Damit Omikron auch weiterhin überleben kann, ist es für das Virus notwendig, den Immunschutz weiter zu umgehen. Das gelingt ihm durch neue Mutationen.

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Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe an Mutationen der Omikron-BA.2-Variante. Nun wurde noch eine weitere entdeckt. Sie trägt den Namen BJ.1. Auch wenn gerade einmal 70 Infektionen mit der neuen Variante weltweit gemeldet wurden– die meisten davon in Indien –, scheint sie relevant zu sein oder könnte es zumindest werden. Auch in Österreich ist sie bereits angekommen.

Das Besondere an BJ.1 ist, "dass sie einen Rekord an Mutationen aufweist", betont Ulrich Elling, Molekularbiologe am Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Genauer gesagt sind es 13 Mutationen zusätzlich zu den ohnehin schon 31 Mutationen von BA.2 am Spike-Protein – so viele, wie noch keine Omikron-Subvariante vor ihr hatte. Zum Vergleich: BA.5 hat fünf Zusatzmutationen zusätzlich zum BA.2-Paket, und Delta hatte überhaupt nur acht.

Bessere Immunflucht

Derzeit ist in Österreich immer noch BA.5 die vorherrschende Variante. Auch sie ist eine Tochter von BA.2 – genauso wie BA.4, BA.2.12.1 und BA.2.75, die einen kleinen Teil der Infektionen in Österreich ausmachen. Und nun kommt noch eine weitere Tochter, BJ.1, dazu. Warum sie so viele Mutationen am Spike-Protein trägt, erklärt Elling so: "Diese Mutationen entstehen nicht einfach zufällig. Sie liegen genau an der Region, an der sich eigentlich Antikörper gegen das Virus binden würden." Durch die Mutationen können es die Antikörper jedoch nicht mehr so leicht erkennen.

Für das Virus ist das ein notwendiger Schritt. Denn: Durch Impfungen und Infektionen sei die Immunität gegen Omikron in der Bevölkerung mittlerweile sehr hoch. Um nicht zu verhungern, müsse es sich immer wieder neu verändern. Elling weiß: "Früher oder später muss das Virus es schaffen, den Immunschutz besser zu umgehen, sonst hat es keine Chance mehr."

Dennoch muss die neue Variante nicht nur Vorteile für sich besitzen. Der Experte vermutet: "Eine bessere Immunflucht kann auf Kosten der Virus-Fitness gehen." Das würde bedeuten: Wenn das Virus an einer Stelle – also wie hier angenommen – bei der Immunflucht stärker wird, kann es durchaus sein, dass es dafür an seiner Infektiosität einbüßen muss. Die Omikron-Varianten sind aber sowieso alle um ein Vielfaches infektiöser als die Ursprungsvariante, und der wichtigste Faktor ist es nun eben, durch Immunschutz-Umgehung eine neue Gelegenheit zur Infektion zu erschließen.

Mehrere Varianten zeitgleich

Um den Effekt der Mutationen auf das Infektionsgeschehen herausfinden zu können, müsse man in nächster Zeit die Wachstumszunahme beobachten. Doch obwohl noch sehr wenige Daten zu Verfügung stehen, "kann man schon erkennen, dass sich BJ.1 vor allem in Indien bereits sehr schnell ausbreitet", sagt Elling. "Wir müssen dabei bedenken, dass Omikron durch etliche Mutationen immer wieder an Infektiosität gewonnen hat. BJ.1 wird jedenfalls noch um einiges ansteckender sein als die Ursprungsvariante aus Wuhan."

Wie die nächsten Monate aussehen könnten, dazu hat Elling eine Theorie: "Ich denke, dass wir in Zukunft mit mehreren Varianten gleichzeitig leben werden. Schon jetzt sehen wir vier Varianten zur selben Zeit bei uns, vor allem BA.5, aber auch BA.2.12.1, BA.4 und BA.2.75 und nun auch noch die neue, BJ.1." Der Trend gehe eindeutig zu mehreren Omikron-Varianten. Vorausgesetzt, es taucht nicht eine komplett neue Mutation auf. Derzeit sei eine solche jedoch glücklicherweise nicht in Sicht. (Jasmin Altrock, 12.9.2022)