EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält einen Preisdeckel für machbar

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Wenig wünschen sich die Bürger und die Industrie quer durch Europa von den Politikern im Moment mehr, als dass jemand die Preise für Strom, Gas und Treibstoffe auf ein erträgliches Maß bringt. Die Inflation drückt auf alles. Bereits vor gut einer Woche hatte die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen via Twitter energische Gegenmaßnahmen angekündigt, die man bei einem Sondertreffen in Brüssel auf den Weg bringen wolle.

An diesem Freitag kommen die Energieminister der 27 Mitgliedsstaaten zusammen. Von der Leyen hatte den Vertretern der Staaten in der EU-Hauptstadt bereits eine Sammlung aller möglichen Aktionen vorgetragen. Von einem "Notfallplan" für die Energiemärkte in fünf Punkten war die Rede.

In der Debatte mit den nationalen Regierungsvertretern zeigte sich jedoch rasch, dass es zwar einen energetischen Notfall gibt. Aber von einem echten konkreten Plan zur Umsetzung von Eingriffen zum Einfangen der galoppierenden Preise bis hin zur Finanzierung von Sozialmaßnahmen unter EU-Recht sollte man besser nicht sprechen.

Allein schon die geplante Tagesordnung des tschechischen Ratsvorsitzes spricht eine klare Sprache: Es gibt nur zwei Tagesordnungspunkte, die Sitzung ist auf gerade einmal vier Stunden angesetzt. Es werde eher "eine Orientierungsdebatte", hieß es unter Verhandlern in Brüssel am Donnerstag. Konkrete Beschlüsse seien nicht zu erwarten. Vielmehr wolle die Kommission sich ein Bild machen, was unter den Staaten in dieser hochkomplexen Materie mehrheitsfähig sei.

Am stärksten umstritten ist die Idee der Kommission, den Preis für russisches Gas beim Import nach Europa zu limitieren. Dabei würden die Einkäufer in der EU gemeinsam verabreden, russisches Gas nur noch mit einem Abschlag zu den aktuellen Preisen einzukaufen. Die Regierung in Moskau müsste sich dann überlegen, ob sie das Gas billiger, aber dennoch über den eigenen Produktionskosten liefern will. Die Alternative aus russischer Sicht: es abfackeln.

"Falsches Signal"

Putin hat in einer Reaktion am Mittwoch damit gedroht, im Fall einer Preisobergrenze die Lieferungen von Gas komplett einzustellen.

Und auch bei mehreren Regierungen innerhalb der EU stößt die Idee einer Obergrenze auf Widerstand. "Österreich kann diesem Vorschlag aus heutiger Sicht nicht zustimmen", heißt es im Klimaministerium von Leonore Gewessler (Grüne) am Donnerstag. Versorgungssicherheit habe oberste Priorität, "und so schmerzlich das ist: Wir sind weiter auf russisches Gas angewiesen." Ein klares Nein kommt auch aus dem Büro von Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP): Der Vorschlag von der Leyens werde nicht unterstützt. "Angesichts der aktuell vorherrschenden Knappheit von Gas in Europa wäre dies ein falsches Signal und würde vielmehr einem indirekten Importstopp gleichkommen."

Österreich ist mit dieser Position nicht allein: Polen, Bulgarien, die Slowakei, teils auch Deutschland sind dagegen, weil sie ebenfalls von russischem Erdgas stark abhängig sind. Die anderen Diskussionspunkte der EU-Kommission sind weniger umstritten.

Weitgehend Einigkeit herrscht etwa beim Ziel, dass die EU-Staaten dringend und verbindlich Energie einsparen bzw. Verbrauchsspitzen abflachen sollen. Die Industrie solle mehr in der Nacht produzieren. Breite Zustimmung gibt es auch beim Plan, den Energieunternehmen im EU-Raum einen Schutzschirm für Liquiditätshilfen zu bauen.

Fokus auf Übergewinne

Das Vorhaben, Übergewinne von jenen Stromerzeugern abzuschöpfen, die mit Wind, Wasser oder Sonne billig produzieren, aber abcashen, weil der Großhandelspreis sich am Strom aus Gaskraftwerken orientiert, findet ebenfalls bei vielen Ländern Anklang. Aber es ist unklar, wie die Abschöpfung technisch rasch umzusetzen wäre.

Diskutiert wird auch ein Eingriff in die Merit-Order, also das Preisbildungssystem an den Strombörsen, wonach den Preis für Strom die Kosten des teuersten, zur Versorgung gerade noch nötigen Kraftwerkes bestimmen. Aktuell sind das Gaskraftwerke.

Einige Länder fürchten, dass Eingriffe am Markt erst recht zu Engpässen und dann höheren Preisen führen könnten. Beispiel Spanien: Der Staat subventionierte Gas mit Milliarden Euro, der damit erzeugte Strom wurde teuer nach Frankreich weiterkauft. Die Kommission will das System der Preisfindung auch erst langfristig im Jahr 2023 reformieren.

Umstritten sind bei den Staaten nicht nur die erwähnten Maßnahmenpunkte. Allein schon die Frage, auf welcher rechtlichen Basis man sie stellt, ist unklar. Die Kommission will Sofortmaßnahmen zur Preissenkung unter Artikel 122 der EU-Verträge umsetzen, ein Passus, der für Katastrophensituationen geschaffen wurde. Dabei reicht es, wenn die EU-Staaten Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit treffen. Das Europäische Parlament bliebe ausgeschlossen. Diese Vorgehensweise wird auf Widerstand stoßen. (Thomas Mayer aus Brüssel, Andras Szigètvari, 9.9.2022)