Putins Tochter Katarina Tichonowa leitet die Organisation Innopraktika. Zuvor war sie mit einem Oligarchen verheiratet.

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Mit der Nummer 912 auf der Sanktionsliste der Europäischen Union wurde es für den russischen Präsidenten Wladimir Putin persönlich: Mit der Zahl bedacht wurde seine eigene Tochter Katerina Tichonowa. Als frühere Leiterin des Instituts für künstliche Intelligenz an der Moskauer Staatsuniversität und als Chefin der Entwicklungsorganisation Innopraktika, die von wichtigen russischen Unternehmen finanziert werde, sei sie zusätzlich zu ihren Verwandtschaftsverhältnissen eng mit der russischen Regierung verbunden, heißt es in der Begründung der EU. Sie darf seit April 2022 nicht mehr in die EU einreisen, genau wie ihre Schwester, die ebenfalls sanktioniert wurde.

Dabei hat Tichonowa das früher sehr gern gemacht, wie Recherchen des SPIEGEL und des russischen Investigativportals "Istories" vergangene Woche enthüllten. Mehr als 20-mal reiste sie in den vergangenen Jahren nach Deutschland. Vor allem Bayern hatte es ihr angetan – wohl weil sie nach allem, was man weiß, seit einiger Zeit mit dem damaligen Leiter des Bayerischen Staatsballetts, Igor Selenski, zusammen ist und ein gemeinsames Kind hat.

"Keine Notifizierung"

Aber auch Österreich gehörte zu Tichonowas Reisezielen, wie weitere Recherchen des STANDARD und von Paper Trail Media, der von Frederik Obermaier und Bastian Obermayer gegründeten Investigativfirma, zeigen. Zwischen 2015 bis 2019 landeten mindestens vier Maschinen am Wiener Flughafen, die Tichonowa oder ihre Sicherheitsleute nach Österreich gebracht haben. Den Behörden dürfte das nicht bekannt gewesen sein. Dem Außenministerium liegen "keine Notifizierung von Aufenthalten der genannten Person durch die Botschaft der Russischen Föderation vor".

Prinzipiell musste sich Tichonowa vor der Verhängung von Sanktionen auch nicht anmelden, wenn sie nach Österreich kam. Eine Meldung hätte den Behörden aber geholfen, die Sicherheitslage einzuschätzen, hatte Putin doch stets viele Feinde – und seine Tochter wäre vermutlich für die ein Anschlagsziel.

Auch wirft ihre Begleitung einige Fragen auf. Dabei soll es sich unter anderem um Personenschützer aus der russischen Präsidentengarde FSO handeln. Dass die unbewaffnet waren, ist laut SPIEGEL-Recherchen nahezu ausgeschlossen. Um Berechtigungen für das Tragen von Waffen soll sich Tichonowas Tross in Deutschland aber nicht gekümmert haben. Ebenso wiesen sowohl ihr Reisepass als auch die Dokumente ihrer Begleiter erhebliche Ungereimtheiten auf. Wie war das in Österreich, wo Tichonowa vor allem in Luxusresidenzen in Kitzbühel abstieg? Das Innenministerium beruft sich auf den Datenschutz und verweist bei der Frage nach womöglich bewaffneter Einreise der Personenschützer nur allgemein auf das österreichische Waffengesetz.

Lockerer Umgang

Sicherheitsbeamte erklären hinter vorgehaltener Hand, dass die Reisen in Verfassungsschutz oder Innenministerium kein Thema gewesen seien. Die spärlichen Ressourcen hätten in die Analyse akuter Bedrohungen fließen müssen, außerdem wäre es rechtlich schwierig gewesen, eine Beobachtung nach dem Sicherheitspolizeigesetz zu begründen.

Die Vorgänge fügen sich in das Bild ein, das österreichische Behörden in den vergangenen Jahren im Umgang mit dem russischen Geld- und Politadel abgegeben haben. Zeitweise gab es sogar Gerüchte, Putin selbst habe eine Immobilie in Kitzbühel erworben – die in Tirol sogar mit einem Anflug von Stolz verbreitet worden sind. Seine Tochter soll laut Recherchen im August 2019 in den Fünf-Sterne-Residenzen Tennerhof und Römerhof abgestiegen sein. Beide gehören Luigi Pasquali. Der Hotelier sagt auf Anfrage, er sei "das Gegenteil von vielen anderen", weil er "keine Fotos von den Gästen" aufhänge, sondern sie in Ruhe lasse. Dem zufolge beantworte er auch derartige Anfragen nie.

Putin selbst urlaubte schon 1992 in Österreich und kam später in offizieller Funktion auffallend oft nach Wien. In Erinnerung bleibt etwa sein Tanz mit der damaligen Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) bei deren Hochzeit in der Steiermark.

Putin im Jahr 2001 mit dem damaligen Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) am Arlberg.
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Wenn der Staatsschutz in Österreich aktiv wurde, dann eher, um Putins politische Gegner zu untersuchen. Beobachtet wurde etwa Jelena Baturina, die Witwe des früheren Moskauer Bürgermeisters, der Korruptionsvorwürfe gemacht werden. Sie hält sich immer wieder in Tirol auf.

Den Umgang mit Russland untersuchen wollen vor allem Oppositionsparteien. Die Neos brachten mehrfach einen Untersuchungsausschuss zu den Russland-Beziehungen der österreichischen Regierung ins Spiel, auch SPÖ und Grüne zeigten sich offen. Einen Vorgeschmack darauf liefert nächste Woche der ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss; da soll es um die Deals des staatlichen Energiekonzerns OMV gehen. (Fabian Schmid, 4.9.2022)