Das Trainerteam

Schon der erste Spieltag der Champions League verdeutlichte, wie wichtig Trainer sind – und wie schnell ihre Stühle zersägt sind, siehe Chelseas Tuchel und Leipzigs Tedesco. Bei Salzburg wird nicht Erfolgsmangel den Abschied von Trainer Matthias Jaissle erzwingen, sondern der "nächste Schritt" zu Dortmund oder Leipzig.

Der 34-jährige Deutsche profiliert sich samt Trainerstab auch in seiner zweiten Saison als genialer Matchvorbereiter. Jaissles Grundrezept bleibt die Rangnick’sche Intensität. "Die Aggressivität der Salzburger hat die Rossoneri daran gehindert, mit klarem Kopf zu denken", schrieb die Gazzetta dello Sport. Notabene: Die Arbeit gegen den Ball geschieht unter Jaissle wohldosiert, auch deshalb bleiben Schwächephasen aus, in denen früher wichtige Spiele verloren gingen. "Wir bereiten unsere Spieler auch auf schwierige Phasen vor, da brauchst du dann einen Plan. Das haben wir heute sehr diszipliniert gemacht", sagte Jaissle. Das Achtelfinal-Rückspiel im Februar, als entfesselte Bayern den kollektiv Corona-rekonvaleszenten Bullenstall 7:1 überrollten, darf man getrost als Ausreißer archivieren.

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Die schnelle Eingewöhnung

Besonders in dieser gnadenlos dichten Saison wäre ein Stotterstart verheerend. Dass Salzburgs jeden Sommer frisch zusammengewürfelte Truppe schon Anfang September wie ein fertiges Puzzle aussieht, liegt an dem Unterbau: Die Akademie ist das prall gefüllte Basislager, der FC Liefering das Höhenlager zur Akklimatisierung. Jüngstes Beispiel ist Dijon Kameri (im Bild, rechts). Der 18-Jährige kickte bis Mitte August noch gegen Vorwärts Steyr, den GAK oder die Vienna, nun spulte er gegen Milan eine grundsolide Partie ab.

Burschen wie Kameri, die ihren Stimmbruch in der Bullen-Akademie erlebt haben, können noch geformt werden, doch auch anderswo Ausgebildete fügen sich schnell ein. Salzburg-Sportdirektor Christoph Freund vertraut auf ein sehr konkretes Scoutingschema, das Jahr für Jahr ambitionierte Ausnahmetalente liefert, das Vereinsumfeld sorgt für leichte Eingewöhnung. Glückliche Kicker sind bessere Kicker. All das ist keine Frage des Geldes mehr, die Mateschitz-Millionen für die Akademie und den anfänglichen Aufbau sind Vergangenheit. Durch die hohen Ablösesummen finanziert sich das System selbst.

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Das Selbstverständnis

Man kann die prägende Wir-haben-Flügel-Philosophie des Geldgebers durchaus kritisieren, doch im Fußball funktioniert sie. Demonstratives Kleinmachen vor dem Gegner kommt in Salzburg gar nicht erst infrage. Jaissles Lobeshymnen auf Gegner von Mailand bis Wattens hinterlassen ein Odeur von gecoachtem Pflichtbewusstsein, auch seiner verlässlich betonten Demut kann man nur begrenzte Glaubwürdigkeit einräumen. Mehr Authentizität versprühen die Protagonisten beim Bekennen ihrer eigenen Ambitionen.

Salzburgs Kicker haben auch aus Erfahrung gelernt, dass sie in einer guten Viertelstunde jeden Gegner fressen können. Grundgedanke: Die anderen sind eh gut – aber wir sind besser, hungriger, aggressiver. Dass damit auch die Ansprüche steigen, war Dienstagnacht offensichtlich. "Ich habe vor der Partie geflachst, dass es Vino rosso gibt, wenn wir heute drei Punkte holen. Den lassen wir heute mal noch weg", sagte Jaissle. Auch seine Kicker waren weit entfernt von Jubelstürmen. "Schade, dass es nicht für drei Punkte gereicht hat", sagte Torschütze Noah Okafor (im Bild). Sein Treffer gegen Milan war sehenswert und er hätte beinahe das Siegestor aufgelegt. Seine Analyse? "Darauf können wir aufbauen."

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Die Ruhe im Verein

Haben sich in Salzburg wirklich alle lieb? In diesem Verein, in dem zig Hyperambitionierte um Spielminuten kämpfen, weil sie den Sprung zu den Großklubs dieser Welt schaffen wollen? Nun ja: keine Ahnung. Der Klub ist eine Blackbox. Zugegebenermaßen erleichtert das der Standort, nicht nur für Auswärtige fühlt sich Salzburg oft wie das größte Dorf des Landes an.

Aus Mediensicht und als Freund der freien Information ist Salzburgs vorsichtige Pressepolitik samt Fokus auf die klubeigenen Medien unangenehm, doch in Kombination mit den von Anfang an zur bedingungslosen Zahmheit erzogenen Anhängern sowie dem Zustand des permanenten Erfolgs verschafft sie den Verantwortlichen Ruhe – ein im Fußball oft gefährlich rares Gut.

Aufruhr im Klub wie regelmäßig in RB-Anfangszeiten oder auch noch 2015, als Stürmerstar Jonatan Soriano über "Kinderfußball" schimpfte, oder 2016, als Trainer Oscar Garcia angesichts der ständigen Abgänge zu Leipzig von "Liefering A und Liefering B" sprach, ist heute undenkbar. Nun werden offenbar nur Akteure an Bord geholt, die mit den Salzburger Spezifika leben können.

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Die Spieler

Bei aller Strukturanalyse sei das Wichtigste nicht vergessen: elf Mann plus Wechselspieler, die Woche für Woche erstklassigen Fußball auf den Rasen zaubern – und gegen Milan allesamt noch einen Gang zulegten. Das auffälligste Beispiel am Dienstagabend war Amar Dedic (im Bild). Ein STANDARD-Redakteur, der sich hier nicht näher nennen will, äußerte vor Anpfiff noch allergrößte Sorgen um den Rechtsverteidiger, der sogar gegen Union Gurten wacklige Momente gehabt hatte und nun Rafael Leão in Schach halten musste. Nun ja: Dedic setzte den portugiesischen Flügelflitzer matt. Leão suchte das Eins-gegen-eins und fand bosnischen Beton.

Auch Linksverteidiger Andreas Ulmer sei erwähnt: Den 36-jährigen Vorbildkicker tangiert sein Alter offensichtlich immer noch nicht, gegen Milan rührte er auch offensiv um. Salzburgs Fans wählten Ulmer zum Mann des Spiels, noch mehr hätte sich das Okafor verdient gehabt. Der am Anfang seines Salzburg-Engagements so unglückliche Schweizer glänzte als unberechenbarer Instinktkicker, der auch in Bedrängnis blitzschnell die richtige Entscheidung traf. (Martin Schauhuber, 7.9.2022)

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