Im Gastblog betrachtet der Geologe und Bibliothekar Thomas Hofmann heimische Höhepunkte der Naturforschertagungen mit prominenten Gästen und interessanten Beiträgen.

Es begann am 18. September 1822 in Leipzig, als Personen aus Wissenschaft und Medizin aufeinandertrafen, um über die neuesten Entwicklungen aus ihren Bereichen zu sprechen. 200 Jahre später tagt hier von 8. bis 11. September die "Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte" (GDNÄ), erneut und feiert ihr Jubiläum. Bei den jährlichen Tagungen referierten Granden, darunter Alexander Humboldt, Albert Einstein und Max Planck, über ihre Arbeiten. Die Tagungen fanden nicht nur in Deutschland statt – die Wissenschaftsgemeinde kam auch ins benachbarte Ausland. Österreich war ein oft besuchter Tagungsort, hier liegt Wien an erster Stelle (1832, 1856, 1894, 1913, 1966), gefolgt von Innsbruck (1869, 1924, 1978), Graz (1843, 1875) und Salzburg (1881, 1909).

Die ersten Treffen in Wien und Graz

Gleich die erste Tagung der Gesellschaft im benachbarten Österreich, es sollte die zehnte und damit eine Jubiläumstagung werden, stand unter keinem guten Stern. 1831 wäre der Termin vom 19. bis 27. September gewesen, doch Europa stand im Zeichen der Cholera-Pandemie, was einmal mehr Erinnerungen an die Corona-Pandemie weckt. Alles musste verschoben werden.

1832 klappte es im zweiten Anlauf: Man tagte von 18. bis 27. September. Am 22. September lud Fürst Metternich zu einer Soirée. Drei Tage später lud Seine Majestät der Kaiser die Gelehrten nach Laxenburg in den Süden Wiens. Dort hatte man im Schlosshof ein riesiges Festzelt mit fünf Reihen von Tischen aufgestellt. Es galt ja – was Pomp und Glorie betrifft – den Fürsten zu überbieten. Den Forschern hat es sicher gefallen.

Bei der kaiserlichen Tafel im Schloss Laxenburg genossen die deutschen Gäste am 25. September 1832 Wiener Gastfreundschaft.
Foto: Wien Museum Online Sammlung

Die Grazer Tagung im Jahr 1843 wurde von Erzherzog Johann eröffnet, der sich mit konkreten Vorstellungen an die Gelehrten wandte: "Mir schiene es nämlich wünschenswerth, daß bei jeder Versammlung eine Uebersicht dessen vorgelegt würde, was im Laufe des verflossenen Jahres in den einzelnen Zweigen der Naturwissenschaften geleistet wurde." (Sonntagsblätter, 24. September 1843). Im Zuge der Tagung wurde von Ami Boué (1794–1881) die erste geologische Karte der Welt ("Carte géologique du globe terrestre") vorgestellt. Darüber hinaus diskutierte man auch die Schreibweise der heutigen Landeshauptstadt: Gratz oder Grätz?

1843 stellte Ami Boué in Graz die erste geologische Karte der Welt vor.
Foto: GBA

1856: Crowdfunding für Leopold von Buch

Die zweite Wiener Tagung fand im September 1856 statt und wurde auch in Stein gemeißelt. Wie kam es dazu? Am 4. März 1853 war in Berlin der 1774 in Stolpe (Brandenburg) geborene Geologe Leopold von Buch gestorben, er war nicht nur einer der größten Geologen des 19. Jahrhunderts, er kannte auch den alpinen Raum sehr gut und war oft in Österreich. Die Tagung der deutschen Gelehrten nutzte Franz Carl Ehrlich (1808–1886), ebenfalls Geologe und Kustos am Museum Francisco Carolinum (heute: Oberösterreichisches Landesmuseum), um seinem Kollegen ein Denkmal zu setzen.

Einer der großen Geologen der ersten Stunde, Leopold von Buch, bekam in Großraming ein Denkmal.
Foto: GBA

Sein schriftlicher Vorschlag wurde am 20. September in Wien den Gelehrten vorgetragen und fand breite Zustimmung. In einer einzigartigen Crowdfunding-Aktion, die in der europäischen Scientific Community auf breite Unterstützung stieß, wurde gesammelt. Bloß 5 Gulden (circa 84 Euro) kostete ein Baustein, unter den 821 Unterstützern und Unterstützerinnen fand sich auch Alexander Humboldt. So war es ein Leichtes, innerhalb von zwei Jahren das Leopold-von-Buch-Denkmal mit folgender Inschrift auf einem riesigen Granitblock in der Gemeinde Großraming in Oberösterreich zu realisieren: "Dem Andenken an Leopold von Buch geweiht nach dem Beschluss am 20. September 1856 in der XXXII. Versammlung deutscher Naturforscher u. Ärzte in Wien unter Mitwirkung zahlreicher Freunde der Naturwissenschaften in Deutschland, Italien, Belgien, Frankreich, England usw.".

