An nur einem Tag fielen in Moskau und Minsk Urteile, die der Opposition beider Länder wohl eine Warnung sein sollten. Am Montag wurde der russische Journalist Iwan Safronow zu 22 Jahren in einer Strafkolonie verurteilt. Er hatte in seinen Artikeln über das russische Militär berichtet, wegen angeblicher Weitergabe von Staatsgeheimnissen wurde ihm Hochverrat vorgeworfen.

Iwan Safronow, hier bei der Urteilsverkündigung in Moskau am Montag, soll die nächsten 22 Jahre in einer Strafkolonie verbringen.
Moscow City Court

Kurz zuvor befand ein Gericht den belarussischen Juristen Jurij Senkowitsch, den Philologen Alexander Feduta sowie drei weitere Angeklagte eines versuchten Staatsstreiches schuldig. Die Strafe hier: elf Jahre Gefängnis für Senkowitsch, zehn Jahre für Feduta, zwischen zweieinhalb und zehn Jahre für die weiteren Angeklagten.

In beiden Fällen spielte die russische Regierung eine erhebliche Rolle. Während russische Behörden bei der Verhaftung der vermeintlichen Gruppe um Senkowitsch im Jahr 2021 behilflich waren, gehen Fachleute im Fall Safronow von einem politisch motivierten Urteil aus. Sowohl im eigenen Land als auch durch "Amtshilfe" im Ausland: Der Kreml ist bekannt dafür, scharf gegen Kritiker vorzugehen, seien es die eigenen oder die von Verbündeten.

Verhaftung wegen Militärberichterstattung

Der Fall Iwan Safronow beschäftigt russische Medien schon seit zwei Jahren. Der Journalist arbeitete zwischen 2015 und 2018 für die Zeitung "Kommersant", später für den Konkurrenten "Wedomosti". Beide Medien waren nie im strengen Sinne oppositionell, mittlerweile folgt ihre Berichterstattung größtenteils den Richtlinien des Kreml. 2020 schließlich verließ er die Branche, um als Berater für die staatliche Weltraumfirma Roskosmos zu arbeiten. Nach nur zwei Monaten dort wurde er verhaftet.

Grund dafür waren Safronows Berichterstattung über das russische Militär und die Rüstungsindustrie des Landes sowie seine Kontakte ins Ausland, als er für den "Kommersant" arbeitete. Für ein Projekt seines tschechischen Kollegen Martin Lariš soll er unter anderem Staatsgeheimnisse über russische Rüstungsexporte nach Serbien öffentlich gemacht haben. Im Auftrag des deutsch-russischen Politologen Demuri Woronin habe er ebenso geheime Informationen über russische Truppen in Syrien publik gemacht.

Informationen waren frei zugänglich

Das in Russland als "unerwünscht" deklarierte Onlinemedium "Projekt" konnte anhand der Anklageschrift allerdings nachweisen, dass so gut wie alle diese Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen stammten und von Staatsgeheimnissen keine Rede sein kann. Vieles davon lässt sich sogar in bereits früher veröffentlichten russischen Medienberichten auffinden.

Auch wenn Safronow noch vor dem Ukraine-Krieg angeklagt wurde: Vor der russischen Invasion in das Nachbarland hätte sein Urteil durchaus anders ausfallen können, schätzen Beobachter ein. "In Russland hat es in den letzten Jahren viele ähnliche Verfahren gegeben, aber dieses Strafmaß übertrifft so ziemlich alles", erklärt Vera Ammer im Gespräch mit dem STANDARD. Sie ist Vorstandsmitglied der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial International, die sich seit Februar in der Zwangsauflösung befindet.

