Bis heute wird der getöteten Journalistin gedacht.

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Man habe alles getan, um die Sache aufzuklären, nun sei aber Schluss: Das machte ein hoher Kommandant der israelischen Armee am Montag in einem Hintergrundgespräch vor Journalisten klar. Aus welcher Waffe die Kugel stammte, die die 51-jährige TV-Reporterin Shirin Abu Akleh das Leben kostete, könne man leider nicht eindeutig sagen. "Mit hoher Wahrscheinlichkeit" war es ein israelischer Soldat, der auf die prominente Journalistin gefeuert habe, erklärte der Kommandant. "Zu hundert Prozent" auszuschließen sei aber, dass der Soldat es absichtlich getan hat. Daher werde die Militärstaatsanwaltschaft keine strafrechtlichen Ermittlungen einleiten. Jene interne Untersuchung, die von der Armee gegen die eigenen Leute eingeleitet worden war, sei ausreichend. Die Armee bedauere den Vorfall.

Die Al-Jazeera-Journalistin zählte zu den prominentesten Reporterinnen in der Region. Ihr Tod rief Bestürzung und Zorn hervor, insbesondere nachdem Bilder gewaltsamer Übergriffe der Jerusalemer Polizei auf Teilnehmende ihres Begräbnisses öffentlich geworden waren. Die Affäre führte aber auch zu diplomatischer Verstimmung mit den Vereinigten Staaten. Abu Akleh war US-amerikanische Staatsbürgerin, die Palästinenserin lebte in Ostjerusalem, ein Teil ihrer Familie ist in den USA ansässig.

Enttäuschte Hinterbliebene

"Tief gekränkt, frustriert und enttäuscht" zeigte sich Abu Aklehs Familie vom Umgang der israelischen Armee und Polizei mit der Affäre. "Israelische Kriegsverbrecher können doch nicht ihre eigenen Taten untersuchen", sagte die Schwester der Journalistin, Lina Abu Akleh. Sie rief Washington zur Einleitung einer unabhängigen Untersuchung der Todesumstände auf.

Tatsächlich bleiben einige Fragen offen. Als sie am 11. Mai wie viele Male zuvor aus der Stadt Dschenin im von Israel besetzten Westjordanland berichtete, war Abu Akleh durch reflektierende "PRESS"-Aufnäher von weitem als Journalistin erkennbar. Sie war geschützt durch kugelsichere Weste und Schutzhelm, die Kugel traf sie in den schmalen Bereich zwischen Helm und Weste. Die israelische Armee bestätigte, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Scharfschütze der israelischen Eliteeinheit Duvdevan war, der den Schuss abfeuerte. Der hohe Kommandant betonte jedoch, dass die Einheit unter schwerem Beschuss war, die Lage sei äußerst unübersichtlich gewesen. Der Tod Abu Aklehs war diesen Erklärungen zufolge ein Kollateralschaden eines hochkomplexen Armeeeinsatzes.

Widersprüchliche Meldungen

Dem widersprechen mehrere voneinander unabhängige Analysen von US-Medien, unter anderem eine umfassende investigative Recherche der "Washington Post". Anhand von Videomaterial, Audioaufnahmen und Interviews mit Augenzeugen ist man zum Schluss gekommen, dass es in den Minuten vor der Tötung Abu Aklehs keinen Schusswechsel in der Nähe der Journalistin gab, sehr wohl aber danach. Die Armee widerspricht dem, stellt den Investigativrecherchen aber keine Fakten entgegen, um ihren Standpunkt zu belegen. Man versichert aber, alle vorliegenden Daten "eingehend und gründlich untersucht" zu haben.

Die anwesenden Soldaten seien vor dem Einsatz genau gebrieft worden und hätten sich währenddessen absolut regelkonform verhalten, betonte der Kommandant.

Israelischen Medien zufolge hatte Washington die Regierung in Jerusalem aufgefordert, Verantwortung für den eigenen Beitrag zum Tod Abu Aklehs zu übernehmen. Noch am Tag des Ablebens der Journalistin hatte die israelische Regierung erklärt, dass Abu Akleh mit hoher Wahrscheinlichkeit von palästinensischen Terroristen getötet worden war. Der entsprechende Tweet des israelischen Premierministerbüros wurde bis heute nicht gelöscht. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 6.9.2022)