Barbara steigt aus einem roten Cabrio. Das Dach heruntergelassen, am Steuer sitzt ihre Zwillingsschwester Annely. Die 19-Jährige mit dem gestuften Haar wird für RONDO vor der Kamera stehen, es ist ihr allererstes Shooting. Und das ohne die Schwester, die drückt schon wieder aufs Gas. Dass Barbara modelt, ist einigen Zufällen zu verdanken. Und natürlich Sarah Walder. Die 26-jährige Tirolerin leitet mit Anna Francesca Gösselbauer "das Deck", eine kleine, junge Modelagentur mit Sitz in Wien.

Der Website sieht man den Standort der Agentur nicht an. Sie sieht eher nach einem internationalen Videokunstprojekt aus: Wie in Warhols Screen Tests schauen die Models da mal schüchtern, mal herausfordernd in die Kamera. Gedreht hat die Videos Anna Francesca Gösselbauer. Die 25-Jährige ist unter anderem für Fotos und Bewegtbild zuständig. Auch die Schwestern Barbara und Annely sind nach einem ersten Treffen im Wiener Studio von ihr fotografiert worden. Diese Bilder sind wichtig, wie Bewerbungsfotos werden sie an die Kunden verschickt.

Eric Asamoah hat fotografiert, hier die Models Adia (links, in Paul Smith) und Barbara in (Miu Miu).
Eric Asamoah
Adia (oben) in einem Pullover von Louis Vuitton, Ana (Mitte) trägt einen Pullover von Dior und eine Hose von Christina Seewald, Barbara (unten) in einem Pullover von Louis Vuitton und einer Hose von Wolford.
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Junge Modelagenturen mit einem Gespür für den Zeitgeist mischen seit einiger Zeit den internationalen Markt auf . Das ist wenig verwunderlich. Die Branche ist immer auf der Suche nach neuen Gesichtern. Ein Grund dafür, neben der Unersättlichkeit der Branche: Sogenannte New Faces kosten weniger als bekannte Namen.

Agenturen wie die angesagte Midland-Agency aus New York setzen auf diverse Typen, "das Deck" hat ein ähnliches Profil. "Wir setzen uns keine Grenzen, was Körpermaße oder Alter angeht. Wir wollen mit den Leuten arbeiten, wie sie sind", erklären die Mittzwanzigerinnen. Sie stellen sich im Umgang mit ihren Schützlingen Fragen, die in der Branche vor einem Jahrzehnt kaum eine Rolle gespielt haben. "Wir tun uns schwer, unsere Models in klassische Kategorien wie ‚male‘, ‚female‘, ‚plus size‘ oder gar ‚special booking‘ zu unterteilen. Wie muss sich das anfühlen, ein ‚special booking‘ zu sein?", meint Walder. Hinsichtlich der Diversität der Models sei "ein kleiner Schritt in die richtige Richtung" zu beobachten, sagt Gösselbauer – "mit Betonung auf klein."

Barbara trägt ein Outfit von Prada.
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Immer wieder werden Vorwürfe laut, dass Marken und Großkonzerne mit diversen Kampagnen die weißen Unternehmensstrukturen dahinter verstecken. Kurzum: Auch im Modelbusiness ist längst nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Manchmal ecken die beiden mit ihren Prinzipien an: "Wenn uns Agenturen aus dem Ausland auffordern, ein Model müsse an seiner Figur arbeiten, dann lehnen wir das ab."

Adia in einer Strickjacke und einem Mantel von Chanel.
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In Österreich besetzt das Deck noch eine Nische, das aber zunehmend erfolgreich. Model Alina hat für Prada gearbeitet, Konrad für Yves Saint Laurent, Adia für eine Beautykampagne von Gucci. Mittlerweile hat die Agentur eine Handvoll Personen unter Vertrag, daneben gibt es Models, mit denen man unregelmäßig zusammenarbeitet.

