Fehlende Mitarbeiter, fehlende Studienplätze, aber genug Interessenten – das Dilemma der sozialen Arbeit.
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Der Kinder- und Jugendhilfe droht der Kollaps, Sozialarbeiterinnen klagen über eine wachsende Belastung, es gibt kaum Bewerbungen auf offene Sozialarbeitsstellen, die Personalsuche ist langwieriger und mühsamer – der Fachkräftemangel ist im Bereich der sozialen Arbeit an vielen Ecken spürbar.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat in seinem aktuellen Kurzbericht analysiert, in welchen Berufen derzeit die meisten Fachkräfte fehlen. Unter den zehn Berufen mit der größten Lücke sind fünf dem sozialen bzw. dem Gesundheitssektor zuzuordnen, allen voran die Berufsgruppe der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Im Jahresschnitt konnten in Deutschland für fast 20.600 der knapp 26.500 offenen Stellen keine passend qualifizierten Arbeitssuchenden gefunden werden.

"Im Verhältnis ähnlich dürfte die Situation in Österreich sein", sagt Gerlinde Blemenschitz, neben ihrer Arbeit in der betrieblichen Sozialberatung auch Sprecherin des Österreichischen Berufsverbands der Sozialen Arbeit (OBDS). Genaue Zahlen gebe es für Österreich leider nicht, ergänzt sie. Das liege auch daran, dass dem Arbeitsmarktservice (AMS) kaum Daten für ein Monitoring zur Verfügung stünden. Denn nur selten werden offene Stellen mithilfe des AMS besetzt.

Regionaler Mangelberuf

Dieser Umstand führe aber auch dazu, dass soziale Arbeit nur in Oberösterreich in die Mangelberufsliste aufgenommen wurde, obwohl die Situation in anderen Bundesländern nicht weniger angespannt sei. Und noch etwas erschwert die Bestandsaufnahme: Soziale Arbeit ist Länderkompetenz mit einer diversen Finanzierungsstruktur. Und im Gegensatz zu den Gesundheitsberufen gibt es für Berufe im Bereich der sozialen Arbeit kein Register, in das sich Angehörige dieser Berufe eintragen lassen können.

Für Wolfgang Kramer, stellvertretender Geschäftsführer der Wiener Suchthilfe Dialog, hat der Fachkräftemangel im Bereich der sozialen Arbeit aber schwerwiegende gesellschaftliche Auswirkungen. "Gerade um die Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen, ist die soziale Arbeit gefordert." Sei es bei der pathologischen Internetnutzung, in der Kinder- und Jugendhilfe oder bei der Suchthilfe – immer, wenn die soziale Situation instabil sei, könne mit sozialer Arbeit dagegengehalten werden. "Hier zu sparen ist sicher der falsche Platz." Im Gegenteil: Dieser Bereich sollte gerade jetzt massiv ausgebaut werden.

Fehlende Studienplätze

Für Kramer beginnt das zuallererst bei der Aufstockung der Studienplätze an den Fachhochschulen. Das Interesse an diesen Studiengängen ist jedenfalls hoch, wie die Bewerberzahlen der FH St. Pölten für das Bachelorstudium Soziale Arbeit zeigen. Für die rund 50 Plätze im berufsbegleitenden und weitere 50 im Vollzeitbachelorstudium gibt es vier- bis fünfmal so viele Bewerbungen. "Auch der Arbeitsmarkt könnte mehr Absolventen dieser Studienprogramme brauchen", ergänzt Kramer. "Wenn die Regierung sagt, sie möchte Jobs mit Sinn schaffen, dann müsste man Interessierten auch die Möglichkeit dazu geben, in diesem Bereich Fuß fassen zu können."

Neben zusätzlichen Studienplätzen sollte aber auch das bundesweite Berufsgesetz, wie im Regierungsprogramm vorgesehen, weiter vorangetrieben werden. "Das Berufsgesetz ist aus mehrerlei Hinsicht wichtig", sagt Blemenschitz. Dazu gehört die genaue Abgrenzung, was soziale Arbeit kann und was nicht. Ein Berufsgesetz würde aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsbereichen unterstützen. Dem biopsychosozialen Modell folgend habe Gesundheit oder Krankheit immer auch eine soziale Dimension. Mit einem einheitlichen Berufsgesetz könnte diese Dimension besser berücksichtigt werden, ist Blemenschitz überzeugt. (Gudrun Ostermann, 6.9.2022)