Das Trommelfeuer hält ungebremst an. Seit Monaten schon schallen der Regierung Vorwürfe entgegen, sie unternehme zu wenig gegen die Teuerung. "Die Politik muss endlich handeln", fordert die Gewerkschaft und ruft für Samstag, 17. September, zu einer bundesweiten "Preise runter"-Demo auf. Mit Zulauf ist zu rechnen, denn: In der Wählergunst ist die türkis-grüne Koalition abgestürzt.

Das Paradoxe daran: Während die Sympathiewerte sinken, steigen die Summen, die zur Linderung der Rekordinflation fließen. Bereits auf 29 Milliarden Euro belaufen sich laut Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) bis 2026 jene Ausgaben, die ÖVP und Grüne unter dem Titel der Teuerungsbekämpfung zugunsten der privaten Haushalte beschlossen haben. Dazu kommt nun noch die Strompreisbremse, die je nach Preisentwicklung bis zu vier Milliarden Euro kosten könnte.

Die Strompreisbremse könnte je nach Preisentwicklung bis zu vier Milliarden Euro kosten.

Das Brüsseler Forschungsinstitut Bruegel reiht Österreich unter jene sechs Länder, die am meisten für die Abfederung der Teuerung tun. Klaus Neusser, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), stellt fest: Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl seien die heimischen Entlastungspakete größer als jene der deutschen Regierung unter dem vielgehypten "Krisenmanager", dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Ist das an Unterstützungsmaßnahmen immer noch nicht genug? Und sind es vor allem die richtigen Schritte, die da gesetzt werden?

Erste Wirkungsanalysen, ob vom Arbeiterkammer-nahen Momentum-Institut oder der unternehmeraffine Agenda Austria, bieten der Regierung Argumentationshilfen: Demnach sind die für heuer veranschlagten Einmalzahlungen und anderen Goodies weit mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Kleinen Einkommen dürfte die Belastung komplett abgegolten werden – und darüber hinaus. Laut Momentum lukriert das einkommensschwächste Zehntel der Haushalte im Schnitt mehr an Unterstützung, als die Teuerung kostet. In der Mitte beträgt die Kompensation immer noch rund 65 Prozent.

Doch der Durchschnittswert der Inflationsrate sei als Maßstab trügerisch, warnt der Thinktank gleichzeitig, denn zu verschieden seien die Lebenslagen der Menschen. Wer etwa zur Miete in einem zugigen Altbau mit Gasheizung wohnt, den könne die Inflation weit mehr kosten als im Mittel der Fall. Die Momentum-Daten zeigen deshalb auch: Für ein Viertel der einkommensschwächsten Haushalte reichen die Hilfszahlungen nicht aus. Bereits in der unteren Mittelschicht steigt dieser Anteil auf fast die Hälfte.

Der Deckel soll’s richten

Außerdem beziehen sich diese Berechnungen nur auf das laufende Jahr, in dem hauptsächlich Einmalzahlungen greifen. Doch was, wenn die Preise – wie prognostiziert – auch 2023 weiter steigen?

Auch hier ist die Koalition dabei, nachzuhelfen. Die Strompreisbremse deckelt ab Dezember bis einschließlich Juni 2023 für alle Haushalte die Ausgaben für einen bestimmten Grundbedarf an Strom. Mehr als die Hälfte der Haushalte bekommt den gesamten Verbrauch subventioniert. Zusätzlich werden einkommensschwachen Menschen, wie Arbeitslosen oder Mindestsicherungsbeziehern, die von der GIS-Gebühr befreit sind, 75 Prozent der anfallenden Nebengebühren erlassen. Rund 300.000 Personen sollen davon profitieren.

Für Menschen mit Geldsorgen gibt es noch einen anderen, verheißungsvollen Punkt: Sozialleistungen werden, sofern das noch nicht der Fall ist, künftig jährlich mit der Inflationsrate erhöht. Am stärksten fällt das bei Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag und Kinderbetreuungsgeld ins Gewicht.

