Manchmal ist "Nein" die richtige Antwort. Auch wenn man sich die Frage selbst stellt. Erst recht, wenn alle anderen wie selbstverständlich davon ausgehen, dass da außer "Ja" nur "Ja, Ja" kommen kann. Und sich selbst wie kleine Kinder darauf freuen, sich am ersten Septemberwochenende in Podersdorf die Schwimmen-Radfahren-Laufen-Kante zu geben. Austria Triathlon nennt sich das – aber wer in meiner Welt einfach "Podo" sagt, muss niemandem erklären, worum es geht: Podo ist ein Fixpunkt. Auch in meinem persönlichen Sport- und Wettkampfjahr.

Foto: Tom Rottenberg

Natürlich gibt es da Diskussionen: Bei der Frage, wie leiwand oder #dasgegenteildavon Schwimmen im mitunter doch schlammigen Neusiedler See ist, scheiden sich die Geister. Dass Radrunden durch den Seewinkel "heftig" sind, weil der Wind das an sich brettelebene Terrain im Laufe des Tages gerne zum Gebirge aufkantet, ist ein kontrovers gesungenes Lied von Leid und Liebe.

Doch dass der Illmitzer Ortsteil Hölle seinen Namen einzig und allein wegen jener Qualen trägt, die man beim mehrmaligen Passieren dieses Landstriches durchlebt, ist unumstritten. Ist ein fundamentales, unantastbares Dogma des Tri-Universums. So wie die "Wandlung": das Mysterium, das den Fluch "Nie wieder – und ich Trottel zahle dafür!" im Ziel dann zu "Sobald ich wieder stehen kann, melde ich mich fürs nächste Jahr an" macht.

Foto: Tom Rottenberg

Das hat auch einen faktische Grund: den "Höllenklub". In den darf, wer diesen Ritt dreimal absolviert hat. Mehr geht aber auch: Es gibt Menschen, die Podo 15- oder 20-mal finishten. Sollte Ihnen aber jemand unterkommen, der sich 40-fach-Veteran (ich bezweifle, dass Gendern in diesem Fall angebracht ist) nennt, dürfen Sie höhnen: Der Bewerb fand "erst" 35-mal statt.

Ich bin Höllenklub-Mitglied. Und, jawohl, stolz darauf. Auch wenn meine Zeiten nie berühmt waren – und ich nur auf Halbdistanzen verweisen kann: 1,9 Kilometer im Wasser, 90 am Rad – und dann der Halbmarathon durch die Hölle.

Das Gute an so einer Mitgliedschaft: Man muss niemandem mehr was beweisen.

Foto: Tom Rottenberg

Heuer hätte ich in Podersdorf meine vierte Mitteldistanz-Finishermedaille abholen können. Daniel Döller (im Bild), der Veranstalter, hatte mir einen Startplatz geschenkt. Ich hätte aber auch bezahlt. Ich hatte – wenn auch nicht sehr ehrgeizig – solide auf den Bewerb hintrainiert. Und weiß: Wenn nicht irgendwas Blödes passiert, "kann" ich Podo.

Nicht weil ich so toll bin. Mitnichten! Aber beim Triathlon gilt das Gleiche wie beim Marathon, sobald man "den ganzen" einmal geschafft hat. (Ja, auch wenn das all jenen gegenüber, die sich erst auf dem wirklich zaaachen Weg dorthin befinden, arrogant und überheblich klingt): "Ein Halber geht immer." Irgendwie halt. Wenn die Zeit wurscht ist – und nix passiert.

Trotzdem sagte ich Nein.

Foto: Tom Rottenberg

Ich könnte mich jetzt auf Gesundheitliches berufen. Auf Job-Mühseligkeiten oder sonstige Sport-Inkompatibilitäten. Es wäre nicht einmal gelogen. Aber: Das ist es nicht.

