Markus Abwerzger gibt sich trotz des Wahlkampfs entspannt. Die Tiroler FPÖ befindet sich im Umfragehoch, und er selbst träumt gar vom Landeshauptmannsessel.

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Innsbruck – Von Ibiza ins Innsbrucker Landhaus. Tirols FPÖ-Obmann Markus Abwerzger ist selbst erstaunt, wie schnell sich seine Partei vom Skandal um das Ibiza-Video erholt hat. Er geht selbstbewusst in die Landtagswahl, wo Umfragen den Freiheitlichen Chancen auf den zweiten Platz attestieren, obwohl sie auf Themen setzen, die eigentlich auf die Bundesebene gehören. Hauptsache emotional, lautet die blaue Devise. Und Abwerzger überrascht mit manchen seiner Positionen. So tritt er für die Entkriminalisierung von Cannabis ein. Obwohl er selbst als Gemäßigter in der Tiroler FPÖ gilt, schart er auf den Listenplätzen direkt hinter sich Vertreterinnen und Vertreter des Rechts-außen-Flügels der Partei.

STANDARD: Sie haben das "Duell um Tirol" ausgerufen, wollen Landeshauptmann werden. Aber niemand will mit Ihnen, wie soll das gehen?

Abwerzger: Vor der Wahl ist nicht nach der Wahl. Wenn wir deutlich dazugewinnen, kommt man um uns nicht umhin. Man will mit der FPÖ nicht koalieren, weil wir unangenehm sind und Reformen einfordern. Daher wollen wir so stark werden, dass die anderen wollen müssen.

STANDARD: VP-Chef Anton Mattle hat eine Koalition mit der FPÖ bereits ausgeschlossen. Sie sagen, Sie erhalten aus der ÖVP andere Signale. Welche und von wem?

Abwerzger: Sehr positive Signale. Etwa von den Bauern, die sich eine Lösung beim Thema Wolf wünschen. Auch aus dem Wirtschaftsbund und dem ÖAAB, wo nun eine junge Mannschaft übernimmt, kommen solche Signale. Ich glaube, das war keine gute Idee von Mattle, uns auszugrenzen. Wobei auch Ingrid Felipe 2013 eine Koalition mit der ÖVP ausgeschlossen hat, die nun neun Jahre gut funktioniert hat. Was im Wahlkampf gesagt wird, nehme ich nicht einmal halb ernst.

STANDARD: Denken Sie, dass Sie am Tag nach der Wahl mit Mattle sprechen werden, wenn es um Koalitionsverhandlungen geht?

Abwerzger: So wie es derzeit aussieht, gehe ich nicht davon aus, dass ich mit Mattle verhandeln werde. Landet die ÖVP, wie Umfragen es derzeit voraussagen, wirklich nur bei 26 Prozent, wird er sicher kein Ansprechpartner mehr sein.

STANDARD: Was ist Ihr Wahlziel?

Abwerzger: Wenn man sich die Entwicklung der FPÖ in den vergangenen drei Jahren ansieht: Vor nicht allzu langer Zeit haben wir noch intensiv über eine Mittelmeerinsel diskutiert, und heute stellen wir den Anspruch auf den Landeshauptmann. Unser Ziel ist dazuzugewinnen. Ich habe die Partei 2013 bei neun Prozent übernommen, zuletzt hatten wir 15,5 Prozent, und nun marschieren wir in Richtung 20 Prozent. Ein Mandat dazu, und ich wäre glücklich. Alles darüber hinaus nehme ich auch gerne.

STANDARD: Betrachtet man Ihren Wahlkampf und die Plakatsujets, so ist die Handschrift von Bundesparteiobmann Herbert Kickl zu erkennen. Ist er der Strippenzieher im Hintergrund?

Abwerzger: Mit Kickl hatte ich, was den Wahlkampf betrifft, einen einzigen Termin: zwei Stunden via Skype mit unserem Wahlkampfmanager und einem externen Berater. Da haben wir ihm unseren Wahlkampf vorgestellt, und er war einverstanden. Er hat weder ein Sujet noch sonst etwas eingebracht, er ist aber die maßgebliche Person in der Partei, er gibt die Themen vor, und die bespielen wir: die Teuerungen, die Neutralität, die Corona-Maßnahmen und die Asylthematik.

