Im Gastblog zeigen die Wissenschafter Simon Lüchinger und Christoph Moser, aus welchen Gründen Personen aus der Politik nach ihrem Ausscheiden von privatwirtschaftlichen Unternehmen als attraktive Arbeitskräfte gesehen werden.

Die kürzlich erfolgten Rücktritte der ehemaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Christian Kern sowie der ehemaligen Außenministerin Karin Kneissl von ihren russischen Aufsichtsratsmandaten lenken die Aufmerksamkeit wieder auf das Drehtürphänomen (auf Englisch "revolving door") – die Seitenwechsel von Personen aus Politik und Behörden in die Privatwirtschaft.

Erzeugt der Wechsel von der Politik in die Privatwirtschaft unfaire Vorteile für Unternehmen?
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Ein besonders prominenter österreichischer Seitenwechsler ist Altkanzler Alfred Gusenbauer. Kurz nach dem Ausscheiden aus der Politik wurde er Aufsichtsrat der Bau- und Immobilienunternehmen Alpine Holding und Signa Holding, bevor er von der Alpine Holding zu deren Konkurrenz Strabag wechselte. Danach sammelte er fleißig weitere Mandate in den Aufsichts- und Beiräten des Bergbauunternehmens Gabriel Resources, der Bank Citigroup, des Glückspielunternehmens Löwen Entertainment und – später – dessen Mutterkonzerns Novomatic, des Feuerfestwerkstoffproduzenten RHI sowie weiterer Unternehmen.

Nutzen für die Gesellschaft?

Für Personen in öffentlichen Ämtern und in der Politik ist die Option einer einträglichen Beschäftigung in der Privatwirtschaft nach dem Ausscheiden aus dem Amt zweifellos attraktiv. Doch was können sich die Unternehmen von der Verpflichtung ehemaliger Politikerinnen und Politiker versprechen? Und wie sind solche Seitenwechsel aus gesellschaftlicher Sicht zu bewerten? In einem jüngst erschienenen Übersichtsartikel haben wir die Erkenntnisse der umfangreichen wissenschaftlichen Literatur zu diesen beiden Fragen zusammengetragen. Dabei zeigt sich: Auch für die Unternehmen sind die Seitenwechsel sehr lohnenswert.

Aus gesellschaftlicher Perspektive hingegen ist das Drehtürphänomen kritisch zu betrachten. Während die Aussicht auf eine spätere Position im Privatsektor durchaus gesellschaftlich positive Auswirkungen auf die Amtsführung der betroffenen Personen haben kann, existiert auch gute Evidenz dafür, dass Unternehmen von Seitenwechseln unfair profitieren.

Gegenseitige Gefälligkeiten

Die Aussicht auf einen Wechsel vom öffentlichen in den privaten Sektor hat möglicherweise schon während ihrer Amtszeit einen Einfluss auf die Personen im öffentlichen Sektor. Einerseits sind sie zusätzlich motiviert, durch eine kompetente und korrekte Amtsführung ihren Sachverstand und ihr Können zu demonstrieren und sich so möglichen zukünftigen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern zu empfehlen. Andererseits können sie versuchen, durch eine ungerechtfertigte Bevorzugung bestimmter Unternehmen ihre Chancen auf eine spätere Anstellung bei ebendiesen Unternehmen zu verbessern.

Die beiden Einflüsse des Drehtürphänomens sind in ihrer gesellschaftlichen Beurteilung diametral unterschiedlich. Während der erste Einfluss zu einer guten Amtsführung beiträgt, hat der zweite eine korrumpierende Wirkung. Die beiden Einflüsse können gleichzeitig wirken, wie eine Studie für das amerikanische Patentamt zeigt. Zukünftige Seitenwechslerinnen und Seitenwechsler gewähren demnach im Allgemeinen zurückhaltender Patentschutz als im Patentamt verbleibende Personen. Die von ihnen bewilligten Patente weisen eine höhere Qualität auf und werden deshalb häufiger zitiert. Ausnahmen sind allerdings die Patente jener Unternehmen, bei denen die Personen nach ihrer Zeit im Patentamt anheuern. Diese Unternehmen erfahren viel Großzügigkeit von ihren künftigen Mitarbeitenden – mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die Qualität bewilligter Patente.

