Peter Hanke gibt sich normalerweise als derjenige in der rot-pinken Wiener Stadtregierung, der über tagespolitischem Hickhack steht: der Manager, der über die Finanzen wacht und mit allen gut kann, über Parteigrenzen hinweg. Die jüngsten Turbulenzen rund um die Wien Energie haben jedoch Spuren hinterlassen. Hanke ist angespannt. Seine Analyse: Vor allem die Kommunikation habe versagt.

STANDARD: Wie stabil ist die Wien Energie nach den Turbulenzen der vergangenen Tage, wie sicher können Kundinnen und Kunden sein?

Hanke: Die Versorgungssicherheit ist gegeben. Das war und ist mein politisches und wirtschaftliches Ziel, dass die Versorgung von zwei Millionen Kundinnen und Kunden einwandfrei funktioniert. Das versprechen wir. Ich möchte auch sagen: Wien Energie hat 2200 Mitarbeiter, die Stadt steht 100-prozentig zum Unternehmen, und wir tun alles, um alle Schnittstellen zu bearbeiten und die Finanzierung in unsicheren Zeiten zu garantieren.

STANDARD: Wie konnte man überhaupt in diese Schieflage kommen?

Hanke: In den vergangenen Wochen und Monaten waren zwar immer stärkere Schwankungen am Energiemarkt sichtbar, doch das konnte Wien Energie gut handhaben. Der Meteoriteneinschlag kam am Freitag an der Börse in Leipzig. So etwas hat es seit der Liberalisierung des Marktes vor 20 Jahren noch nie gegeben. Das war ein Tag des Warenbörsenwahnsinns. Das hat dazu geführt, dass Sicherheitsleistungen in der Höhe von 1,75 Milliarden Euro am Montag zu legen waren. Diese konnten wir allein stemmen. Aber es war am Freitag dann klar, dass wir uns vorbereiten mussten, wie die kommende Woche zu bewältigen war. Die gute Botschaft ist: Der Markt hat sich sofort wieder beruhigt, die Sicherstellungen sind stückweise an uns zurückgeflossen, jetzt stehen wir im Saldo wieder nahezu bei null.

Hanke: "Von Krachen kann nicht die Rede sein. Ein Meteorit ist eingeschlagen in den Energiemarkt."
Foto: Robert Newald

STANDARD: Warum brauchten Sie dann am Wochenende so dringend zwei Milliarden vom Bund?

Hanke: Nach dieser unerwarteten Situation am Freitag wussten wir nicht, was diese Woche passiert. Und es ist nach wie vor nicht vorhersehbar. Daher ist aus meiner Sicht unerlässlich, dass der gesamten österreichischen Energiewirtschaft Liquidität vonseiten des Bundes zur Verfügung gestellt werden sollte – wie in anderen europäischen Ländern auch. Wir brauchen diese Sicherheitslinie des Bundes, weil der Handel an der Warenbörse Energie eben so funktioniert. Das Wechselspiel von Käufen und Verkäufen dort ist immer getragen von Sicherheiten. Das hat nichts mit Spekulation zu tun. Das ist nicht zu vergleichen mit dem Geschehen an Aktienbörsen.

STANDARD: Der Freitag allein kann die Problematik nicht ausgemacht haben, sonst hätte Wien Energie nicht schon Mitte Juli eine 700-Millionen-Garantie von der Stadt gebraucht, die Bürgermeister Ludwig via Notverordnung gegeben hat. Es muss schon früher gekracht haben.

Hanke: Von Krachen kann gar nicht die Rede sein. Da ging es darum, angesichts der allgemeinen unsicheren Marktsituation und der permanent steigenden Strompreise die Kosten für die Wiener Endkunden so stabil wie möglich zu halten – und auch die Versorgungssicherheit weiterhin zu garantieren. Die gute Nachricht ist übrigens, der Gasspeicherstand der Wien Energie beläuft sich auf 91 Prozent – damit haben wir die Wärme der Wohnungen für drei Wintermonate einmal gesichert. Die Preise sind stetig gestiegen, das haben wir gewusst und uns bestmöglich vorbereitet – aber am Freitag gab es einen Ausschlag nach oben, den Experten mit einem Meteoriteneinschlag vergleichen. Das Problem an dem Tag war ja nicht nur der hohe Strompreis, sondern, dass der Gaspreis an dem Tag nicht im selben Ausmaß mitgestiegen ist. Sehr untypisch. Das hat die Lage kurzfristig noch mehr verschärft, weil die Stadt kauft Gas und verkauft Strom – dadurch war der Gap besonders groß.

