Der neue britische König bei einer Gedenkveranstaltung anlässlich des britischen Abzugs aus Afghanistan, Guildhall, März 2015.

Foto: APA/AFP/POOL/TOBY MELVILLE

Cardiff Castle, Juni 1969: Charles in Uniform.

Foto: ColonelAP

Immer häufiger haben die Briten in den vergangenen Jahren einen Ausblick auf die Regentschaft von König Charles III erhalten. Bei der Weltklimakonferenz COP 26 im vergangenen November übernahm der am längsten wartende Thronfolger Großbritanniens die Aufgaben des Staatsoberhauptes ebenso wie im Frühjahr bei der Thronrede im Londoner Parlament. In einem Lebensabschnitt, da die meisten seiner Zeitgenossen längst im Ruhestand sind oder sich jedenfalls darauf vorbereiten, übernimmt der 73-Jährige nun den Thron von seiner verstorbenen Mutter Queen Elizabeth II.

Es gab Lebensphasen, in denen dem als grüblerisch beschriebenen Prinzen Amtsunlust nachgesagt wurde. Als Beleg angeführt wurden Halbsätze des Prinzen wie "Wenn ich einmal nachfolgen muss". Dabei klang darin lediglich der echte Zwiespalt durch, den wohl viele Menschen in vergleichbarer Lage wahrnehmen würden: dass nämlich dieser 8. September 2022 gleichzeitig der Todestag seiner Mutter ist. Aber gerade weil er die Mutter liebte und respektierte, besteht für diesen tiefreligiösen Menschen kein Zweifel: Deren Nachfolge ist die ihm zustehende, ja von Gott gewollte Aufgabe.

In einer vor Jahren ausgestrahlten BBC-Dokumentation wurde Charles ausdrücklich angesprochen auf sein Image als "Prinz, der sich einmischt" – und auf die Besorgnis, er wolle sich in seiner eigenen Amtszeit weiterhin zu kontroversen Themen zu Wort melden. "Nein, das mache ich nicht", fauchte der damalige Thronfolger. "So blöd bin ich auch wieder nicht. Ich verstehe vollkommen, dass dies zwei unterschiedliche Rollen sind."

Mit Jordanwasser getauft

Halbwegs kritische Fragen darüber, wie man zukünftig seinen Beruf ausüben will – die Normalität eines rüstigen Rentners sieht anders aus. Aber was ist schon normal im Leben eines Mannes, für dessen Taufe im Advent 1948 eigens Wasser aus dem Jordan herbeigeschafft und feierlich geweiht wurde?

Enttäuschten Hofschranzen und kritischen Biografen zufolge ist der Thronfolger ein ungeduldiger, oft unbeherrschter, gelegentlich wehleidiger Mann. Die einzigartige Position hat in ihm aber auch von Kindheit an das Bedürfnis geweckt, seine Pflicht zu tun und anderen zu nützen. "Ich dien", steht auf Deutsch im Wappen des Prinzen von Wales, und Charles nahm diese Worte ernst.

Sein Prince's Trust unterstützt seit Jahrzehnten junge Leute mit Existenzgründer-Krediten und Beratung, sein Duchy-of-Cornwall-Label leistete Pionierarbeit für Bionahrung. Häufig war der Thronfolger der öffentlichen Meinung voraus, etwa mit seinem Eintreten für Recycling und naturnahe Landwirtschaft oder mit seiner Kritik an allzu klobiger Architektur.

Umweltschutz, Nachhaltigkeit und der Einsatz gegen den Klimawandel beschäftigen den mittlerweile 73-Jährigen seit Jahrzehnten – auch schon zu Zeiten, als diese Themen noch keineswegs im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit standen, ja als Spleens eines adeligen Exzentrikers verlacht wurden. "Da war er seiner Zeit weit voraus", lautete kürzlich Prinz Williams Lob; die neue Nummer eins der Thronfolge hat vom Vater das Engagement für die rasche Dekarbonisierung der Weltwirtschaft geerbt.

Zahlreiche Reisen

Durch seine Besuche in Mitgliedsländern des Commonwealth, darunter viele kleine und kleinste Entwicklungsländer des globalen Südens, hat der Vielflieger Charles nicht nur zur Belastung des Planeten beigetragen; so genau wie kaum jemand anders, abgesehen vielleicht von seiner Mutter, kennt der neue König Großbritanniens sowie 14 weiterer früherer Kolonien von Australien bis Jamaika die weltweiten Auswirkungen der Klimakrise.

Manchmal zog sich Charles auch heftige Kritik zu – etwa wenn er für alternative Medizin Werbung machte. "Er spürt den Zwang, etwas zu bewirken", glaubt die Londoner Journalistin Catherine Mayer, eine seiner besten Biografinnen.

Charles, William und Diana im Kensington-Palast, Dezember 1982.
Foto: AP/David Caulkin

Der schottische Theologe Ian Bradley hat seine Beobachtungen über Charles einmal so zusammengefasst: "Viele der Reden und Gespräche dieses sorgenvollen Mannes drehen sich um die Auflösung der modernen Welt und um die Notwendigkeit, ihr eine neue Ordnung und Balance zu geben." Während die damalige Königin eine gemäßigte Konservative war, stecke im Prinzen ein "radikaler Grüner", urteilte vor Jahren das Wirtschaftsmagazin "Economist".

Unglückliche Ehe

Vergessen sind die schwierigen Jahre im Schatten seiner glamourösen ersten Frau Diana, die vor einem Vierteljahrhundert 36-jährig ums Leben kam. Das liegt gewiss auch daran, dass Charles nun, was die Medienaufmerksamkeit angeht, in einem anderen, für ihn leichteren Schatten lebt, nämlich in dem seiner Söhne William und Harry sowie deren Frauen Catherine und Meghan. Während William und Kate mit ihren Kindern George, Charlotte und Louis auf Auslandsreisen von hunderten Journalisten begleitet werden, erlebte Biografin Mayer eine Kanada-Reise mit dem damaligen Thronfolger mit: "Da reisten genau fünf Journalisten mit."

Zum inneren Gleichgewicht des neuen Königs hat nicht zuletzt seine langjährige Geliebte und zweite Frau Camilla beigetragen. Charles sei durch die zweite Ehe von einem alten Grantler zu einem "unmissverständlich glücklichen Mann" mutiert, lautet die Beobachtung der britisch-amerikanischen Autorin Tina Brown. Deren "unerschütterliche Frohnatur", glaubt Charles-Biografin Mayer, sei für den grüblerischen Prinzen von eminenter Bedeutung.

Charles und Camilla im irischen Cashel, April 2022.
Foto: AP/Brian Lawless

Charles wird es schwer haben, aus dem Schatten der hochrespektierten Queen zu treten. Aber die Ereignisse des Donnerstags haben verdeutlicht: Am Prinzip der Erbmonarchie wird auf der Insel nicht gerüttelt; blitzschnell verändert sich die Nationalhymne von "God save the Queen" zu "God save the King".

Und anders als seine Mutter wird Charles nicht die Verpflichtung spüren, bis zum bitteren Ende durchzuhalten, schließlich ist er nicht wie die damals zehnjährige Prinzessin geprägt vom Trauma der Abdankung seines Großonkels Edward VIII 1936. Nichts spricht dagegen, dass Charles III sich nach angemessener Zeitspanne – vielleicht zehn, vielleicht 15 Jahre – aus gesundheitlichen Gründen aufs Altenteil zurückzieht und William das Feld überlässt. (Sebastian Borger aus London, 9.9.2022)