Proteste nach der Vergewaltigung einer Elfjährigen im Kosovo.

Foto: APA / AFP / Armend Nimani

Tausende Menschen protestierten vergangene Woche im Kosovo, nachdem bekannt geworden war, dass ein elfjähriges Mädchen in einem Park in der Hauptstadt Prishtina von fünf Männern vergewaltigt worden war. Die Demonstrierenden werfen den Behörden vor, nicht ausreichend gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen vorzugehen. Sie warfen rote Farbbeutel auf das Parlament und das Justizministerium. "Wir fordern Schutz für Mädchen und Frauen", war auf Bannern, die die Demonstrantinnen trugen, zu lesen, und: "Erzieht die Buben!" Die Organisatorinnen der Demo meinten, dass die Vergewaltigung der Elfjährigen ein Symptom für das "patriarchale System" sei, und fordern lebenslange Haft für die Täter.

Laut der Akte der Staatsanwaltschaft näherten sich zunächst drei Personen dem Mädchen mit den Worten "Mein Schatz, ich mag dich", während einer der Verdächtigen begann, sie zu berühren. Die Verdächtigen griffen sie dann sexuell an. Sie brachten sie aus dem Park im Auto zu einem anderen Ort.

Fünf Verdächtige

Zu den fünf Tatverdächtigen gehören drei Minderjährige, sie wurden alle festgenommen und 30 Tage lang festgehalten. Der Chef der kosovarischen Polizei, Samedin Mehmeti, trat aus "Gewissensgründen" zurück. Die präzise und professionelle Ermittlung der Polizei und eine angemessene rechtliche Unterstützung der Opfer sind in Fällen sexueller Gewalt unerlässlich, um alle erforderlichen Beweise gegen die Täter zu liefern, eine neuerliche Viktimisierung zu verhindern und abzusichern, dass die Fälle auch vor Gericht kommen. Von Aktivistinnen gibt es Kritik, dass die kosovarischen Behörden nicht ausreichend dafür Sorge tragen.

Basierend auf einem Bericht der EU-Rechtsstaatsmission Eulex wurden im Jahr 2021 im Kosovo 107 Fälle von sexueller Gewalt gemeldet, im Jahr 2020 waren es 64, 2019 wurden 57 Fälle den Behörden zur Kenntnis gebracht. Bei 85 Prozent dieser Fälle ging es um Minderjährige. "Es gibt immer noch viele Fälle, in denen die Opfer aus Angst vor gesellschaftlichen Vorurteilen bei Institutionen wie der Polizei zögern, darüber zu sprechen", sagt Viona Krasniqi vom Frauennetzwerk Kosovo zum STANDARD.

Meldungen über sexuelle Gewalt steigen

In jüngster Zeit steige aber im Kosovo die Zahl der gemeldeten Fälle von sexueller Gewalt. Dies habe auch mit der Aufklärung, für die NGOs sorgen, zu tun. Doch weil noch immer viele Frauen, die Gewalt melden, in der Folge gesellschaftlich stigmatisiert werden und auch Polizeibeamte zuweilen Vorurteile hegen, schämen sich viele Mädchen und Frauen nach wie vor zu sehr, darüber zu sprechen, was ihnen widerfahren ist. "Einigen Opfern wird von ihren Familienmitgliedern auch gesagt, dass das, was ihnen passiert ist, eine Schande sei", erzählt Krasniqi.

Obwohl in den letzten Jahren das Bewusstsein der Gesellschaft zugenommen habe, brauche es mehr Unterstützung für Frauen, die sexuelle Gewalt erleiden. Das Strafgesetzbuch des Kosovo sieht für Vergewaltigung eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren, je nach den Umständen bis zu 20 Jahren, und in Fällen, in denen andere erschwerende Umstände vorliegen, auch eine lebenslange Freiheitsstrafe vor.

Vorwiegend Mindeststrafen

"Doch die Gerichte verhängen weiterhin Mindeststrafen mit sehr wenigen Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafen", sagt Kraniqi. "Denn in den meisten Fällen werden mildernde Umstände geltend gemacht, während die vorgesehenen erschwerenden Faktoren ignoriert werden." Im Kosovo gibt es Ermittlungseinheiten der Polizei, die sich mit Fällen von Menschenhandel befassen, jedoch gibt es noch immer keine Spezialeinheit für Fälle von sexueller Gewalt.

"Es fehlt an einer effizienten Ausbildung, die zur Spezialisierung und Professionalität der Polizeibeamten beitragen würde. Infolgedessen werden die Fälle nicht ordnungsgemäß untersucht und die Opfer nicht ordnungsgemäß informiert", erklärt die Expertin. Laut einer Studie wurden im Kosovo zwar von 2015 bis 2020 mehr als 521 Anklagen wegen sexueller Gewalt erhoben, 140 Urteile führten zu Freiheitsstrafen, 189 Verfahren scheiterten an der Verjährung und 79 endeten mit Geld- und Bewährungsstrafen.

Würdevoller Umgang

NGOs wie das Frauennetzwerk fordern auch wirksame Mechanismen für einen würdevollen Umgang mit Überlebenden sexueller Gewalt und die Legalisierung von Tränengas zur Selbstverteidigung. (Adelheid Wölfl, 8.9.2022)