Ein MIG-31-Kampfjet trägt eine Kinschal-Hyperschallrakete zu Demonstrationszwecken über den Moskauer Roten Platz. Die Ukraine behauptet, dass ebenjene Rakete langsam rar wird in Russlands Arsenalen.

Foto: EPA/MAXIM SHIPENKOV

Inmitten der Debatte, ob die Wirtschaftssanktionen des Westens Russland tatsächlich wie angestrebt treffen, lässt eine Recherche des US-Portals "Politico" am Dienstag aufhorchen: Moskau, heißt es dort, gehen langsam, aber sicher seine Hightech-Waffen aus. Grund dafür: Wegen des rigiden Sanktionsregimes werden kaum mehr Halbleiter nach Russland geliefert, die bei der Armee in Raketen verbaut werden. Halbleiter sind der Hauptbestandteil von Mikrochips, die etwa die Flugbahn von Raketen lenken.

Kiew, wo man nun schon seit mehr als sechs Monaten einem russischen Angriffskrieg gegenübersteht, warnt die internationale Gemeinschaft seit Wochen, dass Russland die fehlenden Teile verzweifelt auf dem Schwarzmarkt zu erstehen versucht. Neben Halbleitern geht es auch um Transformer und andere Komponenten von Mikrochips. Eine von Moskaus Shoppinglisten, die vor allem Güter deutscher, niederländischer und britischer Unternehmen sowie jener aus den USA, Taiwan und Japan umfasst, liegt "Politico" vor.

Extreme Maßnahmen

Dort wird ersichtlich, wie schwer Russlands Militärkomplex von den westlichen Sanktionen getroffen wird – jedenfalls auf dem heiklen Gebiet der Hightech-Waffensysteme. Teils, so hieß es schon im Frühling vonseiten der US-Regierung, bauten russische Ingenieure besonders begehrte Chips aus Haushaltsgeräten wie Geschirrspülmaschinen aus – um sie anschließend der Armee zuzuführen.

Während ukrainische Quellen berichten, dass Moskaus Armee mangels Reserven an modernem Gerät mittlerweile vor allem auf Raketentypen aus der Sowjetzeit setzt, fürchten andere, dass Russlands Begehr in China durchaus gehört werden könnte. Peking könnte sich als Zwischenhändler zur Verfügung stellen und Hightech-Teile, die für Moskau wegen der Sanktionen außer Reichweite sind, dorthin weiterverkaufen. Auch schlichter Schmuggel über die mehr als 4.000 Kilometer lange chinesisch-russische Landgrenze könnte die westlichen Sanktionen unterlaufen, fürchtet man in Washington. Eine Handhabe gegen dieses Szenario hat man im Westen nicht.

Dass die Zeit für Russland drängt, liegt nahe: Denys Schmyhal, der ukrainische Ministerpräsident, schätzte die Zahl der verbliebenen russischen Hyperschallraketen, das gefürchtete Prestigewerk der dortigen Waffenschmiede, jüngst auf "rund vier Dutzend" – mehr als die Hälfte ihres Arsenals habe die russische Armee auf dem ukrainischen Schlachtfeld schon verbraucht. Und der Nachschub stocke eben wegen des Mangels an Mikrochips.

Bisher nur Altbestände

Der Analyst James Byrne vom renommierten Londoner Sicherheits-Thinktank Royal United Services Institute (Rusi) erklärte "Politico", Russland habe vermutlich seit Jahren im Westen produzierte Mikrochips und andere für Raketen notwendige Bauteile gehortet. Diese gingen nun angesichts des exzessiven Verbrauchs in der Ukraine und der Sanktionen aber zur Neige.

Damian Spleeters, ein Belgier, der für das britische Forschungszentrum Conflict Armament Research (CAR) der Herkunft von Waffen nachgeht, sagte, bisher habe Russland in der Ukraine nur Material eingesetzt, das vor dem Angriffskrieg – also auch vor Beginn der Sanktionen – hergestellt worden sei. Bei Untersuchungen vor Ort hat CAR jedenfalls insgesamt 144 Bestandteile russischer, in der Ukraine eingesetzter Waffen gefunden, die aus dem westlichen Ausland stammen. "Inwieweit die Sanktionen wirken, kann man aktuell noch nicht sagen", sagt Spleeters.

Dass Russland die fehlenden Hightech-Bestandteile ganz einfach selbst produziert, schätzt Rusi-Forscher Byrne als eher unwahrscheinlich ein. "Viele der Komponenten lassen sich ganz einfach nicht im Eigenbau herstellen. Und das sind genau jene Teile, die absolut notwendig sind für ihr Waffenprogramm." (flon, 6.9.2022)