Der Strompreis stieg seit März 2021 rasant an.
Foto: Stadt Wien

STANDARD: Wurden die zweimal 700Millionen Euro Garantie durch Vermögenswerte anderer Unternehmen der Stadt Wien besichert?

Hanke: Nein. Die Garantien ergeben sich durch das gute Rating der Stadt als Gebietskörperschaft.

STANDARD: Die Stadt Wien bestreitet Spekulation aufs Schärfste. Wie erklären Sie dann, dass offenbar dreimal mehr Strom verkauft wurde, als man selbst produziert?

Hanke: Da sind viele falsche Zahlen und Anschuldigungen im Umlauf. Wien Energie verkauft aktuell weniger Strom an der Börse, als sie in einem Jahr produziert.

STANDARD: Gab es einen Zeitpunkt in der vergangenen Woche, an dem die Wien Energie ohne Hilfe des Bundes zahlungsunfähig gewesen wäre?

Hanke: Nein, den gab es nicht. Weil wir ja diese 1,75 Milliarden Euro an Sicherheiten beigebracht haben. Es ging um die Vorsorge, die wir treffen wollten, die ja unser politisches Ziel war. Die ist mit den zwei Kreditlinien, jener der Stadt und jener des Bundes, jetzt gegeben. Ich bin aber Eigentümervertreter, nicht Geschäftsführer, nicht Aufsichtsrat.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Hanke: Dass ich nicht in die laufenden Geschäfte einsehe und klarerweise davon ausgehe, dass jeder in dieser Struktur seine Rolle und seinen Job bestmöglich ausfüllt.

STANDARD: Sind Sie da sicher?

Hanke: Wichtig ist, dass kein Euro verwendet wurde, um Verluste abzudecken. Es geht um Liquidität und Versorgungssicherheit in einer ungewissen Zukunft. Aus den Berichten der Vorjahre kann man sehen, dass Wien Energie Gewinne schreibt und sauber agiert.

STANDARD: Andere Energieunternehmen haben ihre Future-Positionen schon im Frühjahr, zu Beginn des Ukraine-Kriegs, glattgestellt. Weil damals schon absehbar war, dass die Preise steigen werden. Hat das Risikomanagement bei Wien Energie versagt?

Hanke: Darüber möchte ich Klarheit haben. Aus heutiger Sicht: nein. Aber wir haben den Stadtrechnungshof mit der Prüfung beauftragt, einen externen Gutachter, ich werde mir das selbst alles ganz genau anschauen. Open Data, lautet jetzt die Devise.

STANDARD: Wenn Fehler passiert sind: Wird es auch personelle Konsequenzen geben?

Hanke: Ich stelle hier sicher nichts in den Raum. Wenn Fehler passiert sein sollten, wird man sie analysieren müssen und entsprechende Schlussfolgerungen ziehen. Wie sich das gehört.

STANDARD: Augenscheinlich sind Fehler in der Kommunikation passiert. Was hätten Sie mit heutigem Wissen gerne anders gemacht?

Hanke: Hinterher ist man immer gescheiter, aber die Krisenkommunikation ist sicher verbesserungswürdig. Wir waren hier zu langsam. Aber wir haben auch nicht geahnt, dass hier sehr rasch politisches Kleingeld gewechselt wird.

STANDARD: Ist das nicht auch zum Teil Ihre Verantwortung? Warum waren Sie beim Energiegipfel am Sonntag im Kanzleramt nicht dabei, warum nicht bei der Pressekonferenz, als die Einigung verkündet wurde?

Hanke: Am Sonntag war eine Expertenrunde geladen. 40 Personen haben teilgenommen. Es war klar, dass es dabei auch um die Wien Energie gehen wird und muss. Aber man hat uns vorher gesagt, es werde bei dieser Sitzung vor allem darum gehen, mit Experten zu beraten, wie der gesamten Branche in schwierigen Zeiten geholfen werden kann. Danach gab es ja die politischen Gespräche zwischen dem Finanzminister und mir über dieses Darlehen.

STANDARD: Wie groß ist der Imageschaden für die Wien Energie?

Hanke: Es wird eine Zeit dauern, bis dieser Imageschaden wieder behoben ist. Daher auch totale Transparenz und schnellstmögliche Aufklärung, was wirklich war. (Petra Stuiber, 3.9.2022)