einen Marathon laufen. Mein großes Ziel war es, beim Berlin-Marathon mit dabei zu sein. Drei Jahre nach meiner Krebsdiagnose durchliefen mein Mann und ich unter Tränen die Ziellinie.

Zieleinlauf beim Berlin-Marathon drei Jahre nach der Krebsdiagnose.
Foto: AR

Jetzt bin ich glücklich verheiratet und haben einen dreijährigen Sohn. Das Leben spielt einem manchmal übel mit. Mit der richtigen Einstellung und dem Blick auf das Wesentliche kann man in jedem Schlechten auch etwas Gutes erkennen. (Jacqueline Fausik, 6.9.2022)