Ulrich Seidl gilt als einer der bekanntesten Filmregisseure im deutschsprachigen Raum.

Foto: EPA / SASCHA STEINBACH

Mehr als ein halbes Jahr lang recherchierte das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in Österreich, Deutschland und in Rumänien zu Vorwürfen rund um die Produktion des Films "Sparta" von Regisseur Ulrich Seidl. Bei einem Dreh in Rumänien 2018 und 2019 sollen minderjährige Laiendarsteller Gewalt, Alkoholismus und Nacktheit ausgesetzt worden sein, über die sie und ihre Erziehungsberechtigten im Vorhinein unzureichend beziehungsweise nicht in Kenntnis gesetzt worden sein sollen, heißt es seitens des am Freitag erschienenen Artikels. Darin erheben viele Kinder und Jugendliche sowie auch erwachsene Mitwirkende des Films – alle anonym – Vorwürfe gegen den österreichischen Filmemacher.

Der Regisseur und seine Filmproduktionsfirma wurden mit den Vorwürfen konfrontiert und ließen vorerst über ihren Anwalt mitteilen, dass die Eltern aller teilnehmenden minderjährigen Laiendarsteller, die zum Drehzeitpunkt zwischen neun und 16 Jahren alt waren, über den Inhalt sowie die Pädophilie-Thematik des Films informiert worden seien. "Hätten die Eltern irgendwelche Einwände gegen die Drehabläufe gehabt oder hätten sich die Kinder (…) nicht wohl gefühlt, wären sie wohl nicht über diesen langen Zeitraum (…) dabeigeblieben", heißt es darin.

Man habe die Szenen nach Zustimmung der Familien "peinlich genau überwacht" und auch darauf hingewiesen, dass es in dem Film um einen Erwachsenen gehen soll, "der sich zu Jungen hingezogen fühlt, eine Art Vaterstelle einnimmt".

In der Programmankündigung des Festivals von Toronto wird hingegen von einem "scheinbar impotenten" Pädophilen gesprochen, der "vorpubertierende Jungen" in verlassenen Schulgebäuden in Kampfsport unterrichtet. In einem im "Spiegel"-Artikel zitierten Castingaufruf, der an rumänischen Schulen verteilt wurde, soll der Hinweis auf Pädophilie allerdings gefehlt haben.

Bewusst getriggert?

In den erhobenen Vorwürfen wird von Situationen am Set berichtet, die den Jugendlichen und Kinder unangenehm gewesen seien. Obwohl manche der jungen Darsteller zu weinen begannen oder sich auch körperlich zu Wehr setzten – wie ein Bub, der sich sein T-Shirt nicht ausziehen wollte, aber dazu gezwungen wurde –, brach man die Arbeiten nicht sofort ab, schildern Mitarbeiter. "Nur noch ein bisschen, dann darfst du nach Hause gehen", soll eine Assistentin von Seidl zu einem weinenden Kind gesagt haben.

Die Szene zwischen zwei alkoholisierten Männern habe "sich echt angefühlt", erzählt der 13-Jährige, der sich an dem Drehtag auch mehrmals übergeben haben soll, gegenüber dem "Spiegel". Ein Crew-Mitglied sagt dazu: "Für mich war klar, dass das eine traumatische Erfahrung für diesen Jungen ist." Ein anderer Mitarbeiter kommentiert, man habe das Kind bewusst getriggert, man habe "echte" Emotionen filmen wollen. Eltern soll auch der Zutritt zum Set verweigert worden sein, so die Anschuldigungen. Viele der Eltern seien wütend und wollten nun, dass der Film nicht erscheint, berichtet der Artikel.

Die Sprecherin der Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst, Kultur und Sport, Sophie Rendl, sprach in der "ZiB2" am Freitagabend über Machtmissbrauch in der Filmbranche.
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Ein anderer Darsteller erzählt von mehreren Szenen, in denen die Kinder nur mit Unterhose bekleidet gewesen seien. Dies sei ohne Wissen und Vorwarnung der Eltern geschehen, lautet der Vorwurf. Bei einer Duschszene mit dem österreichischen Schauspieler Georg Friedrich soll ein Bub gefragt worden sein, ob er auch seine Unterhose ausziehen wolle. Seidls Anwalt teilt mit, dass es in dem Film weder sexuellen Kontext noch pornografische oder pädophile Szenen gebe. Kein Kind sei "nackt oder in einer sexualisierten Situation, Pose oder Kontext gefilmt worden", heißt es dazu im "Spiegel".

Statement von Seidl

In einer schriftlichen Stellungnahme am Freitagnachmittag weist Ulrich Seidl die Vorwürfe entschieden zurück. In dem Artikel würden "unzutreffende Darstellungen, Gerüchte oder aus dem Kontext gerissene Vorkommnisse am Set von 'Sparta' zu einem in keiner Weise den Tatsachen entsprechenden Zerrbild montiert".

"Meine Filme entstehen nicht, indem ich – wie der Artikel im 'Spiegel' nahelegt – Darsteller*innen manipuliere, falsch informiere oder gar missbrauche. Im Gegenteil: Ohne das Vertrauensverhältnis, das wir über Wochen und Monate aufbauen, wären die langen Drehzeiträume meiner Filme gar nicht denkbar. Ich habe größten Respekt vor allen Darsteller*innen, und niemals würde ich Entscheidungen treffen, die ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden in irgendeiner Art und Weise gefährden", so der Regisseur.

Kontroverse Filme

Das jüngste Filmprojekt Seidls, das im rumänischen Satu Mare spielt, entstand aus dem Drehbuch "Böse Spiele". Zuerst als ein einziger Film geplant, bildet das im Frühjahr 2022 angelaufene Drama "Rimini" dessen ersten und "Sparta" nun dessen zweiten Teil. Die Hauptrolle darin wird von dem österreichischen Schauspieler Georg Friedrich gespielt, der den Bruder des Schlagersängers Richie Bravo, um den sich der erste Teil dreht, verkörpert. Erstmals soll "Sparta" in Toronto am 9. September zu sehen sein und anschließend beim Festival in San Sebastián im Wettbewerb laufen.

Ulrich Seidl gilt als einer der prominentesten Regisseure im deutschsprachigen Raum, seine Arbeiten laufen auf internationalen Festivals und wurden bereits mehrfach ausgezeichnet. Bekannt ist der 69-jährige Wiener unter anderem für "Hundstage", "Safari", "Im Keller" oder seine "Paradies"-Trilogie. Mit seinen kontrovers diskutierten Filmen bricht er gerne Tabus, oft handeln sie von Themen wie Sex, Gewalt und Tod. Meist treten darin Laienschauspieler auf und verleihen der Geschichte so dokumentarische Züge. (Katharina Rustler, 2.9.2022)