Denn Wettkämpfe sind mehr als das Produkt aus Vorbereitung mal Tagesverfassung: Man muss wollen. Richtig wollen. Brennen.

Mit einem bisserl Glühen und Glosen ist es nämlich nur Franz Grillparzers "auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln zauderhaft zu streben": der Weg zu österreichischen Lösungen (der Satz stammt ja auch aus dem "Bruderzwist im Hause Habsburg"). Das ist mir zu wenig. Ich halte es mit dem, was auch bei Grillparzer dann folgt: "Ja oder nein, hier ist kein Mittelweg."

Darum: Nein.

Foto: Tom Rottenberg

Grund, nicht in den Seewinkel zu fahren, ist so ein Nein aber nicht: Ich liebe die Region. Sie ist nicht nur kitschig-schön, sondern auch perfekt zum Laufen. Zum Radfahren. Um einfach glücklich zu sein.

Das "Tiny House" bei meinen Lieblingsgastgeber:innen hatte ich am Renntag des Vorjahres gebucht (Podo ist am Tri-Wochenende ausgebucht), und entspannte Outdoorzeit mit dem Lieblingsmenschen hat man ohnehin immer zu wenig.

Außerdem: Ich liebe die Stimmung beim Austria Triathlon. Freunde und Bekannte starten hier – und ich weiß aus Erfahrung, dass "Supporten" beflügelt. Aber da ist noch etwas.

Foto: Tom Rottenberg

Die Geschichte vom verschwindenden See und dem vertrocknenden Seewinkel nämlich.

Davon zu lesen, von Freunden davon erzählt zu bekommen oder Bilder zu sehen ist das eine. Sich selbst ein Bild zu machen, wie der Neusiedler See weniger wird, trockenen Fußes zu stehen, wo im Vorjahr noch der Zick- oder sonst ein See (oder eine andere seichte Lacke) war, aber das andere. Ich wollte spüren, wovon Bekannte, die hier zumindest Teilzeit leben, sprechen, wenn sie von Versteppung, Trockenheit und den nicht mehr zu leugnenden Begleit- (nein, nicht Folge)Erscheinungen des Klimawandels reden.

Foto: Tom Rottenberg

Für mich macht dieses Selber-Sehen einen Unterschied. Nicht zuletzt, weil es ebenso erschreckend wie faszinierend ist, dabei zu erkennen: Die Katastrophe, der Kollaps des Systems, schaut nicht immer nach Apokalypse aus.

Ganz im Gegenteil. Darum ist es ja so leicht, sich darüber hinwegzumogeln: Eigentlich war es doch eh ein super Sommer, oder?

Es ist im Grunde alles in Ordnung. Denn dass Lacken im Seewinkel in heißen Sommern austrocknen, ist ja eh normal. Sogar der Neusiedler See kann hin und wieder austrocknen und verschwinden, oder?

Oder! Und zwar in Versalien: ODER!

Foto: Dorit Löffler

Diesem Selbstbetrug traten heuer auch die Macher des Bewerbes entgegen. Ist der Neusiedler See schon sonst "begehbar" (was für manche der Hauptgrund ist, hier anzutreten), war heuer früh klar, dass an reguläres Schwimmen nicht zu denken sein würde. Döller und sein Team fanden eine Alternative: den Schwimmteich der St.-Martins-Therme in Frauenkirchen. Der ist richtig tief. Er rechne, sagte Döller, mit bis zu zehn Prozent "No Shows". Deshalb? "Dezidiert gesagt hat es nur einer. Der hat den Startplatz zurückgelegt, weil er eine Wasserphobie hat."