Ana trägt einen Pullover von Lacoste, eine Hose von Christina Seewald, darunter eine kurze Hose von Wolford, Stiefel von Tod’s und die Ringe Peekaboo von Bucherer.
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Der Einstieg

Dabei hatten Sarah Walder und Anna Francesca Gösselbauer gar nicht vor, eine eigene Agentur zu gründen. "Das ist uns eher passiert." Die beiden müssen lachen, während sie von ihren Anfängen berichten. Sie lernten sich als Models kennen, beide waren regelmäßig als Scouts unterwegs. Das heißt so viel wie: Sie haben sich auf die Suche nach neuen Models gemacht. Auf Konzerten, Ausstellungseröffnungen, auf der Straße. Einige Supermodels wurden so entdeckt. Deren märchenhaften Karrieren sind immer wieder erzählt worden: Kate Moss wurde auf dem Flughafen JFK gesichtet, Claudia Schiffer in der Düsseldorfer Disco Checkers, Gisele Bündchen in einer New Yorker McDonald’s-Filiale.

Adia in einem Poncho von Tod’s, Barbara in einem Top von A.W.A.K.E und einer Hose von Modus Vivendi.
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Sarah Walder kam durch ihre WG in London mit der Modewelt in Berührung, Anna Francesca Gösselbauer wurde mit 16 auf Facebook von einer Agentur angeschrieben. Sie steht heute noch vor der Kamera, für Kampagnen von Armani, Etro, Celine. Auf ihrem Instagram-Account @superfertig zeigt sie Kampagnenbilder, aber auch, dass sie in der Welt herumkommt. Ob in Mailand oder Basel, auf Instagram sieht das Leben von Anna Francesca unbeschwert, lässig und ein wenig arty aus. Doch die 25-Jährige erinnert sich gut, wie es sich angefühlt hat, zum ersten Mal nach Paris zu fliegen, eine Show zu laufen oder ein Couture-Kleid überzuziehen. "Diese coolen Erfahrungen an Menschen weiterzugeben und ihnen zu helfen, dabei ein Selbstbewusstsein zu entwickeln", das schätze sie an der Arbeit für das Deck, sagt die 25-Jährige.

Adia in einem Hemd von Jana Wieland, Kette Serpenti Viper von Bulgari, Ana trägt einen Body von A.W.A.K.E, Stulpen von Hermès und eine Kette von Chanel.
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Einige Begegnungen haben die Gründung der Wiener Agentur vorangetrieben. 2018 lernt Gösselbauer in Paris im Taxi einen New Yorker Castingdirektor kennen. Er bereitet in Österreich eine Kampagne für Gucci vor. "You are from Vienna, right?" Die Steirerin wird engagiert. Sie hilft beim Cast des Shootings im Südbahnhotel. Dann kommt eines zum anderen. Immer häufiger werden die Österreicherinnen von Brands kontaktiert, schnell auch von internationalen Unternehmen. "Wie kommen die auf uns?", diese Frage stellten sich die Agenturchefinnen, die mittlerweile zwei Mitarbeiterinnen haben, häufiger.

Sensibilisiert durch eigene Erfahrungen

Der Steirerin und der Tirolerin kommt zugute: Sie kennen den Job, die Branche und ihre Eigenheiten, sind gut vernetzt. Die Erfahrungen in der Modelbranche haben die Mittzwanzigerinnen gleichzeitig sensibilisiert. Auch wenn es um vermeintliche Kleinigkeiten geht. Gösselbauer weiß genau, wie sich der erste Job angefühlt hat. Damals war sie 16 und wurde nur rudimentär vorbereitet. "Ich habe in der Nacht davor vor lauter Nervosität nicht schlafen können. Das muss nicht sein." So etwas, betont die gebürtige Grazerin, würde in ihrer Agentur nicht passieren: "Models sollen sich zu jedem Zeitpunkt wohlfühlen und keine Angst haben, Zweifel zu äußern oder nachzufragen."

Und so hat Sarah Walder Newcomerin Barbara vorab erklärt, was am Set passieren wird: Styling, Make-up, wer kennt sich als Neuling schon mit den Abläufen aus? Die Vorbereitung zahlt sich aus. Hätte die 19-Jährige nicht selbst ausgeplaudert, dass sie neben den erfahreneren Kolleginnen Adia und Ana zum ersten Mal vor der Kamera steht, es wäre nicht aufgefallen. (RONDO, Anne Feldkamp, 8.9.2022)