STANDARD: Nun werden diese vier Themen eigentlich auf Bundesebene entschieden, nicht im Tiroler Landtag. Diese Kritik kam auch parteiintern von den FPÖ-Bezirkschefs in Landeck und Imst. Was entgegnen Sie dem?

Abwerzger: Landeck und Imst war der Platzierungsproblematik geschuldet. Die Herren bekamen nicht den Platz auf der Wahlliste, den sie haben wollten. Inhaltlich gab es keine Kritik in der Partei. Uns war es wichtig, Themen zu bearbeiten, die den Menschen unter den Nägeln brennen. Es ist richtig, dass diese vier Themen Bundeskompetenz haben, aber sie sind auch Ländersache, bis auf die Neutralität vielleicht. Es ist immer die Crux bei einer Landtagswahl, denn die Menschen wird man nur mit Themen im größeren Ausmaß zur Wahlurne bringen, die emotionalisieren.

STANDARD: Kurz zurück zur Liste: Sie gelten als Gemäßigter, aber hinter Ihnen kandidieren vor allem Personen, die dem rechten Lager innerhalb der FPÖ zuzurechnen sind. Nach welchen Kriterien sind Sie bei der Erstellung vorgegangen?

Abwerzger: Also dem linken Spektrum zuordenbare Personen wird man auf der FPÖ-Liste nicht finden. Wir haben das nicht nach Ideologie gemacht, sondern mit Bezirkswahlen. Wer dort vorne lag, wurde auch auf der Landesliste besser gereiht.

STANDARD: In Ihrem Wahlprogramm lautet ein Punkt "Tirol uns Tirolern". Dort kritisieren Sie, dass Migranten hierzulande ab der dritten Generation als autochthon gelten. Demnach wären Sie als gebürtiger Vorarlberger aber kein Tiroler und wollen dennoch Landeshauptmann werden?

Abwerzger: Tja, und meine Frau kommt aus Düsseldorf. Aber die Thematik ist die: Wer in Tirol aufgewachsen ist, gilt logischerweise als Tiroler. Aber auch jemand, der nach Tirol kommt, wie ich aus Vorarlberg, ist irgendwann hier beheimatet. Das gilt auch für Franzosen, Ungarn oder irgendwen, der in Tirol eine Heimat findet. Ich will nicht, dass die Leute ihre Herkunft verleugnen, uns ist Integration wichtig. Denn Parallelgesellschaften sind nie gut. Das Problem gibt es etwa in der türkischen Community, wenn Leute nach 20 Jahren immer noch einen Dolmetscher brauchen. Da ist etwas falsch gelaufen. Bei den Jüngeren dieser Community ist das oft schon anders, unter denen haben wir auch viel Zuspruch. Weil auch die sehen, dass ihr Wohlstand, den sie sich hier aufgebaut haben, in Gefahr ist durch unkontrollierte Migration. Die sind politisch auch nicht links.

STANDARD: Ihr Wahlprogramm enthält auch sehr konkrete Forderungen nach einem Mindestlohn von 1.700 Euro, einer Mindestpension von 1.300 Euro, kostenloser psychosozialer Betreuung bis zum 18. Lebensjahr und vieles mehr. All das kostet viel Geld, wo sehen Sie das Einsparungspotenzial, um das zu finanzieren?

Abwerzger: Eine gute Frage, die vor Corona sicher Relevanz gehabt hätte. Aber seit der Pandemie wurde Geld abgeschafft. Man hat Hoteliers und die Adlerrunde großzügig bedient, hat Millionen für Tests an gesunden Menschen ausgegeben, und Geld hat keine Rolle gespielt. Im Sozialbereich darf es auch keine Rolle spielen. Man soll es nicht übertreiben, aber hier muss man Geld in die Hand nehmen. Es gibt genug Einnahmequellen, etwa die Überschüsse des Landesenergieversorgers Tiwag, man muss nur das Budget entsprechend gestalten.

STANDARD: Das Nulldefizit-Dogma wird es mit Ihnen also nicht geben?

Abwerzger: Das ist richtig. Denn langfristig rechnen sich Investitionen in den Sozialbereich für die Gesellschaft.