Foto: picthis.one

Auch wenn ich nicht selbst antrat, waren wir dann beim Schwimmen dabei. Zuschauen. Anfeuern. Neben mir stand ein Trupp der Wasserrettung. Man plauderte. Über das Wasser. Nicht nur, weil "ja auch hier die Wasserlinie heuer einen Meter tiefer als sonst ist", sondern allgemein: "Ich krieg jedes Mal den Rappel, wenn ich sehe, wie unsere Bauern zu Mittag die Bewässerung einschalten. 40 Prozent Verdunstung …" – "Hm, bei mir im Marchfeld haben sie es begriffen: Da wird in der Nacht bewässert." – "Keine Chance: 'Des hob ma imma so gmocht.'" – "Ein Mosaikstein neben dem anderen. In Summe wird es ein Bild: Wir haben es selbst verbockt."

Foto: Tom Rottenberg

Ob es mich nicht doch zwickte, nicht zu starten? Kein Teil der Wolke aus Adrenalin, Nervosität, Anspannung und Wahnsinn zu sein?

Natürlich. Ich liebe dieses Gefühls-Amalgam: die Hektik und die Nervosität der Wechselzone. Das Knattern des Freilaufes in den hohen Felgen der Zeitfahrräder. Das Pfeifen der Aero-Rahmen. Die so ungemütliche wie effiziente Gottesanbeterinnen-Haltung. Den Geschmack der aus eigener Kraft erreichten Geschwindigkeit. Und zuletzt den Weg durch die Hölle: All das ist hochinfektiös.

Ebenso wie das, was unterwegs im Kopf passiert. Die Hochs und Tiefs. Die gemeinsam erlebte Einsamkeit.

Foto: Tom Rottenberg

Aber das hatte ich vorher gewusst. Und mich bewusst für das Nein entschieden: für entschleunigtes, kommunikatives Zusammensein am Gravelbike. Für Kontemplation und Stille. Für die Schönheit der Ruhe, die Blicke ins Weite. Für die nichtasphaltierten Pisten des Seewinkels. Für Lacken mit und ohne Wasser, Vögel und Schilf, Felder und Steppe. Und zuletzt – später dann – für langes, meditatives Sololaufen.

Es war die Entscheidung für das Gravel-Yin zum Tri-Yang. Für das momentan passendste beider Sportwelten. Denn alle paar Kilometer stießen wir am Rad wieder auf 90 oder 180 Kilometer abspulenden Tri-Athlet:innen. Jubelten und feuerten an: Die Radrunde hier ist 30 Kilometer lang. Wenn der Wind im Seewinkel am Vormittag aufwacht, spürt man das. Auf jedem Rad. Aber im Bewerb glaubt man, dass das ganze Burgenland jetzt immer weiter aufgekantet wird.

Foto: Tom Rottenberg

Normalerweise trifft man im Seewinkel im Gelände hunderte E-Biker. Diesmal nicht – obwohl die Saison noch nicht vorbei ist.

Manchmal aber wunderten wir uns. Etwa als uns nahe Illmitz deutsche Radtouristen fragten, wie sie denn "am besten zum Zicksee kämen. Dort kann man schön baden, hat uns der Hotelchef gesagt."

Dass es den Zicksee (derzeit?) nicht gibt, hatte der gute Mann verschwiegen. Auch dass die Asphaltstrecke hin ("Ne, am Kiesweg fahren wir nich'!" ) Radrennen-bedingt gesperrt war. "Aber ihr kommt doch von dort." Ja – aber mit Akkreditierung und Absprache mit den Streckenposten. Plus (aber das sagen wir natürlich nicht): Wir wissen, wie und wo man in so einem Setting fährt – aber wer so fragt, fährt dann ziemlich sicher unsicher und unvorhersehbar.

Foto: Tom Rottenberg

Wobei "gesperrte Strecke" im Burgenland relativ ist: Als wir am Radweg den See in Richtung Hölle, also gen Podersdorf rollten, wurden wir von einem Oldtimer-Moped-Treffen überholt. Gut 60 Zweitakter aus allen Epochen des Tuckerns. Liebevollst instand gesetzt. Wirklich wunderschön. Fahrer und Fahrerinnen hatten in einer Illmitzer Schänke schon eifrig gute Stimmung getankt – und fuhren unbeleckt von jedweden Bedenken zu Naturschutz oder Fahrverboten.

