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Im Schlaraffenland der Spiele kann es manchmal vorkommen, dass der Griff zu Controller oder Maus und Tastatur länger dauert als erhofft.

Foto: Getty Images/David McNew

Es ist Freitagabend, die Vorfreude groß: Nach dem wöchentlichen Update zu Ringe der Macht bleibt etwas Zeit für ein Spielchen. Der Gamer in mir reibt sich die Hände. Aber was soll es bloß werden? Der Gipfel der Platin-Trophäe ist in Elden Ring längst erklommen, ein Dacapo mit einem anderen Build fühlte sich vor kurzem aber noch irgendwie falsch an.

Die inhaltliche Leere nach meinem persönlichen Spiel des Jahres lässt die meisten Spiele danach gefühlt so wirken, als hätten Rise of the Robots und Pit Fighter zu viele Kinder bekommen. Okay, ganz so schlimm ist es dann womöglich doch nicht. Und wer nicht wie ich in den 1990er-Jahren aufgewachsen ist, kennt diese "Eltern" zum Glück auch nicht.

Darf's ein bisschen mehr sein?

Gedanklich noch immer ein bisschen im Universum von Herr der Ringe, wälze ich mich in meiner Spielebibliothek, wie es Smaug in seinem Goldschatz am Einsamen Berg tat. Geblendet vom dunklen Verlangen scheinbaren Reichtums, aber unfähig, auch nur ein Schmuckstück wirklich zu schätzen, scrolle ich mich am PC-Monitor durch die Listen von Steam und Game Pass. Und finde trotz hunderter Titel, die sich dort im Lauf der letzten Jahre angehäuft haben, kein Spiel, das mich in diesem Moment anspricht.

Halo Infinite vielleicht? Nein, ich wollte ja auf das Raytracing-Update warten. Und außerdem habe ich einem Freund versprochen, mit ihm gemeinsam die Koop-Kampagne zu spielen. Wie wäre es endlich mit Metro Exodus Enhanced? Üppige 80 GB Download, darauf mag ich jetzt nicht warten müssen. Den letzten DLC zu Control vielleicht nachholen? Mittendrin aufgehört, dauert mir zu lange, wieder reinzukommen. Death Stranding? Jetzt noch damit anfangen? Weiß nicht, beim Erzähltempo von Kojima schaffe ich heute knapp noch den Vorspann. Ich hab's: Immortality, das hat doch so gute Kritiken bekommen! Aber Videodetektiv spielen? Entspricht auch nicht gerade meiner Stimmung.

Emotionale Achterbahnfahrt

Spätestens den Rest werden Gamerinnen und Gamer schon öfter erlebt haben: Hat man in so einer Situation der Unschlüssigkeit dann endlich eine vermeintliche Perle in den Untiefen des eigenen Spielehorts ausgemacht, erinnert man sich spätestens zehn Minuten nach Wiederaufnahme des Spiels, weshalb genau dort der richtige Platz dafür war. Wer masochistisch genug veranlagt ist, beginnt jetzt von vorne. Viele aber wenden sich verärgert ab, und das ist verständlich. Schade, denn die Lust aufs Spielen war ja ursprünglich vorhanden.

Das Luxusproblem einer großen Auswahl an Unterhaltung scheint heutzutage also leider weniger denn je eine Garantie für gute Unterhaltung zu sein. Das gleiche Dilemma lässt sich im übrigen auch mit Streamingplattformen wie Netflix oder Disney+ leicht nachvollziehen. Immerhin habe ich den PC dann abgedreht, die Meta Quest 2 aufgesetzt und ein paar Runden Beat Saber bestritten. In der Hoffnung, dass ich mich wenigstens etwas bewegen würde, falls auch dabei die Spielspaßkurve rasch abfallen sollte. Aber das ist eine andere Geschichte. (Benjamin Brandtner, 10.9.2022)