Doch all das werde nicht reichen, um Notlagen zu verhindern, prophezeit Momentum-Chefökonom Oliver Picek. Er empfiehlt, das Prinzip der Preisbremse auf weitere Energiequellen wie Gas sowie Mieten und Nahrungsmittel auszudehnen. Denn erstens orientiere sich die Erhöhung der Sozialleistungen an der Inflationsrate einer Monate zurückliegenden Vergangenheit – ein Problem, wenn die Teuerung mittlerweile höher ist. Zweitens hätten entscheidende Transferleistungen des Staates Bedürftige schon bisher nicht gut genug abgesichert: Sozialhilfe und Mindestpension liegen deutlich unter der Schwelle für Armutsgefährdung.

Doch selbst wenn es der Regierung gelingen sollte, bei den Ärmsten Härten weitgehend zu verhindern: Braucht es nicht ebenso Unterstützung für besser situierte Menschen? Schließlich stellen nicht nur Regierungspolitiker, sondern auch SPÖ oder Caritas fest: Die Teuerungskrise treffe mittlerweile auch die Mittelschicht mit voller Wucht.

Das lässt sich nicht einfach als Übertreibung abtun. Bereits zu Beginn des Jahrzehnts, also noch vor der Teuerungswelle, sei das untere Drittel der Haushalte mit den verfügbaren Einkommen nicht ausgekommen, um laufende Konsumausgaben zu decken, sagt Wifo-Expertin Christine Mayrhuber: Die Betroffenen mussten auf ihre Ersparnisse, private Hilfen oder auch Konsumkredite zurückgreifen.

Die Strompreisbremse deckelt ab Dezember bis einschließlich Juni 2023 für alle Haushalte die Ausgaben für einen bestimmten Grundbedarf an Strom.

Die Forscherin rechnet damit, dass diese Gruppe mittlerweile massiv angewachsen ist. Die Hälfte der Haushalte müsse starke Einschränkungen hinnehmen, sei es durch Verzicht auf Ausgaben oder den Wechsel zu günstigeren Nahrungsmitteln: "Das erklärt die Schlangen vor den Sozialmärkten. Die Verschlechterungen reichen bis in die Mitte der Gesellschaft." Wie das zu jenen Berechnungen passt, wonach die Hilfen die Teuerung für die unteren Einkommen weitgehend ausgleichen? Das möge übers ganze Jahr gesehen stimmen, sagt Mayrhuber: Doch man dürfe nicht übersehen, dass viele der für 2022 gedachten Einmalzahlungen erst spät oder noch gar nicht angekommen seien.

Ausgefranste Hilfe

Folgt man dieser Einschätzung, dann reicht es also nicht aus, Hilfen nur auf die Bedürftigsten zu konzentrieren – was soziale Treffsicherheit zu einer schwierigen Übung macht.

Denn der Staat kann sehr gut jene identifizieren, die arbeitslos sind, Sozialhilfe oder die Ausgleichszulage beziehen. Doch um darüber hinaus die Gruppe herauszufiltern, die nicht mehr ganz arm, aber trotzdem finanziell unter Druck ist, mangelt es offenbar an unkompliziert verfügbaren Daten.

Dieses Argument könne man nicht einfach als Ausrede vom Tisch wischen, räumt Margit Schratzenstaller vom Wifo ein. Allerdings seien diese Probleme spätestens seit den Corona-Hilfen bekannt: Hätte die Regierung damals an einer Lösung zu arbeiten begonnen, "wären wir heute in einer besseren Lage", sagt sie und qualifiziert die Entlastungspakete als "zu wenig treffsicher".

Neos-Politiker Gerald Loacker spricht gar von "Gießkanne pur" – und selbst Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) gibt zu, dass die Hilfen nach oben "ausfransen". Unten wolle man zielgerichtet helfen, etwa mit dem Teuerungsausgleich speziell für Mindestpensionisten, Arbeitslose und Co oder mit den Absetzbeträgen, die kleine oder mittlere Einkommen stützen. Oben aber nehme man Streuverluste in Kauf. Die fallen nicht zu knapp aus. Wenn derzeit etwa 40 Prozent der Haushalte ihre inflationsbedingten Ausgaben durch ihr laufendes Einkommen nicht mehr decken können, wie Fiskalratschef Christoph Badelt auf Basis einer ältern Untersuchung schätzt, dann lässt sich daraus ein Umkehrschluss ziehen: 60 Prozent der Bürgerinnen und Bürger können sich die Teuerung leisten. Geld zur Seite zu legen geht dann zwar für viele nicht mehr – aber Mittel, um die Ausgaben zu decken, sind da.

