Ein französischer Journalist während eines Bombardements in Bachmut in der Ostukraine Ende Juli 2022.

Foto: APA/Bulent Kilic

Die Frage, ob es denn sinnvoll sei, vor Ort von den Fronten eines Krieges zu berichten, an denen ja meist nichts entschieden, sondern nur Menschenleben verheizt und das eigene Leben gefährdet werden, ist so alt wie der Journalismus selbst. Bomben und Schüsse fallen, Menschen werden zerfetzt. Unsagbare Verbrechen geschehen. Die Zivilbevölkerung leidet. Nichts wird sich ändern, aber man muss es seit tausenden Jahren immer wieder aufs Neue dokumentieren – ohne die Schandmär der ewig falschen Heldensagen in den Vordergrund zu rücken.

Wenn man das Wort Sinn einmal weglässt: Natürlich handelt es sich bei Kriegsmärchen von der Oral History in den Höhlen der Steinzeit bis herauf zu Onlinereportagen aus dem Laptop im Reihenhaus um ein menschliches Grundbedürfnis. Nicht nur die Sensationsgier will zufriedengestellt werden. Je nach Stimmungslage will man auch erschüttert, erbost oder erregt über das Leid von Fremden sein. Ach, wenn mich nur gruseln könnt’.

Laut der deutschen Journalistin Gabriele Riedle geht es in ihrem Buch In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg selbstverständlich auch um eines: Sogenannte Krisenreporter arbeiten im Entertainmentbereich. Das Publikum will sich einen Kick holen, der den grauen Alltag ein wenig aufregender gestaltet.

Keine Atempause ...

Deshalb zeigt sich Gabriele Riedle in ihrem Buch, das sie "eine Art Abenteuerroman" nennt, auch ein wenig bitter, ohne dabei allerdings auf galligen Humor zu verzichten. Immerhin blickt Riedle nach Anfängen in der vergleichsweise harmlosen Reisereportage auf weltweite Erfahrungen bezüglich der regelmäßigen Wiederkehr von Ausbeutung, Gewinnsucht, Gier, Unterdrückung und Gewalt zurück. Vom Neandertal herauf sind nur die Waffensysteme entschieden bösartiger geworden. So eine von Nevada aus mit dem Joystick gesteuerte Drohne macht das Töten in Kabul dann doch entschieden leichter, als wenn man dem Feind direkt ins Auge blickt.

Gabriele Riedle erinnert sich dabei nicht nur an absurde wie lebensbedrohliche Situationen bei Einsätzen in Kabul, Lagos, Papua-Neuguinea oder der Wüste Gobi. Sie erinnert sich auch an Telefonate mit ihrem damaligen Chefredakteur in Deutschland. Der will seinen Lesern und Leserinnen nicht nur grässliche Blutbäder verkaufen. Man muss das Elend auch mit dem Licht der Hoffnung erhellen. Reportagen, die sehr gern über das Gute, Schöne und Positive in all dem Unglück berichten (Schulprojekte, Wasser und so), sind heute gefragter denn je, sie gestalten sich im Zweifel obendrein weniger lebensgefährlich.

Doch noch einmal zurück in die gute alte Zeit: Während die Erzählerin also etwa in diesem schnurrenreichen Abenteuerroman nach einem Zwischenstopp in der gutbürgerlichen und viel zu sehr den Blutdruck und den Adrenalinspiegel senkenden Berliner Wohnung gerade in einem Taxi in Nigeria gemeinsam mit darüber begeisterten jungen Afrikanern auf ihrem Handy Schwulenpornos schaut, erhält sie einen Anruf aus der deutschen Heimat. Wie denn, was denn?! Wo bleibt denn jetzt die geile Story?

... Geschichte wird gemacht

Geschichte muss erzählt, Geschichten müssen gemacht werden: "Hallo, ja, stehe im Stau auf der Third Mainland Bridge in Lagos, jemand will mir durchs Fenster ein Bügelbrett verkaufen, und vermutlich stürzen wir gleich alle samt Brücke ins Wasser, aber falls in der Brühe da unten Empfang ist, rufe ich später zurück." Diese Passagen belegen dann bei allen im Buch erzählten Schrecklichkeiten, dass selbst im Dokumentarischen die Begriffe künstlerische Ausgestaltung und Flunkern keine fremden sind. Geschichte muss immer fiktionale Elemente beinhalten. Man erinnere sich nur an einen gewissen Claas Relotius. Das Schlechte schönreden oder dramatisch aufsexen bleibt in der Reportage eine ständige Gefahr.

Miteingearbeitet in In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg wird eine verhinderte Liebesgeschichte mit dem britischen Kriegsfotografen Tim H. Der wurde 2011 während des Bürgerkriegs in Libyen von einer Granate getötet. Am Ende ist dieses bemerkenswerte und wegen seiner im Journalismus gern kritisch beäugten Satzlängen nicht immer leicht zu lesende Buch schließlich auch die Klage über einen allzu früh verstorbenen Lebensmenschen geworden. Galliger Humor, zynische Weltsicht, zu Herzen gehende Liebe und Zuneigung. So spielt das Leben. (Christian Schachinger, 2.9.2022)