Safronow wurde zum Exempel

Dazu kommt, dass die Verurteilung Safronows wegen seines Militärjournalismus der Linie des Kreml folgt, jegliche freie Berichterstattung über die Streitkräfte des Landes im Keim ersticken zu wollen. "Gerade das hohe Strafmaß soll natürlich ein Signal sein: Wagt nicht, irgendetwas über die Ukraine oder über die militärische Linie im Allgemeinen zu schreiben, das nicht wörtlich vom Verteidigungsministerium verkündet worden ist", meint Ammer. Ihrer Meinung nach stellte Safronow als profilierter Militärjournalist ein geeignetes Opfer für ein Exempel. Ansonsten habe er sich in seiner Arbeit von anderen damals noch frei recherchierenden Kolleginnen und Kollegen nur wenig unterschieden.

Während Russland zu Hause gegen unabhängigen Journalismus vorgeht, leistet es dem Nachbarland Belarus gewissermaßen Amtshilfe bei der Repression der dortigen Opposition. Die Verurteilung des angeblichen Verschwörers Senkowitsch und seines angeblichen Mitverschwörers Feduta, der zwar als oppositionell, aber keineswegs als potenzieller Umstürzler galt, ist dabei zwar ein besonders kurioser Fall. Die Strenge des Urteils ist dabei aber wenig überraschend.

Ungewöhnliche Verschwörer

"Hier ist das Strafmaß so ausgefallen, wie das seit Alexander Lukaschenkos angeblicher Widerwahl und nachdem die Protestbewegung kontinuierlich niedergeschlagen wurde üblich ist. Das fällt nicht aus dem Rahmen", erklärt Vera Ammer. Dafür klingen die Vorwürfe denkbar absurd. Ein Jurist und ein Philologe sollen versucht haben, die Macht im Staat an sich zu reißen. Allerdings nicht ganz allein, denn laut der belarussischen Regierungen sollen die USA den "Putschversuch" unterstützt haben.

In der Moskauer Zentrale des Geheimdienstes FSB werden allem Anschein nach auch Einsätze gegen ausländische Oppositionelle geplant.
APA/AFP/

Als Beweis diente eine Videoaufnahme, in der die angeblichen Verschwörer in einem Moskauer Restaurant bereits Posten verteilten. Auch die Festnahme erfolgte schließlich in der russischen Hauptstadt in Kooperation des russischen und des belarussischen Geheimdienstes. Hätten die USA Lukaschenko tatsächlich stürzen wollen, so hätten sie sich wahrscheinlich auf Mitstreiter mit etwas mehr einschlägiger Erfahrung verlassen, meinte der exilierte belarussische Politologe Dmitri Bolkunez schon im Nachgang der Verhaftung.

"Man kann sich die Zeiten nicht aussuchen"

Der Fall ist nicht der einzige, in dem russische Behörden ihren belarussischen Kollegen zuletzt bei Repressionen gegen die Opposition behilflich waren. Am 1. September wurde die in Sankt Petersburg lebende Belarussin Jana Pintschuk, die einen oppositionellen Telegram-Kanal namens "Witebsk 97 %" leitete, an Minsk ausgeliefert. Ihr wird unter anderem Extremismus vorgeworfen. "Es hat immer wieder Personen gegeben, die sich nach Russland begeben haben, weil es ihnen dort sicherer schien. Das ist mittlerweile nicht mehr zu empfehlen, denn die beiden Länder spielen sich hier die Bälle zu und kooperieren."

Dass der Kreml seine harte Gangart gegen unliebsame Stimmen ändern wird, ist nicht absehbar. "Solange der Krieg weitergeht, rechne ich damit, dass wir auch weiter derart hohe Haftstrafen wie im Fall Safronow sehen werden", erwartet Memorial-Vorständin Ammer. Immerhin: Dessen früherer Arbeitgeber "Kommersant" positionierte sich eindeutig gegen das Urteil. "Wir sind überzeugt: In anderen Zeiten, in einer anderen Situation, wärst du freigekommen oder es hätte erst gar keinen Prozess gegen dich gegeben", heißt es in einem an Safronow gerichteten Brief auf der Titelseite der Dienstagsausgabe. "Aber man kann sich die Zeiten nicht aussuchen." (Thomas Fritz Maier, 7.9.2022)