STANDARD: Bleiben wir beim Thema Geld: Wie wollen Sie die Menschen angesichts der Teuerungen konkret und rasch entlasten?

Abwerzger: In erster Linie über die Tiwag, die Millionengewinne hortet, die sie durch die Teuerungen verdient hat. Das ist zutiefst unmoralisch. Dieses Geld muss eins zu eins ausgeschüttet werden. Zudem muss die Schulstarthilfe, die derzeit ein Hohn ist, überarbeitet werden, damit sie wirklich wirkt. Und auch die Sozialmärkte liegen derzeit brach. Die müssen für einen größeren Bezieherkreis geöffnet werden, und man muss in Kooperation mit Supermärkten versuchen, dort mehr regionale Produkte ins Angebot zu bringen.

STANDARD: Beim Zugang zum Arbeitsmarkt vertreten Sie eine restriktive Linie, was Zuwanderer angeht? Würden Sie diese Linie angesichts des aktuellen Mitarbeitermangels in vielen Branchen überdenken und für eine Liberalisierung eintreten?

Abwerzger: Für Saisonarbeitskräfte gibt es diese Möglichkeit jetzt schon, da sollte man vielleicht nachschärfen. Was die Möglichkeit angeht, dass etwa Asylwerber als Erntehelfer eingesetzt werden, dazu gab es Versuche, aber das hat überhaupt nicht funktioniert. Es darf nicht so weit gehen, dass man daraus ein Bleiberecht ableitet. Europäische Arbeitskräfte sollte man bevorzugen. Ich denke, mit dem europäischen Arbeitsmarkt würde man, etwa im Sozialbereich, schon das Auslangen finden, wenn man die Zusammenarbeit mit Ungarn, Tschechien und Polen verbessert.

STANDARD: Was sind Ihre Lösungsvorschläge für das Thema Transitverkehr, angesichts der baldigen Einspurigkeit der Luegbrücke?

Abwerzger: Diese Causa Luegbrücke ist ganz klar ein Versäumnis der Landesregierung, denn die Asfinag hat jahrelang drauf hingewiesen, dass die Brücke ab 2024 keine Konzession mehr hat und man dringend handeln muss. Doch es ist nichts passiert. Nun wird die Einspurigkeit kommen, und dann haben wir über den Brenner eine Riesenkatastrophe, viel Spaß der nächsten Landesregierung. Ich verspreche keine Lkw-Obergrenze, aber ich sage, es muss endlich Vernunft auf europäischer Ebene einkehren. Denn solange der freie Warenverkehr in der EU über der Gesundheit steht, wird sich in Tirol nichts ändern. Wenn sie nicht hören wollen, braucht es Kampfmaßnahmen: den Brenner sperren, auf der Luegbrücke nur mehr einspurig für Pkws und Lkw-Ziel- sowie Quellverkehr.

STANDARD: Ein großes Zukunftsthema ist die Energiewende. Wie will die FPÖ sie umsetzen?

Abwerzger: Windräder auf den Berggipfeln wollen wir keine. Dafür den Ausbau der Wasserkraft, jede Gemeinde sollte ihr eigenes kleines Kraftwerk haben, wenn sie die Möglichkeit dazu hat. Tirol hat für die Wasserkraft sehr gut Voraussetzungen, und die sollte man nutzen. Und zudem sollte man eine Photovoltaik-Offensive starten, damit in zwei Jahren jedes öffentliche Gebäude eine PV-Anlage hat. Für Häuslbauer sollten ebenfalls Anreize geschaffen werden, sich eine PV-Anlage aufs Dach zu montieren oder Erdwärme zu nutzen. Die Förderungen dafür sollte man ausbauen.

STANDARD: Noch eine Ideologiefrage: Sie gehören der Freiheitlichen Partei an, kritisieren die Grünen gerne als Verbotspartei, und doch enthält Ihr Wahlprogramm viele Punkte, die Verbote sind. Einer, der besonders auffiel, ist jener, wo Sie keine weitere Legalisierung von Drogen fordern. Nun sind Sie in Tirol einer der renommiertesten Anwälte, wenn es um Drogendelikte geht. Sie kennen sich in dem Bereich sehr gut aus. Warum dann diese Verbotsforderung? In Österreich sind doch nur Alkohol und Nikotin legalisiert?