Seitenwechsel als Türöffner

Welche Auswirkungen kann ein erfolgter Seitenwechsel wie jener Alfred Gusenbauers zur Alpine Holding und den weiteren Unternehmen haben? Auch in solchen Fällen können die Unternehmen wie auch die Gesellschaft insgesamt profitieren. Die Seitenwechslerinnen und Seitenwechsler können als Mittlerinnen und Mittler zwischen Wirtschaft und Politik dienen und damit dazu beitragen, den Informationsfluss zwischen den Sektoren zu verbessern und Transaktionshemmnisse zu mindern. Offensichtlich können sich Unternehmen aus Seitenwechseln auch ungerechtfertigte und gesellschaftlich unerwünschte Vorteile verschaffen.

Personen, die die Drehtür durchschritten haben, können den Unternehmen Zugang zu wichtigen politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern vermitteln. Dies erlaubt den Unternehmen dann, Einfluss auf Politik und Behörden zu nehmen und einen Informationsvorteil gegenüber der Konkurrenz zu gewinnen. Die Liste konkreter Vorteile ist lang. Die Forschungsliteratur liefert Belege für Wettbewerbsvorteile bei öffentlichen Aufträgen und für eine wohlwollende und nachsichtige Behandlung durch Steuer- und Wettbewerbsbehörden. Denkbar ist auch der Zugang zu vertraulichen Angaben über bevorstehende Regulierungsentscheidungen und über die Konkurrenz.

Um die Auswirkungen erfolgter Seitenwechsel für die betroffenen Unternehmen umfassend zu ermitteln, können Finanzmarktreaktionen auf die Mitteilung der Berufung vormaliger Politikerinnen und Politiker analysiert werden. Die Reaktionen der Aktienpreise spiegeln die Änderungen erwarteter Firmengewinne aufgrund des Seitenwechsels wider. Für Europa haben wir in einer Studie beispielsweise gezeigt, dass die Aktienkurse von Unternehmen um fast 0,6 Prozent ansteigen, wenn sie die Anwerbung einer ehemaligen EU-Kommissarin oder eines ehemaligen EU-Kommissars verkünden. Die Ergebnisse sind sehr ähnlich im amerikanischen Kontext. Wie unser Übersichtsartikel zeigt, finden Studien für Europa und die USA im Durchschnitt Ankündigungseffekte von rund 0,7 Prozent.

Was für die Unternehmen gut ist, muss für die Gesellschaft selbstverständlich nicht schlecht sein. Aber die Evidenz legt eben doch nahe, dass die Unternehmen vom Drehtürphänomen auf ungerechtfertigte Weise profitieren. So bringen Seitenwechslerinnen und Seitenwechsler den Unternehmen vorwiegend dann etwas, wenn ihr Insiderwissen und ihre Kontakte aktuell sind und wenn ihre Partei noch an der Macht ist. Das Zauberwort scheint demnach tatsächlich "Zugang" zu lauten.

Fazit

Obwohl eine Durchlässigkeit zwischen Politik und Wirtschaft durchaus positive Auswirkungen haben kann, sind die weitverbreiteten Bedenken gegenüber dem Drehtürphänomen berechtigt. Entsprechend lohnt es sich, eine höhere Transparenz einzufordern und über mögliche Maßnahmen wie Karenzfristen oder Einschränkungen gewisser Tätigkeiten nachzudenken. Aber auch hier gilt es abzuwägen: Wenn die Maßnahmen fast einem Berufsverbot gleichkommen, werden Politik und Behörden Rekrutierungsprobleme bekommen. (Simon Lüchinger, Christoph Moser, 6.9.2022)