Der Führerschein interessiert ihn nicht, die Wahrheit nur, wenn’s leicht geht: Schlitzohr und Nebenerwerbssuperstar Robbie Williams blickt auf 25 Jahre Solokarriere zurück.

Foto: Leo Baron

Vor 25 Jahren hat Robbie Williams’ Solokarriere begonnen. Sie machte das frühere Mitglied der Boygroup Take That zum Superstar. Der vierfache Vater galt als der sympathische Proll im Penthouse nebenan. Heute erscheint das neue Album des Briten. Es heißt XXV und ist eine Sammlung von Neuaufnahmen alter Hits mit dem niederländischen Metropole Orchester. Das Gespräch fand via Zoom statt, ganz böse Wörter wie "cunt" wurden in der Übersetzung zu etwas weniger bösen Wörtern zurückgestuft.

STANDARD: Gab es in den letzten 25 Jahren einen Moment, in dem Sie dachten: Das war’s, ich lasse es, es ist vorbei?

Williams: Ja. Im Dezember 2006. Ich habe mich damals aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Da wurde mir alles zu viel. Das fühlte sich an, als wäre ich Michael Jackson. Ich sage nicht, dass ich so gut bin wie er. Aber wenn du dir Michael Jackson angeschaut und dich gewundert hast, warum der so crazy ist, damals habe ich es verstanden. Ihm sind lauter bescheuerte Dinge passiert. Der war wie ein überlasteter Computer, der lauter verrückte Sachen machte. Ich hatte damals Ruhm und Erfolg, aber ich bemerkte, wie mich das krank machte. Also ging ich in den Ruhestand. Aber was ist dann passiert? Mein Hirn verwandelte sich in Schweizer Käse. Ich hatte keine Aufgabe, ich wurde fett, und ich dachte, wenn ich so weitermache, dann sterbe ich.

STANDARD: Das passiert vielen Pensionisten.

Williams: Ja, aber ich brauche eine Aufgabe, sonst kann ich nicht existieren.

STANDARD: Solo läuft’s seit 25 Jahren, wo sehen Sie sich in 25 Jahren?

Williams: Ich möchte relevant genug sein, um ein Publikum zu haben. Ich möchte imstande sein, meine Bedürfnisse zu erfüllen, und das heißt, arbeiten zu gehen. Hoffentlich erfinden sie eine Medizin, die mich mit der notwendigen Energie dafür ausstattet.

STANDARD: Solche Mittel gibt es, sie werden nur nicht Medizin genannt.

Williams: Ja, ich weiß, aber die fressen erst recht deine Energie.

STANDARD: 25 Jahre solo auf der Bühne, davor Take That, da schreiben manche schon Memoiren. Würden Ihre Erinnerungen dafür ausreichen?

Williams: Ja, es kommt jetzt ein Film über mich heraus, für den habe ich zwölf Stunden lang mit dem Regisseur gesprochen. Zwölf Stunden! Nur Geschichten erzählt! Das müsste für Memoiren reichen.

STANDARD: Ihre Erinnerungen sind allesamt klar und belegt, oder entstammen manche einem gewissen Nebel?

Williams: Na ja, Sie kennen das, man sagt, es gibt immer drei Versionen einer Geschichte. Es kann also sein, dass das, wovon ich dachte, es sei passiert, in Wahrheit gar nicht passiert ist.

STANDARD: Der Schauspieler Robert Mitchum hat einmal gesagt: "Never letfacts ruin a good story".

Williams: Ja, stimmt. Bei dem Gedanken an eine Biografie dachte ich, ich kann den Scheiß ja erfinden. Ich denke, es ist wichtiger, einen Mythos zu erschaffen, als die Wahrheit abzuliefern. Erschaffe einen Mythos! Werde, wer du sein möchtest.

STANDARD: Man darf nur nicht an den eigenen Mythos glauben.

Williams: Ja, aber ich würde nicht notwendigerweise glauben, was ich sage, ich würde es bloß veröffentlichen.

STANDARD: Ihre Karriere wiederholt sich gerade bei einem anderen jungen Mann. Vom Boy-Grouper zum Superstar: Harry Styles. Was würden Sie ihm denn raten?

Williams: Hm. Wäre ich jemand, der Harry Styles Ratschläge geben würde? Man muss seine eigenen Fehler machen, das macht dich interessant. Deine Schwächen, das, was dir nicht gelingt, das macht dich aus. Ich würde ihm also keine Ratschläge erteilen, aber ich könnte für ihn da sein, wenn er das bräuchte. Aber das wäre dann ein privates Gespräch, schätze ich einmal.

STANDARD: Apropos Fehler, Sie sagen ja gerne, was Sie denken. Wurden Sie deshalb schon einmal boykottiert?

Williams: Es gibt ständig kleine Shitstorms. Ha! Das wäre ein tolles T-Shirt: "Little shitstorms all the time!" Aber für nichts, was ich bisher gesagt oder getan habe, wurde ich von einem gewissen Teil der Öffentlichkeit boykottiert. Ich beleidige einfach nur Institutionen und Regierungen. Mir ist bewusst, dass man aufpassen muss, was man sagt. Deshalb rede ich immer nur über mich und meine schlechte geistige Verfassung, denn wenn man nur über den eigenen Geisteszustand spricht, macht dich das zu einer Minderheit. Dann bist du sicher.

STANDARD: Was war der größte Fehler Ihrer Karriere?

Williams: Rudebox als erste Single des gleichnamigen Albums zu veröffentlichen.

STANDARD: Warum?

Williams: Das hätte nicht passieren dürfen. Aber wenn ich zu diesem Zeitpunkt meiner Karriere an einen Pool-Billardtisch gegangen bin und mit dem Queue, ohne zu schauen, irgendwohin gestoßen habe, waren alle Kugeln versenkt. So blöd konnte ich mich gar nicht anstellen. Mir ist alles gelungen. Also veröffentlichte ich diesen seltsamen Song und dachte, die Leute würden sagen: Ja, der ist lustig, toll. Aber in England hatte es den Effekt, dass alle aufgeatmet haben: Yes, es ist vorbei. Endlich ist er erledigt. Wenn ich eine andere Single veröffentlicht hätte, wäre das ganze Album anders angenommen worden, besser.

STANDARD: Welches Ihrer Alben besteht den Test der Zeit Ihrer Meinung nach nicht?

Williams: Ich schaue nicht zurück, aber ich glaube, dass keines diesen Test besteht.

STANDARD: Wer ist Ihrer Erfahrung nach die netteste Person im Musikgeschäft?

Williams: Ed Sheeran. Er ist einfach ein total netter Kerl. Bescheiden. Er ist auf seine Art perfekt, dabei ist er total ehrgeizig, ständig im Wettbewerb mit allen, will immer der Beste sein, ist trotzdem kein Arschloch. Ich will auch immer der Beste sein, aber ich bin ein Arschloch.

STANDARD: Wie steht es eigentlich um Ihren Führerschein, ist da in den letzten Jahren etwas weitergegangen?

Williams: Nein, ich bin überhaupt nicht interessiert daran. Ich mag Autos, ich liebe ihre Schönheit, das Design, das schon. Aber mir gefallen auch Statuen, trotzdem will ich sie deshalb nicht gleich in meinen Garten stellen. (Karl Fluch, 10.9.2022)