Um ein Haar wäre Suella Bravermans Leben ganz anders verlaufen. Doch das Flugzeug mit Christie Fernandes an Bord landete im Februar 1968 gerade noch rechtzeitig in London – kurz bevor eine massive Einreisebeschränkung der konservativen britischen Regierung in Kraft trat. Diese hätte Fernandes getroffen, der als Indischstämmiger aus der nach Unabhängigkeit strebenden britischen Kronkolonie Kenia vertrieben wurde.

Suella Braverman, neuerlich eine britische Innenministerin mit Migrationshintergrund.
Foto: REUTERS/Phil Noble

Ebenso wie Fernandes und seine aus Mauritius stammende Frau Uma unter diesen Regelungen keine Chance auf Aufenthalt in Großbritannien gehabt hätten, wäre ihre 1980 geborene Tochter Suella wohl auch niemals britische Innenministerin geworden. So aber wuchs die heute 42-jährige verheiratete Mutter zweier Kinder statt in Nairobi in Wembley auf und besuchte mit einem Stipendium das Gymnasium.

Schon während ihres Jusstudiums an der Elite-Universität Cambridge fiel die junge Tory-Aktivistin 2003 dem "Guardian" auf: In einem Artikel mit dem Titel "Der Weg in die Nr. 10" (Regierungssitz in der Downing Street, Anm.) wird sie als "Musterkonservative" bezeichnet.

Im nun geschlagenen Rennen um die Nachfolge Boris Johnsons schied Braverman zwar bereits im Juli aus; die Brexit-Hardlinerin, die einst zwei Jahre in Frankreich mit Erasmus-Stipendium studierte, legt aber auch so eine steile, wenngleich umstrittene Karriere hin.

Gegen fast alles Liberale

Ab 2015 im Parlament, wurde sie dem extrem rechten Parteiflügel zugeordnet: Braverman stimmte gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, gegen Sterbehilfe, gegen Sonderrechte für EU-Bürger nach dem Brexit, gegen die Einschränkung der Massenüberwachung. Sie sorgte mitunter in den eigenen Reihen für Kopfschütteln, doch sie machte dennoch schnell Karriere: Zuletzt war sie als Generalstaatsanwältin oberste Rechtsberaterin für die Regierung und vertrat die auch in konservativen juristischen Kreisen umstrittene Meinung, dass London das Nordirland-Protokoll im EU-Austrittsvertrag brechen dürfe und dass Großbritannien schleunigst aus der Europäischen Menschenrechtskonvention austreten sollte.

Das EU-Menschenrechtsgericht hatte die von Bravermans Vorgängerin Priti Patel eingeführten Abschiebungen illegal Eingewanderter nach Ruanda für völkerrechtswidrig erklärt. "Schluss mit diesem woken Mist", meint die Buddhistin Braverman dazu, die als extrem ehrgeizig beschrieben wird und laut "Guardian" der umstrittenen Triratna-Sekte angehört. Sie soll übrigens die erste Johnson-Vertraute gewesen sein, die ihn zum Rücktritt gedrängt hatte – zum eigenen Vorteil, wie man sieht. (Flora Mory, 7.9.2022)