Dennoch kommen auch sie in den Genuss der staatlichen Hilfen. Nur etwa ein Drittel der ersten drei kurzfristigen Entlastungspakete hängt, laut Schratzenstallers Schätzung, vom Einkommen ab. Laut den Momentum-Daten bekommt auch das oberste Viertel der Haushalte die Inflationsbelastung des laufenden Jahres noch in einem Ausmaß von einem Drittel bis 50 Prozent abgegolten.

Auch Spitzenverdiener profitieren

So profitieren von der Strompreisbremse Spitzenverdiener genauso wie Armutsgefährdete. Einen Zuschuss bekommen auch Zweitwohnbesitzer; andere Förderungen, etwa der Länder, müssen nicht gegengerechnet werden.

Auch der Klima- und Antiteuerungsbonus im Ausmaß von 500 Euro kommt allen zugute, ob es sich nun um eine gut verdienende Rechtsanwältin oder einen Arbeitslosen handelt. Pro Kind gibt es noch einmal 250 Euro dazu. Nur Topverdiener müssen einen Teil davon nachträglich versteuern.

Alternativen dazu gäbe es durchaus, selbst wenn diese eigene Herausforderungen mit sich bringen. So könnte der Staat Sozialversicherungsbeiträge senken. Auch das kostet Geld, der Staat müsste den Verlust der Krankenkassen ersetzen. Aber so ließe sich gestaffelt nach Einkommen helfen. Eine andere Alternative wäre, die Gießkanne einzusetzen, jedoch im Gegenzug gezielt Steuern zu erhöhen. Damit könnte der Staat Geld abschöpfen, wo es nicht unbedingt gebraucht wird.

Was die Regierung für das kommende Jahr plant, läuft allerdings eher auf das Gegenteil hinaus. Eine "verteilungspolitische Katastrophe" nennt Momentum-Ökonom Picek den größten Brocken, den Türkis und Grün als Antiteuerungsmaßnahmen verbuchen: die Abschaffung der kalten Progression.

Wie von Türkis-Grün beschlossen, soll diese von der Inflation getriebene Steuererhöhung, die ohne reale Einkommenssteigerung einsetzt, künftig zu zwei Dritteln automatisch abgegolten werden; das restliche Drittel soll die jeweilige Regierung für Entlastungen nach dem eigenen Geschmack verwenden dürfen.

Gemessen am Einkommen fällt die vom Automatismus ausgelöste Entlastung mit Ausnahme der benachteiligten Kleinverdiener noch relativ gleichmäßig aus. Doch beim Ziel, Haushalte vor der Armut zu bewahren, seien die absoluten Beträge relevant, argumentiert Picek. Da zeigt sich: je höher das Einkommen, desto größer der Vorteil. "Das kann man nicht mehr Gießkanne nennen", so der Kritiker: "Da werden Blumen gewässert, die schon fast im Wasser ertrinken."

Kann der Staat so viel Großzügigkeit, wie die Regierung derzeit demonstriert, finanziell verkraften? "Wir werden es uns auf Dauer nicht leisten können, Geld an jene zu geben, die es nicht brauchen", sagt Fiskalratschef Badelt, und auch Wifo-Expertin Schratzenstaller warnt davor, den Bogen zu überspannen. Für die Stromkostenbremse habe sie Verständnis, denn Elektrizität brauche jeder. Doch das Prinzip – wie politisch diskutiert – auf sämtliche Energieträger auszuweiten sprenge die Ressourcen. "Alle, die es finanziell können, werden den größten Teil der Belastungen selbst tragen müssen", sagt sie: "Der Staat kann nicht die gesamte Teuerung abgelten. Das übersteigt seine Möglichkeiten."

Dabei wirkt die budgetäre Lage im Moment noch entspannt – aus mehreren Gründen. Hohe Inflation hilft im Regelfall den Schuldnern, in diesem Fall dem Staat. Wenn Preise anziehen, nascht der Fiskus über die Umsatzsteuer mit. Allein von Jänner bis Juli summiert sich das auf 2,6 Milliarden Euro. Diese höheren Einnahmen finanzieren also einen Teil der Entlastungen. Dazu kommt, dass die Mehrausgaben wieder in den Konsum fließen, auch da schneidet der Staat mit. Der Fiskalrat schätzte im Juni, dass die Antiteuerungsmaßnahmen heuer lediglich zusätzliche Kosten im Ausmaß von verkraftbaren 0,8 Prozent der Wirtschaftleistung verursachen werden.

