Vorzeigepaar in Nöten: Harry Styles und Florence Pugh in "Don’t Worry Darling".

Foto: Warner Media

Manche Filme segeln mit hohen Erwartungen nach Venedig, manche schleppen eine Ladung "Gossip" mit. Auf Don’t Worry Darling trifft gleich beides zu. Der Film ist eine der gewichtigen Warner-Produktionen dieses Herbstes und hatte bereits während des Drehs überall groß "Drama!" stehen. Zuerst wurde die Rolle statt mit Shia LaBeouf mit Harry Styles besetzt, dann wurden Regisseurin Olivia Wilde und der britische Superstar am Set ein Paar. Schließlich gingen noch Gerüchte um, dass der Neo-Boyfriend ein höheres Gehalt als Florence Pugh bezogen haben soll. Dies wurde später dementiert – jetzt blieb Pugh in Venedig der Pressekonferenz fern.

Warner Bros. Pictures

Die Fans von Styles campierten am Montag jedenfalls schon am Morgen vor dem roten Teppich, und das bei bleierner Hitze. Das passt gut zu einem Film, in dem glückliches Leben ausgerechnet als Utopie-Suburbia in der Wüste imaginiert wird. Häuschen reiht sich an Häuschen in einer an die 1950er erinnernden Scheinidylle – nun ja, zumindest für die Ehemänner trifft das zu. Styles fährt als Jack morgens im schnittigen Cabrio zu seinem supergeheimen Job, während Alice (Pugh) zwischen Wohnungsputz, Martinis mit Nachbarinnen und Shopping einen eher limitierten Radius hat. Immerhin der Sex ist gut.

Fake-Oase

Die Irritationen, mit denen Wilde in ihrer zweiten Regie nach Booksmart den Verdacht streut, dass der Ort eine Fake-Oase ist, sind pointiert gesetzt. Bei Alice mehren sich Zweifel, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Wenn sie beim Fensterputzen vom eigenen Wohnregal ans Glas gepresst wird, erzählt dies ganz sinnbildhaft von der Beengtheit eines überholten Frauenbilds.

Wilde changiert mit einer visuell sicheren Inszenierung gelungen zwischen Paranoia-Thriller und Gender-Parabel. Von den zahlreichen Vorbildern solcher Multiverse-Dystopien wie etwa The Truman Show kann sie sich aber nicht ganz zufriedenstellend lösen.

Fatsuit in XXL

Die Zahl der starbesetzten Unterhaltungsfilme war in Venedig in den letzten Tagen groß: Darren Aronofskys The Whale, ein Kammerspiel über einen adipösen Mann, der schwer herzkrank zu seiner renitenten Teenagertochter Verbindung sucht, blieb erzählerisch schematisch. Der Schauwert dieses Films heißt Brendan Fraser, der sich im XXL-Fatsuit kaum von der Couch erheben kann – ein Wulstspektakel, das zu forciert nach Empathie ruft und das Aronofsky mit bei ihm seltener Einfallslosigkeit serviert.

SearchlightPictures

Der irische Dramatiker und Regisseur Martin McDonagh liefert fünf Jahre nach Three Billboards Outside Ebbing, Missouri mit The Banshees of Inisherin dagegen ein weiteres Provinzstück, in dem er eindrücklich sein Talent für trockenen Dialogwitz unter Beweis stellt. Sein spöttischer Blick richtet sich auf zwei Käuze, die sich auf einer Insel ein Duell der Nichtigkeiten liefern.

Menschliche Seite

Brendan Gleeson und Colin Farrell brillieren als ungleiches Gespann, das durch einen Nervenkrieg verbunden bleibt, nachdem der Ältere, Melancholischere der beiden dem anderen die Freundschaft aufkündigt. Wie Farrells schlichter, herzensguter Kleinbauer die Härte seines Pub-Freundes nicht akzeptieren will, hat neben aller Komik auch eine zutiefst menschliche Seite: Wenig ist schwieriger zu ertragen als Zurückweisung.

Wie vielfältig das Programm am Lido heuer ist, zeigt indes auch, dass man mit Laura Poitras’ All the Beauty and the Bloodshed einen großartigen Dokumentarfilm im Wettbewerb findet. Die durch ihren Film über Edward Snowden bekannte US-Regisseurin hält darin den Kampf der US-Künstlerin Nan Goldin gegen die milliardenschwere Sackler-Familie fest, die für ihre Rolle in der Opioid-Krise nie belangt wurde.

The Playlist

Zugleich ist der Film ein Porträt der Fotografin, das ihr in jeder Hinsicht würdig ist, ein Beispiel für die enge Verbindung von Politik und Kunst, eine Ode auf die Gegenkultur im New York der 1970- und 1980er-Jahre, die durch Aids zerrissen wurde. Es geht um Geschichte und darum, wie sie sich wiederholt. (Dominik Kamalzadeh, 6.9.2022)