Ich habe früher selbst gerne geschraubt – aber das war damals. Gefühlt im Mittelalter: Heute fände ich den Gestank hinter antiken Zweitaktern auch in der Stadt unerträglich. Aber: Weiß ich, was für Ausnahme- und Sondergenehmigungen es für Bleizusatzverbrenner in Nationalparks gibt?

Foto: Tom Rottenberg

Allem Anschein nach eh keine: Denn als die Mopetten die Laufstrecke erreichten, fuhren sie trotz der verzweifelten Aufhalte-Versuche eines chancenlosen Streckenpostens einfach weiter. Mitten in den Laufbewerb hinein. Fröhlich hupend – das Begleit-Mechanikerfahrzeug hintennach.

"Ich habe zuerst geglaubt, ich halluziniere. Dann hat mich einer fast über den Haufen gefahren – und dann bin ich erstickt", fasste eine Läuferin zusammen: "Nach 90 Kilometern am Rad und mit zwölf Laufkilometern in den Beinen freut sich die Lunge da doppelt."

Foto: Tom Rottenberg

Aber dann, danach, verspielt sich das. Reduziert sich zu einer von 1.000 Hürden, die man genommen hat. Weil man – oder frau – das wollte.

Denn egal ob 21 oder 42 Kilometer oder wie beim Sprint- oder Olympischen Bewerb "nur" fünf oder zehn Kilometern: Nach dem Schwimmen, nach dem Radfahren läuft irgendwann nicht das "Ich", da läuft das "Es": das Wollen, der Kopf.

Und der Kopf, das Herz braucht Liebe. Zuspruch. Dafür sind Sie – respektive: waren wir – jetzt zuständig. Auch wenn der oder die Laufende genau weiß, dass das "du schaust gut aus" vom Streckenrand eine Lüge ist: Wir logen. Oft und laut.

Ich war am Ende des Tages heiser.

Aber glücklich, mich entschieden zu haben, wie ich es hatte.

Foto: Tom Rottenberg

Auch weil ich am nächsten Tag spürte, dass die Monotonie des Alleinlaufens für mich gerade richtig ist.

Auf dem Plan stand ein 32-k-Longrun. Ein Solo von Podersdorf nach Illmitz und zurück. Zweimal Hölle – nur ohne Hölle.

Solche Läufe sind wichtig. Für die Beine – aber vor allem für den Kopf. Sie sind mobile Meditation. Helfen, Gedanken zu ordnen. Perspektiven und Prioritäten zu schlichten. Beim Erkennen, was zählt.

Am besten geht das in der Früh. Regen? Sehr gut! So wird das Bild der inneren und äußeren Reinigung noch besser. Alles, wenn man danach vor Staub und Schweiß klebt.

Foto: Tom Rottenberg

Außerdem ist nach einem Morgenlauf genug Zeit für die Belohnung. Hier: das beste Hotelfrühstück der Welt. Von weit weg, vom Podersdorfer Hauptplatz, kommt der Soundtrack: Der zweite Wettkampftag hat begonnen.

Und plötzlich ist es da. Das Brennen. Zuerst nur eine Funke. Dann ein unscheinbares, kleines Flämmchen, das einmal, zweimal hochzüngelt: So beginnt Feuer. Gut so. Denn wer zwischen Podersdorf und Illmitz durch die Hölle will, muss brennen. Richtig brennen. Mit ganzem Herzen und aus ganzer Seele.

Sonst kann, sonst sollte man es lassen. Und sich stattdessen Dingen und Erlebnissen zuwenden, die man voll und ohne Abstriche genießen kann.

Und genau deshalb war Nein heuer die richtige Antwort. (Tom Rottenberg, 6.9.2022)


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