Mattle sieht sich als klassischen Bürgerlichen, der die ÖVP in neue Zeiten führen will.

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Innsbruck – Anton Mattle muss retten, was noch zu retten ist. Die Tiroler Volkspartei könnte bei der Landtagswahl Ende September erstmals unter 30 Prozent fallen – ein Verlust von mehr als zehn Prozentpunkten im Vergleich zum Status quo. Bis zur Wahl gilt es für den ÖVP-Spitzenkandidaten, eine auch intern zerstrittene Partei wieder auf Kurs zu bringen.

STANDARD: Sie sind langjähriges Mitglied der Bergrettung und erfahrener Alpinist. Wann haben Sie das letzte Mal bei einer Bergtour umgedreht, als Sie bemerkt haben, das Ziel, das man sich gesteckt hat, ist vielleicht nicht mehr zu schaffen?

Mattle: Ich mache ja keine hochalpinen Touren mehr, aber bei einem Wetterumschwung dreht man selbstverständlich um, oder wenn der zeitliche Rahmen überschritten wird. Das kommt immer wieder mal vor und hängt auch mit der eigenen Verfassung zusammen.

STANDARD: Wie ist ein Erfolg für Ihre Partei noch zu schaffen?

Mattle: Die Umfragen sind definitiv nicht gut, aber es gibt auch eine zweite Wahrnehmung, die ich habe, wenn ich mit den Leuten draußen spreche. Nichtsdestotrotz: Verantwortung tragen, das gehört zu mir. Ich bin niemand, der in schwierigen Zeiten davonläuft.

STANDARD: Die ÖVP konnte im Bund mit der Anbiederung an die FPÖ ihre letzte Krise bewältigen. War Ihr Nein zu den Blauen eine gute Idee?

Mattle: Ich stehe als klassisch Bürgerlicher für eine Politik, die sich an der Mitte orientiert. Wenn es dann zu weit nach rechts geht, dann kann und will ich nicht mehr mit. Ich achte darauf, dass die Politik Menschen zusammenhält.

STANDARD: Sie stimmten Ihrer Parteikollegin Astrid Mair zu, den Klimabonus für Asylwerbende zu überdenken. Ist das die Politik des Zusammenhalts, die Sie meinen?

Mattle: Es gibt momentan eine intensive Debatte rund um die Treffsicherheit der Antiteuerungsmaßnahmen. Wir schauen uns an, ob alle Menschen gleich von den Teuerungen betroffen sind, auch jene, die in staatlicher Obhut sind. Wenn es Veränderung braucht, muss es diese geben.

STANDARD: Würden Sie umgekehrt sagen, dass auch Vermögende den Bonus nicht erhalten sollen?

Mattle: Manche Maßnahmen müssen in die Breite gehen, weil auch der Mittelstand von den Teuerungen betroffen ist.

STANDARD: Neben dem Strompreisdeckel gibt es etwa in Niederösterreich weitere Unterstützung auf Landesebene. Braucht das Tirol auch?

Mattle: Tirol hat das große Glück, dass die Tiwag als Landesenergieversorger zu 100 Prozent den Tirolerinnen und Tirolern gehört. Bis zumindest Juni 2023 haben wir dadurch eine Strompreisgarantie, die bei circa zehn Cent pro Kilowattstunde liegt. Da brauchen wir kein zusätzliches Paket. Wir fordern aber vom Bund für den geringen Finanzbedarf Kompensation für den Ausbau von Photovoltaik in Tirol.

STANDARD: Tirol steht mit der Wasserkraft relativ gut da. Was braucht es noch, um energieautonom zu werden?

Mattle: Wir sind eines der wenigen Bundesländer, die bereits den gesamten Bedarf an elektrischer Energie aus Erneuerbaren erzeugen. Wir haben einen genauen Weg skizziert, wie wir energieautonom werden können. Es wird noch einiges brauchen im Bereich der Wasserkraft – da führt kein Weg vorbei. Es braucht auch ein riesengroßes Paket im Bereich der Photovoltaik, und wir haben ein gewisses Potenzial an Biomasse. Ich sage auch ehrlich: Ja, es wird hie und da auch Windräder geben, dort, wo sie in die Landschaft passen, es wirtschaftlich sinnvoll und technisch realisierbar ist.