Die Kosten kommen erst

Allerdings wäre es kurzsichtig, nur die aktuell höheren Einnahmen im Blick zu haben. Denn im Gegenzug kommen auch höhere Aufwendungen auf die öffentliche Hand zu. Die Pensionisten verlangen wegen der Teuerung eine saftige Erhöhung, die öffentlich Bediensteten werden sich kaum bescheidener geben. Spüren wird der Staat den Preisdruck auch, wenn er etwa eine neue Straße errichtet oder einen Schulhof sanieren lässt.

Dazu kommt die Abschaffung der kalten Progression, die eine nachhaltige Lücke im Budget hinterlassen wird. Allein deshalb wird das Defizit ab 2026 um 0,9 Prozent höher liegen, als es ohne diesen Schritt der Fall wäre. Wobei anzumerken ist, dass die kalte Progression auch ohne Automatismus alle paar Jahre durch Steuersenkungen mehr oder minder abgegolten wurde.

Als das wäre noch kein Problem, wenn der Staat nicht zusätzlich Investitionsbedarf hätte, sagt Badelt: "Es ist ganz klar, dass es in den kommenden Jahren gute Gründe für zusätzliche Ausgaben geben wird, die noch gar nichts mit der Krise zu tun haben: etwa für Pflege und Bildung." Klimaschutz wäre ein weiterer Punkt, der anzufügen ist. Will der Staat darauf nicht verzichten, werde an einer Budgetkonsolidierung nach der Inflationskrise kein Weg vorbeiführen, glaubt Badelt. Geld sei eben doch nicht abgeschafft.

Ein solches Sparpaket würde die Spätfolge der exzessiven Anwendung der Gießkanne offenbaren: Was der Staat an Steuergeld ausgegeben hat, holt er sich wieder zurück.

Das führt zu einem weiteren Problem der Antiteuerungspakete: Mit ihnen werden nicht die Preissteigerungen selbst bekämpft. Im Gegenteil, der Geldregen dürfte die Inflation weiter anheizen. Fragt sich nur, wie sehr.

Die Preisexplosionen der vergangenen Monate waren zwar stark von Energie getragen. Die Kostensteigerungen erfassen nun aber immer mehr Produktgruppen, weil Strom und Gas nahezu überall mit drinsteckt. Zugleich hat die hohe Nachfrage der Konsumentinnen und Konsumenten schon bisher das Ihre zu den Preisanstiegen beigetragen.

Selbst wenn Energie nicht eingerechnet wird, sind die Preise für Waren und Dienstleistungen binnen eines Jahres um sechs Prozent gestiegen. Besuche im Restaurant oder Hotel kosten um 9,3 Prozent mehr. Das geht sich nur aus, weil so viele Menschen Urlaub machen wollen und essen gehen.

Immer mehr Geld als Irrweg

Nun gibt es zwei Möglichkeiten. Es kann sein, dass die Konjunktur tatsächlich einbricht und das große Geldverteilen des Staates als wenig zielgerichtetes Konjunkturprogramm genau zur rechten Zeit kommt. Geschieht dies nicht und wird die Nachfrage der Konsumentinnen und Konsumenten noch zusätzlich angekurbelt, weil der Staat auch den Nichtbedürftigen Geld zusteckt, wird das die Inflation weiter erhöhen. Wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot, steigen die Preise – und damit der politische Druck auf die Regierung, nur noch mehr Geld auszuschütten.

Für Expertin Schratzenstaller wäre das ein Irrweg. Statt immer neuer finanzieller Entlastungen urgiert sie einen anderen Kurs: "Die Regierung unternimmt zu wenig, um den Leuten Alternativen anzubieten." Da brauche es Investitionen – etwa um den Verzicht aufs Auto zu ermöglichen. Im Speckgürtel sei es wohl kein allzu großer Aufwand, mit mehr Bussen dichtere Intervalle zu schaffen.

Das freilich würde ein Umdenken in der Krisenpolitik der Regierung voraussetzen: mehr gestalten, weniger Geld verteilen. (Gerald John, András Szigetvari, 11.9.2022)