Das Leopold-von-Buch-Denkmal, ein Naturdenkmal in Oberösterreich, ist geologisch und wissenschaftshistorisch ein Unikat.
Foto: GBA

Die Herkunft der dort erratisch vorkommenden Granitblöcke des als Naturdenkmal geschützten Denkmals sollte die Fachwelt noch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts befassen. Sie sind, so die gängige Meinung, wohl vor circa 50 Millionen Jahren (Eozän) in den Tiefseebereich der Buntmergel-Serie eingeglitten.

1913: Die 85. Versammlung in Wien

Der vierte Kongress in Wien lockte im September 1913 mehr als 5.000 Kongressteilnehmer und Kongressteilnehmerin die Hauptstadt. Die Stadt stand ganz im Zeichen der Wissenschaften. "Man begegnet ihnen, jetzt allenthalben in der Stadt, den deutschen Naturforschern und Aerzten, und man freut sich, ihnen zu begegnen", schreib der Feuilletonist Paul Zifferer in der "Neuen Freien Presse" am 23. September in seinem "Kongreßbilderbogen". Nicht alleine die Anzahl der Forscher und Forscherinnen war beeindruckend, auch Vortragende und Themen hatten Rang und Namen.

So thematisierte am 23. September der spätere Nobelpreisträger (1922) Professor Dr. Albert Einstein aus Zürich "Das Gravitationsproblem". Der Botaniker Hugo Iltis von der TU in Brünn referierte über "Gregor Mendl als Student". Einen Tag später sprach Regierungsrat Gustav Paul, Direktor der Wiener Impfstoffgewinnungsanstalt, über "Aufschließung, Isolierung und Einengung von reinem Impfmaterial aus Kuhpocken". Doch die Liste der Vorträge war viel länger, nahezu 1.000 waren es in 34 Sektionen. Tagungsort war die Universität Wien an der Ringstraße, die Eröffnung fand indes einige Häuser weiter, im Parlamentsgebäude des dänischen Architekten Theophil Hansen, statt. Natürlich gab es auch einen Empfang am Hof. Allerdings begrüßte nicht seine Majestät, der 82-jährige Kaiser Franz Josef, sondern der erst 26-jährige Erzherzog Carl Franz Joseph, die Gelehrten. Dass er als letzter Kaiser Österreichs am 23. März 1919 Österreich in Richtung Schweizer Exil verlassen sollte, ahnte niemand der Anwesenden.

Zufrieden resümierte Rektor Richard von Wettstein am Ende der Tagung (29. September): "Viel Interesse erweckten auch die neuen Forschungsinstitute Wiens, das Radiuminstitut der kaiserlichen Akademie und die biologische Versuchsanstalt." Beachtenswert ist auch folgender Hinweis, der das 20. Jahrhundert als neue Ära ausweist: "Sehr bezeichnend für die heurige Versammlung war die starke Teilnahme der Frauen als aktive Mitglieder."

Das 1910 gegründete Radiuminstitut der Akademie der Wissenschaften stieß auf großes Interesse bei den Forschern und Forscherinnen.
Foto: Wien Museum Online Sammlung

Zu Gast in Salzburg und Innsbruck

Die 54. Versammlung fand von 17. bis 24. September 1881 in Salzburg statt. Auch hier war man euphorisch den Gästen gegenüber: "Wir begrüßen sie, die Naturforscher Deutschlands, als Männer des Fortschrittes, denn was gälte die Forschung, wenn sie nicht der Fortschritt wäre." (Salzburger Volksblatt, 17. September 1881). Vorträge fanden in der Aula Academia der Universität statt, hier verkündete ein großes Schild "Wissenschaft ist Macht". Auf großes Interesse stieß der Vortrag des Münchener Hygienikers Max von Pettenkofer. Er sprach am 18. September über "den Boden und seinen Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen".

Natürlich kam auch der gesellige Part nicht zur kurz, es gab auch zwei Exkursionen, eine führte nach Zell am See, die andere nach Reichenhall. Am Exkursionstag, den 20. September, gab es zunächst echten Salzburger Schnürlregen, was im O-Ton so klang: "Es regnete eben und zwar ganz anständig." Doch zu Mittag klarte es auf, und die 800 Teilnehmer und Teilnehmerinnen konnten in einem Sonderzug das fein herausgeputzte Reichenhall erreichen und in vollsten Zügen genießen.

In Innsbruck sprach Karl von Frisch 1924 über die "Bienensprache", die er erforscht hatte.
Foto: H.-P. Haack

Als die Deutschen Gelehrten zur 88. Versammlung im September 1924 nach Innsbruck kamen, drohte die Stadt angesichts der mehr als 6.000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen förmlich zu klein zu werden. Bundespräsident Michael Hainisch war aus Wien zur Eröffnung angereist. Auffallend ist die Betonung des Deutschtums in der lokalen Presse. "Und hier gerade werden der deutsche Geist, deutsche Naturforschung und deutsche Heilkunde ein dankbares Feld der Betätigung finden können." ("Innsbrucker Nachrichten", 20. September 1924). Auch hier zeigte das Wetter sein typisches Lokalkolorit, am 23. September wehte heftiger Föhnwind. Unter den Vortragenden befand sich auch Professor Karl von Frisch (1886–1982), er referierte über "Die Sinnesphysiologie und Sprache der Bienen".

Knapp 50 Jahre später bekam er 1973 zusammen mit Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbergen den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. (Thomas Hofmann, 8.9.2022)