Laut Wahlbeobachtern sind die Abstimmungen nicht frei.

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Nichts sollte die Feierlaune trüben. Nicht die "Spezialoperation", nicht der inzwischen bestätigte Rückzug russischer Truppen aus der Region Charkiw. Parallel zu den landesweiten Kommunal- und Regionalwahlen feierte die Hauptstadt Moskau ihren 875. Geburtstag. Russlands Präsident Wladimir Putin weihte ein Kampfsportzentrum und ein Riesenrad ein. Ein von Staatsmedien veröffentlichtes Video zeigt, wie Putin gemeinsam mit Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin am Samstag mit jungen Sportlern scherzt.

In sozialen Netzwerken waren Nutzer irritiert ob der Vergnügungen inmitten der Militäraktion. Und der Politologe Abbas Galljamow kommentierte auf Telegram, Putin riskiere, dass Leute nun denken: "Er pfeift darauf, dass dort unsere Jungs sterben."

In 82 Regionen Russlands stellten sich tausende Kandidaten zur Wahl, rund 45 Millionen Menschen konnten abstimmen. Anberaumt waren rund 4.700 Wahlen auf unterschiedlichen Ebenen. Es ging um Regionalparlamente, gewählt wurden auch Delegierte für Stadtteilvertretungen, zum Beispiel in Moskau. Vereinzelt stellten sich auch neue Gouverneure zur Wahl, wie etwa in Kaliningrad, dem früheren Königsberg. Sensationen sind allerdings nicht zu erwarten. Die Opposition in Russland ist weitgehend zerschlagen.

Keine Blamage zu erwarten

Trotzdem hat der Kreml wohl ein Interesse an einem starken Wahlergebnis der Regierungspartei. Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte, die "militärische Spezialoperation" habe nicht zu einer Spaltung, sondern zu einer Konsolidierung der Gesellschaft geführt. Hingegen teilte die angesehene Wahlbeobachtungsorganisation Golos mit: "Es ist unmöglich, von einer freien politischen Willensbekundung zu sprechen."

"Für den Frieden!" wirbt Jabloko, die liberal-demokratische Oppositionspartei. "Jabloko ist immer für den Frieden eingetreten und den Schutz des Lebens der Menschen", so der prominente Sankt Petersburger Politiker Boris Wischnewski. Die Partei fordert eine Rückkehr Kiews und Moskaus an den Verhandlungstisch für Friedensgespräche. Allerdings hat Jabloko nur in zwölf Regionen Kandidaten ins Rennen geschickt. Wischnewski beklagt, sie würden wegen ihrer "Anti-Kriegs-Haltung" mit Ordnungs- und Strafverfahren überzogen und festgenommen. Einigen sei die Registrierung zur Wahl verwehrt worden.

Für wenigstens etwas Aufregung sorgte die "Smart Voting"-Kampagne der Anhänger des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny. Über eine spezielle App konnten Wählerinnen und Wähler erfahren, welcher Kandidat in ihrer Region die größten Chancen gegen die Regierungspartei Geeintes Russland hat. Doch seit Freitag kann die App aus russischen App Stores nicht mehr heruntergeladen werden.

Seltsame Anrufe

Unterdessen erhielten einige Kandidaten merkwürdige Anrufe, berichtet die Online-Zeitung Nowaja Gaseta unter Berufung auf den Jabloko-Politiker Kyrill Gontscharow. Vermeintlich Journalisten renommierter Medien stellten den Kandidaten Fragen nach deren Meinung zum "Smart-Voting" und zu den Kämpfen in der Ukraine. Gontscharow vermutet: "Das Ziel war eindeutig, die Kandidaten etwas sagen zu lassen, das dazu verwendet werden könnte, strafrechtliche Ermittlungen gegen sie einzuleiten oder sie zumindest einzuschüchtern." (Jo Angerer, 11.9.2022)