Der Fotograf Christian Anwander.

Foto: imago images/Sven Simon

An den Wänden hängen Donald Sutherland, Andreas Kronthaler und Virgil Abloh. Soeben wurde im ersten Stock der Wiener Leica-Galerie Christian Anwanders Ausstellung "Cars & Characters" eröffnet, nun sitzt der Fotograf im Erdgeschoß am Tisch. Neben ihm steht zur Feier des Tages ein kleines Glas Bier.

STANDARD: Sind Prominente schwerer zu fotografieren als unbekannte Menschen?

Anwander: Überhaupt nicht. Ich hatte nie ein Problem mit großen Namen.

STANDARD: Sie hatten Virgil Abloh vor der Linse. Wie war der?

Anwander: Das war der liebste, netteste Mensch – und einfach zu fotografieren. Ich kann nicht ein schlechtes Wort über ihn verlieren. Mein Treffen mit ihm liegt schon etwas zurück, ich habe ihn 2016 fotografiert. Danach hatte ich leider nicht mehr mit ihm zu tun.

STANDARD: Wie lockern Sie Menschen vor der Kamera auf?

Anwander: Für mich sind das ganz normale Menschen, ich kenne dieses "Starstruck"-Ding nicht. Als ich Christopher Plummer fotografiert habe, waren alle am Set total nervös. In einem Hotel in L.A. war die fetteste Suite angemietet, alle waren panisch. Deshalb hat wohl niemand bemerkt, wie er allein zur Tür hereinkam. Ich habe ihn einfach nur nett begrüßt, und wir hatten eine gute Zeit miteinander.

STANDARD: Aber es sind ja nicht alle Stars nett?

Anwander: Bei mir schon. Nur einmal hatte ich Probleme, da habe ich mich vom Set entfernt. Wer das war? Behalte ich für mich.

STANDARD: Wie kommt man bei hundertfach fotografierten Menschen zu einem eigenen Ergebnis?

Anwander: Das funktioniert, wenn man seiner Persönlichkeit treu bleibt. Ich habe großen Respekt vor dem Handwerk, beherrsche es auch. Aber ich bringe meinen Charakter und meinen Humor in die Bilder.

STANDARD: Wie war's mit Zoë Kravitz?

Anwander: Das Shooting hat großen Spaß gemacht, sie war absolut professionell, ich hatte einen ganzen Tag mit ihr – aber es ist vielleicht nicht mein allerbestes Bild geworden. Mit Donald Sutherland hatte ich vier Stunden Zeit, aber was soll ich sagen? Die Bilder sind super. Manchmal hat man einen besonderen Draht zu Menschen.

STANDARD: Heißt das, dass weniger manchmal mehr ist?

Anwander: Vielleicht. Ich erzähle Ihnen von einem Erlebnis, das mich sehr berührt hat. Ich habe in Upstate New York eine kleine Hütte, wo ich einen Nachbarn fotografiert habe. Er hatte es nicht leicht im Leben, wurde von seinem Vater verprügelt, war im Gefängnis. Er hat sich mir vor meiner Kamera offenbart. Kurze Zeit später wurde ich angerufen und gefragt, ob ich nicht Richard Dreyfuss fotografieren will. Wir hatten ein lächerliches Budget, haben uns trotzdem ins Auto gesetzt und sind nach Südkalifornien gefahren, mit nicht mehr als einer kleinen Kamera und einem Silberreflektor: Das sind die besten Bilder geworden.

STANDARD: Was macht ein gutes Porträt aus?

Anwander: Emotion und Ästhetik.

STANDARD: Wie entwickelt man seine eigene Sprache?

Anwander: Das ist knallharte Arbeit – und ich hab sie vielleicht immer noch nicht gefunden. Wichtig auch: Sei ehrlich zu dir selbst.

STANDARD: Wie bleibt man in der Modewelt bei sich selbst?

Anwander: Gar nicht.

STANDARD: Stehen Sie selbst gern vor der Kamera?

Anwander: Ja. (lautes Lachen)

STANDARD: Apropos, warum fotografieren Sie für "Germany's Next Topmodel"?

Anwander: Ich mag die Arbeit, es sind nette Leute am Set, und ich mag Heidi. An dem Job ist ja nichts falsch, wer würde den nicht übernehmen?

STANDARD: ... und immer geht es bei "GNTM" um die große Inszenierung!

Anwander: Absolut, das ist Teil meines Berufs und meines Lebens.

STANDARD: Was braucht es neben Talent und Können, um Karriere zu machen?

Anwander: Durchhaltevermögen. Man muss immer dabeibleiben. Auch wenn es anstrengend und mühsam wird. Und dann: Find the love again!

STANDARD: Wie hat sich die Modeindustrie verändert?

Anwander: Extrem, das ganze Medium hat sich verändert. (Das Gespräch wird unterbrochen, weil der Fotograf Günther Parth vorbeiläuft, die beiden verfallen ins Vorarlbergerische.)

STANDARD: Heute fotografieren sich alle ständig selbst und veröffentlichen die Bilder auf Instagram. Hat die Selfie-Kultur Ihren Job verändert?

Anwander: Ich glaube, die Ästhetik ist etwas normaler, natürlicher, weniger "polished" geworden. Bilder von Kim Kardashian schaue ich mir halt nicht an.

STANDARD: Sie würden Kim Kardashian nicht fotografieren?

Anwander: Doch, aber nicht so, wie sie meist fotografiert wird. Wie Jürgen Teller sie fotografiert hat, war schon cool. Aber kopieren würde ich ihn nicht. Man muss die Eier haben, so zu fotografieren, wie man will. Man muss auf gewisse Dinge scheißen. (Anne Feldkamp, 12.9.2022)