Abwerzger: Prinzipiell bin ich für Entkriminalisierung von Cannabis. Da bin ich nicht zu 100 Prozent auf Parteilinie, muss man sagen. Entkriminalisieren heißt, den Konsum von Cannabis vom Straf- ins Verwaltungsrecht transferieren. Also damit das so behandelt wird, wie wenn man unter 18 Jahren eine Zigarette raucht, eine Verwaltungsstrafe und nicht kriminalisieren. Auf der anderen Seite sehe ich täglich das Leid, das Drogen über Familien bringen können – beim Alkohol wie auch illegalen Drogen. Ziel einer zukunftsgerichteten Drogenpolitik muss sein, dass die Leute weniger Drogen nehmen. Daher bin ich skeptisch, was eine Legalisierung von Cannabis angeht. Denn dann habe ich möglicherweise mehr Leute, die es konsumieren. Ich bin da allerdings sehr offen und will mir das in den Ländern, die es legalisiert haben, genau ansehen, welche Folgen es über die Jahre hatte.

STANDARD: Da hört man den Freiheitlichen in Ihnen ja schon durch. Würden Sie sich auch trauen, damit Wahlkampf zu machen?

Abwerzger: Doch, schon. Ich glaube nicht, dass ich heute für den Slogan "Cannabis legalisieren" großen Gegenwind bekäme von unserer Seite. Vielleicht hätten manche Älteren ein bisschen ein Problem damit. Studien sagen, jeder Zweite hat es schon probiert. Aber die Freiheit des Einzelnen findet dort ihre Grenzen, wo sie die Freiheit anderer berührt. Und mit einer Drogenpolitik, die Leid über andere bringt, nicht nur mich selbst, habe ich ein Problem. Wobei das nicht den Cannabis-Konsumenten betrifft, der jahrzehntelang seine zwei, drei Joints die Woche raucht. Das Problem sind der Missbrauch und Abhängigkeit.

STANDARD: Fordern Sie deshalb mehr Therapieplätze für Suchtkranke?

Abwerzger: Ja für Jugendliche, denn es gibt kein Angebot für betroffene Jugendliche einer gewissen Altersschicht in Tirol. Wir haben eine Kinder- und Jugendhilfe, die in dem Bereich komplett überfordert ist. Und die grüne Soziallandesrätin hat unseren Antrag abgelehnt, dass suchtkranke Jugendliche unter 18 Jahren auch gegen ihren Willen für Therapien festgehalten werden dürfen. Das verstehe ich nicht, das ist eine rein ideologische Entscheidung. Wenn ich nur ein Kind dadurch rette, ist die Maßnahme gerechtfertigt.

STANDARD: Bei einem anderen Thema, dem Lufthunderter auf der Autobahn, fordern Sie aber die Aufhebung. Auch das ist eine Maßnahme, die hilft, etwa den Schadstoffausstoß oder Unfälle zu verringern?

Abwerzger: Da geht es um eine prinzipielle Frage, die Einstellung zum Auto. Das ist für viele ein Symbol für Freiheit. Und wenn ich zum Auto stehe, darf ich auf der Autobahn auch 130 fahren, wenn es die Verhältnisse zulassen. Denn auf der Autobahn 100 zu fahren ist irgendwann auch ein Sicherheitsrisiko, weil man dazu neigt, wegzudösen.

STANDARD: In den 1980ern gab es in Tirol einen Pilotversuch unter einem SPÖ-Landesrat, der Tempo 80 auf Landesstraßen verordnete. Das Ergebnis waren 25 Tote weniger im Jahresschnitt.

Abwerzger: Gut, in den 1980ern war die Sicherheit der Autos noch eine andere. Aber es stimmt, dass man Landesstraßen auf Temporeduktion hin evaluieren sollte. Wir haben dazu auch einen Antrag gestellt. Denn es gibt Landesstraßen, auf denen ein 100er erlaubt ist, obwohl es die Strecke niemals zulässt – etwa Wattenberg hinein oder zwischen Mutters und Götzens. Aber diesen Antrag von uns hat man abgelehnt. (Steffen Arora, 7.9.2022)