STANDARD: Ihr grüner Koalitionspartner ist gegen den Bau weiterer Megaprojekte im Bereich Wasserkraft. Ist das Projekt im Kaunertal fix?

Mattle: Wir befinden uns mitten in einem Rechtsverfahren. Was daraus hervorgeht, kann ich nicht sagen.

STANDARD: Sie sind aber Aufsichtsratschef der Tiwag.

Mattle: In laufende Verfahren mischt sich der Aufsichtsrat nicht ein. Wir brauchen in Tirol noch rund 2.400 Gigawattstunden pro Jahr an Wasserkraft. Das ist eine ganze Menge. Auch in der Photovoltaik brauchen wir noch rund 3.300 Gigawattstunden. Da will ich bereits versiegelte Flächen nutzen, etwa die bis zu 1.000 Hektar Großparkplätze, die wir in Tirol haben und überdachen könnten.

STANDARD: Die Grünen sagen, die ÖVP habe "mit freundlicher Unterstützung der Tiwag" den Photovoltaikausbau über Jahre verschleppt.

Mattle: Ich betreibe ja selbst einige Photovoltaikanlagen und habe da keine Berührungsängste. Diese Aussage ist so nicht wahr.

STANDARD: Überhaupt geben sich die Grünen derzeit sehr angriffslustig gegenüber der ÖVP. Wie viel ist zwischen Ihnen mittlerweile zerbrochen?

Mattle: Wenn man sich die Bilanz anschaut, sieht man, dass wir gemeinsam sehr viel weitergebracht haben. Die Behauptung der gegenseitigen Blockade stimmt nicht. Einen Unterschied hat es aber immer gegeben: Wo die Grünen "verpflichtend" schreiben wollten, setzten wir auf die Entscheidung des Einzelnen. Das ist mir sehr wichtig – auch bei der Photovoltaik. Wir dürfen die Gesellschaft nicht zu sehr bevormunden.

STANDARD: Derzeit stellen die Parteien Koalitionsbedingungen, Stichwort Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung. Hat auch die ÖVP Bedingungen für eine Zusammenarbeit?

Mattle: Natürlich gibt es Koalitionsbedingungen. Das Recht auf Kinderbetreuung ist Teil meines Programms und ein Meilenstein für die Tiroler Volkspartei. Das war mir ein persönliches Anliegen. Ich bin froh, dass man das jetzt auch so mitträgt.

STANDARD: ÖVP-Landesrätin Beate Palfrader sagte, sie halte einen Tiroler Alleingang nicht für sinnvoll.

Mattle: Ich schätze die Meinung meiner Regierungskollegin. Aber die Zeiten und die Gesellschaft haben sich verändert. Es braucht neue Wege, und diese werde ich gehen.

STANDARD: Gerade die FPÖ versucht einen Keil in Ihre Partei zu treiben, wenn sie öffentlich sagt, die hinteren Reihen Ihrer Partei würden ganz anders denken als Sie. Wie real ist die Gefahr von innen?

Mattle: Ich bekomme große Unterstützung aus allen Teilorganisationen. Ich habe immer starke Weggefährten gehabt und bin froh, dass es auch jetzt so ist. Die Versuche der FPÖ gehen ins Leere.

STANDARD: FPÖ-Chef Markus Abwerzger hat ein Duell um Tirol ausgerufen und das Land mit Ihrem Konterfei plakatiert. Werden Sie auf jeden Fall an der Spitz der Partei bleiben, auch nach der Wahl?

Mattle: Diese Wahl ist für Tirol eine klare Richtungsentscheidung: Will man eine Politik der Mitte oder eine Politik weit rechts davon? Ich glaube, wir werden ein gutes Wahlergebnis deutlich über den 30 Prozent schaffen, und ich werde mit der ÖVP auch die nächste Regierung anführen.

STANDARD: 57 Prozent der Tirolerinnen und Tiroler sind der Meinung sind, dass das politische System in Tirol wenig bis gar nicht funktioniert. Warum haben die Tiroler die Nase voll?

Mattle: Ich kenne diese Statistik nicht, aber eines stelle ich fest: Natürlich haben diese letzten Jahre der Krisen und der Pandemie ein Stück weit auch zu einer Entfremdung der Bevölkerung von der Politik geführt. Die Wahlbewegung jetzt ist eine Chance, Vertrauen zurückzugewinnen. (Laurin Lorenz, Steffen Arora, 9.9.2022)