Geiger Emmanuel Tjeknavorian verschiebt seinen Schwerpunkt Richtung Dirigieren.
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Porträt eines Künstlers im Wandel

Auf seiner Homepage steht vor seinem Namen: "Dirigent/Geiger". In dieser Reihenfolge. Und tatsächlich hat sich bei Emmanuel Tjeknavorian eine Verschiebung der beruflichen Prioritäten ergeben. Der gebürtige Wiener mit armenischen Wurzeln, der in jungen Jahren als "Great Talent" und als "Rising Star" der Violine auf den Podien der wichtigsten Konzerthäuser auftrat, hat sich mehr und mehr dem Dirigieren verschrieben, und zwar so sehr und so erfolgreich, dass Tjeknavorian Anfang letzten Jahres die Entscheidung traf, keine neuen Angebote für Auftritte als Geiger mehr anzunehmen.

In diesem Sommer hat er auf der Violine noch in rund 40 Konzerten fast ebenso viele verschiedene Werke gespielt. Ab September ist mit so einem extremen Pensum Schluss. Auf einer Tournee mit dem Orchestra Filarmonica della Scala mit Riccardo Chailly wird der 27-Jährige Anfang 2023 noch Prokofjews 1. Violinkonzert interpretieren, auch bei drei vereinbarten Residenzen als Porträtkünstler wird Tjeknavorian noch aufgeigen. Das war’s dann. Wie gut also, dass eine der drei Porträtreihen im Konzerthaus stattfindet. Im Rahmen dieser Serie, die acht Auftritte umfasst, wird Tjeknavorian schon vorrangig als Orchesterleiter zu erleben sein – so etwa gegen Ende der Saison im Mai 2023 und im Juni bei drei Konzerten mit dem Wiener Kammer-Orchester und Werken der Ersten und Zweiten Wiener Schule. Klaviertrio (mit dem Cellisten Daniel Müller-Schott und der Pianistin Anna Vinnitskaya) spielt er zudem, und auch bei den ganz Kleinen schaut Tjeknavorian in der Reihe Allez hop vorbei, netterweise.

Als Solist erwünscht

Das Eröffnungskonzert seiner Porträtreihe – und gleichzeitig auch des Zyklus Cuvée – findet (am 26. 9.) mit den Wiener Symphonikern statt. Als Solist von Violinkonzerten (Beethoven, Mendelssohn, Tschaikowski) hat der Künstler mit dem überquellenden Lockenkopf schon seit fünf Jahren mit dem Wiener Orchester musiziert. Als Dirigent ist die Zusammenarbeit mit den Symphonikern aber eine Premiere. Bewusst wollte er hier nicht wieder eines der großen Violinkonzerte interpretieren; unbedingt aber wünschten die Symphoniker seine solistische Mitwirkung.

Und so kam man bei der Programmwahl auf Haydns Sinfonia concertante, die es Tjeknavorian (und seinem Co-Solisten, dem Solocellisten Christoph Stradner) erlaubt, solistisch zu agieren und Teil des Orchesters zu sein. Die Tragische Ouvertüre und die Haydn-Variationen von Brahms eröffnen das Konzert, beschlossen wird es mit zwei Werken aus der Strauß-Dynastie, die es Brahms besonders angetan hatten, Die Libelle sowie Wein, Weib und Gesang. Das letztgenannte Werk schlägt dabei eine Brücke zur Weinverkostung, die bei den zwei Cuvée-Zyklen vor jedem Konzert im Schubert-Saal stattfindet.

Große Liebe Geige

Noch einmal zurück zu jener Zeit, als Tjeknavorian beschloss, bald keine Konzerte als Geiger zu spielen. "Ich wollte nicht, dass man sagt: Das ist ein Geiger, der auch dirigiert." Dem Sohn eines Dirigenten war es auch klar, welcher Zeitaufwand das Metier mit dem Studium der Partituren und der Sekundärliteratur bedeutet. Schon früh war er bei vielen Orchesterproben seines Vaters Loris dabei, mit 17 Jahren hat er dann erste Meisterkurse besucht und kleine Orchester dirigiert.

Wird er die Rolle als Geiger nicht vermissen? "Die Geige ist meine Stimme, sie ist auch meine große Liebe unter den Instrumenten", stellt er klar. Aber wenn bei einem Orchesterkonzert 80 Menschen zusammen atmen würden, wenn bei einem Übergang die Dinge zu schweben begännen … das sei magisch. In der neuen Saison werden sich hoffentlich einige dieser Momente ereignen, Tjeknavorian dirigiert ein knappes Dutzend Orchester, darunter das Orchestra Sinfonica di Milano, das HR-Sinfonieorchester und das RSO Berlin. Wahrscheinlich ist, dass in einiger Zeit auf der Homepage von Tjeknavorian nur noch die Berufsbezeichnung Dirigent zu lesen sein wird.

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Portugiesin mit sanfter und einnehmender Stimme: Cristina Branco.
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Lieder für die Freiheit

Fünf Konzerte umfasst der Abozyklus World in dieser Saison, und die Stimmen aus aller Welt, die im Wiener Konzerthaus dabei erklingen, sie sind großteils weiblich. Den Auftakt macht mit Lila Downs (am 4. 10.) eine Sängerin, die schon biografisch mehrere Welten in sich trägt: die ihres US-amerikanischen Vaters mit schottischen Wurzeln und ihrer mexikanischen Mutter, einer Mixtekin. Downs wird im Laufe ihres Lebens auch musikalisch zur Wanderin zwischen den Welten Nord- und Mittelamerikas – zahlreiche Alben der Grammy-Preisträgerin legen davon klingend Zeugnis ab.

Schon 1999 trat Downs in der Hollywood Bowl auf, 2003 gelang ihr durch ihre Mitwirkung im Film Frida an der Seite von Selma Hayek der internationale Durchbruch, einer ihrer Songs wurde für den Oscar nominiert. So farbstark wie Frida Kahlos Bilder sind auch die Outfits der 52-Jährigen; bei ihren Liedern gibt sie etwa auf ih- rem aktuellen Album Al Chile aber auch einer abgeklärten Melancholie Raum. Das Schlagzeug tschackert unbeirrbar vor sich hin, und die Trompeten singen im Terzabstand auf eine Weise ihre Weisen, die sogar Helge Schneider erfreuen könnte. Trompeten gibt es bei Cristina Branco nicht, dafür ein Keyboard, eine Gitarre und einen Kontrabass.

Lila Downs: Einer ihrer Songs wurde für den Oscar nominiert.
Foto: Konzerthaus

Und dazu natürlich die sanfte Stimme der Portugiesin, die im Gegensatz zu Downs nicht zum ersten Mal im Konzerthaus zu Gast ist. Die 49-Jährige wird (am 5. 11.) Songs aus ihrem Album Eva (2020) singen, die um die Frage der Freiheit kreisen. Seit einigen Jahren schon ist Eva eine Art Alter Ego der Künstlerin, das sich mehr und mehr Raum erspielte und nun sogar zu einem Album-Ehren kam: Mit Eva beschloss Cristina Branco ihre mit Menina begonnene und mit dem Album Branco fortgesetzte Trilogie. Und so wird sich die Künstlerin zusammen mit den Musikern Luís Figueiredo, Bernardo Couto und Bernardo Moreira auf die Suche nach ihrer persönlichen Freiheit machen, mit sanften Tönen und Harmoniefolgen. (Stefan Ender 2.9.2022)