Licht ist nicht gleich Licht – auch wenn es von der gleichen Leuchtquelle stammt.
Foto: Imago / Westend61

Ein nächtlicher Spiegel schenkt der Erde in dunklen Stunden den Widerschein der Sonne: Bei Mondlicht handelt es sich genau genommen auch nur um reflektierte Strahlen des Sterns in der Mitte unseres Sonnensystems. Dennoch haben Mond- und Sonnenschein besondere und unterschiedliche Bedeutungen für Lebewesen auf unserem Planeten. Sie bestimmen den Lebensrhythmus verschiedener Tiere, Meeresringelwürmer beispielsweise wählen für ihre Techtelmechtel die dunkelste Phase der Nacht.

Diesem Tier widmet sich die Wiener Chronobiologin Kristin Tessmar-Raible – und konnte nun feststellen, wie sie überhaupt zwischen Sonnen- und Mondschein und sogar den verschiedenen Mondphasen unterscheiden können. Für die Würmer ist dies essenziell: Um sich fortzupflanzen, versammeln sich die Tiere nachts im seichten Küstenbereich und geben Eier und Spermien ins Wasser ab, wo es im Idealfall zur Befruchtung kommt. Bei dieser eher riskanten Methode ist das richtige Timing besonders wichtig, und wie Forschende bereits herausfanden, konzentrieren sich diese Borstenwürmer dafür auf wenige Tage im Monat.

Biochemisches Pärchen

Nun veröffentlichte das Team um Tessmar-Raible von den durch die Uni Wien und die Medizin-Uni Wien betriebenen Max Perutz Labs, dem Alfred Wegener Institut und der Universität Oldenburg sowie Eva Wolf vom Institut für Molekulare Biologie (IMB) und der Universität in Mainz (beide Deutschland) im Fachmagazin "Nature Communications" eine wesentliche neue Erkenntnis. Die Fachleute enthüllen den gefinkelten Unterscheidungsmechanismus, der auf einen lichtempfindlichen Eiweißstoff namens L-Cryptochrom (kurz: L-Cry) zurückgeht.

Dieser Stoff erkennt die Intensität der Strahlung von verschiedenen natürlichen Lichtquellen erkennt. Dadurch werden Helfer von L-Cry, nämlich "Flavin-Adenin-Dinukleotid (FAD)"-Kofaktoren, biochemisch unterschiedlich verändert. L-Cry agiert vermutlich als Pärchen (Dimer), erklärt Eva Wolf. Bei Dunkelheit sind beide FADs des Pärchens in einem bestimmten biochemischen Zustand: Es wird oxidiert.

Biologischer Lichtschalter

Natürliches Mondlicht enthält eine geringe Lichtmenge, das heißt, wenige Lichtteilchen, die fachsprachlich Photonen heißen. Die Photonen werden vom ersten FAD sehr effektiv aufgenommen. Wenige Photonen machen es bereits möglich, dass der Zustand verändert wird – vom oxidierten zum reduzierten Zustand. "Das zweite FAD ist nicht mehr so einfach reduzierbar, dazu braucht es sehr viel mehr Photonen", sagt Tessmar-Raible: "Das schafft nur mehr die mehr als 10.000-fach höhere Photonenzahl des Sonnenlichts."

Gruppenleiterin Kristin Tessmar-Raible (links) und Erstautorin Birgit Poehn erforschten das Lichterkennungssystem bei Borstenwürmern.
Foto: Sándor Fülöp / Max Perutz Labs

Das Eiweiß L-Cry fungiert somit als Unterscheider von Dunkelheit, Mondlicht und Sonnenstrahlung: Bei Dunkelheit sind beide FAD-Hilfsfaktoren oxidiert, bei Vollmond ist eines reduziert und bei Sonnenlicht beide. Es gibt also drei Möglichkeiten, wie dieser biologische Schalter steht. Damit dien das System "als effizienter Lichtsensor, der einen extrem weiten Bereich natürlicher Lichtintensitäten unterscheiden kann", formuliert es das Forschungsteam.

Monatlicher Zeitmesser

Zusätzlich erkennt das System wohl sogar die Mondphasen. Nach Sonnenuntergang kann das erste FAD nicht sofort reduziert werden, sondern es dauert ungefähr sechs Stunden, in denen es die Mondlichtphotonen ansammeln muss. Derartig lange Mondlichtdauer mit ausreichenden Photonenmengen gibt es im natürlichen Lebensraum der Würmer typischerweise nur bei (fast) vollem Mond. "Das heißt, das System nützt den Tieren nicht nur, zwischen Sonnen- und Mondlicht zu unterscheiden, sondern es kann nur bei Vollmond in den vollen Mondzustand gehen", sagte Tessmar-Raible.

"Dieser Mechanismus ist wohl auch für andere biologische Uhren und lichtempfindliche Prozesse relevant, und nicht nur für das monatliche Zeitmesssystem", so Eva Wolf. Tessmar-Raible vermutet, dass es sich um einen allgemeinen Mechanismus handelt, der Lebewesen dabei hilft, natürliche Lichtquellen zu interpretieren.

"Dies ist für jeden Organismus von zentraler ökologischer Relevanz, der seinen Stoffwechsel und das Verhalten durch Licht steuert", sagt die Biologin. Auch für den Menschen, der viele Aktivitäten nach dem Tageslicht ausrichtet – wie der Meeresringelwurm. (red, APA, 9.9.2022)