Die Pass-egal-Wahl, bei der Menschen ohne Wahlrecht in Österreich auch vor der Kür des Bundespräsidenten wieder zu den Urnen schreiten, begleitet die demokratische Mehrheitsfindung in Österreich schon seit Jahren. Die durch sie kritisierte Situation hat sich in dieser Zeit weiter zugespitzt. Inzwischen darf jeder fünfte in Österreich dauerhaft lebende Mensch nicht wählen, weil er oder sie keine hiesige Staatsbürgerschaft besitzt. In Graz, Linz und Innsbruck ist es sogar jede vierte, in Wien jede dritte Person.

Die ÖVP befürwortet diesen demokratiepolitisch höchst bedenklichen Zustand. Seit 35 Jahren in Regierungsverantwortung, hat sie für dessen Aufrechterhaltung gesorgt – zuletzt mit dem Argument einer andernfalls drohenden "Entwertung der Staatsbürgerschaft", wie es ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner ausdrückte.

SOS Mitmensch will seit Jahren mit der Pass-egal-Wahl auf demokratiepolitische Defizite aufmerksam machen.
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Einwanderungsgesellschaft braucht Partizipation

Damit hat diese Partei einen staatsbürgerschaftsrechtlichen Reformstau angehäuft, der historisch mit dem bis 1975 mitgeschleppten veralteten Familienrecht vergleichbar ist. Damals passte der Mann als automatisches Familienoberhaupt zu den sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnissen ebenso wenig, wie es in der heutigen Einwanderungsgesellschaft der Ausschluss eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung von Wahlen als zentralem demokratischem Instrument tut.

Dieses jedoch muss gerade jetzt hochgehalten werden. In vielen Teilen der Welt laufen offene Angriffe auf die Demokratie, eine höchst gefährliche Situation. Also muss sie dort, wo sie existiert, durch Partizipation so gut es geht gestärkt werden. Ein Wahlrecht für alle, die fix in Österreich leben, ist dafür unverzichtbar. (Irene Brickner, 6.9.2022)