Grasen auf saftig grünen Wiesen: Die Realität sieht bei der Milchproduktion häufig anders aus.

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Hafermilch darf eigentlich gar nicht so heißen. Denn laut einer europäischen Verordnung ist Milch "das Gemelk einer oder mehrerer Kühe". Deshalb lautet die offizielle Handelsbezeichnung auch "Haferdrink" und nicht Hafermilch. Die Unterscheidung zwischen Drink und Milch mag banal wirken. Doch an ihr werden die Gräben zwischen den beiden Welten deutlich.

Das zeigte sich jüngst etwa in Deutschland in einer Debatte rund um Satiriker Jan Böhmermann. Laut einem Twitter-Post habe er sich in einem Café einen Cappuccino bestellt, woraufhin er gefragt wurde, mit welcher Milch er den Kaffee haben wolle. "Normale Milch", habe er geantwortet, woraufhin "Was ist für dich normal?" als Frage zurückgekommen sei, er wortlos das Café verlassen habe und wenig später mit dem Twitter-Post eine hitzige Debatte zwischen Kuhmilch- und Hafermilchtrinkern lostrat.

Heftiger Schlagabtausch

Doch nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch zwischen den Herstellern scheiden sich bei der Milch die Geister. Schon seit Jahren wettern Hafermilchhersteller wie der schwedische Konzern Oatly mit Werbekampagnen gegen klassische Milch. Milchhersteller schlagen ebenso energisch zurück.

Überspitzt könnte man sagen: Tradition trifft auf Moderne, Milch- auf Haferbauer, Babyboomer- auf "Hafermilchgeneration", wie die "Süddeutsche Zeitung" kürzlich den Trend bei jüngeren Menschen nannte, die Kuhmilch ablehnen. Hafermilchhersteller verweisen auf das Tierwohl und die angeblich niedrigeren Emissionen ihrer Drinks, die Milchwirtschaft auf die gesundheitlichen und ökologischen Vorzüge von Kuhmilch. Welche Seite hat nun recht? Und was heißt das für die Zukunft der Milch?

Verdrehte Fakten

Einer emotional aufgeheizten Debatte kann man zunächst mit Fakten begegnen. Doch die werden von beiden Seiten regelmäßig verdreht. So behauptete Oatly kürzlich in einem Werbespot, in dem Teenager ihren Vater überzeugen wollen, von Milch auf Haferdrinks umzusteigen, dass die Herstellung von Haferdrinks 73 Prozent weniger CO2-Emissionen verursache als die Produktion von Kuhmilch. In bezahlten Anzeigen auf Facebook und Twitter behauptete das Unternehmen wiederum, dass Milch- und Fleischwirtschaft mehr CO2 ausstoßen als alle Flugzeuge, Züge, Autos und Schiffe der Welt zusammen.

Oatly sucht häufig die direkte Konfrontation mit der Milchwirtschaft.
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Beide Behauptungen stufte die britische Werbeaufsicht ASA wenig später als irreführend, nicht hinreichend untermauert und als Übertreibung ein. Beim ersten Vergleich habe sich Oatly etwa nur auf eines seiner Produkte bezogen und dieses nur mit der Produktion von Vollmilch verglichen. Bei der zweiten Rechnung seien nur die Emissionen während der Nutzung der Verkehrsmittel eingeflossen, nicht aber bei deren Herstellung und Entsorgung. Man habe die Kampagne inzwischen aus dem Verkehr gezogen, teilte Oatly daraufhin mit.

Hafermilch ökologisch besser

Greenwashing kennt man aber auch aus der Milchwirtschaft. Vor zwei Jahren warb die Großmolkerei Arla etwa auf der Verpackung damit, dass ihre Bio-Weidemilch 71 Prozent weniger Emissionen verursache. Ein kleines Sternchen verwies auf den Zusatz auf der Rückseite: Die Angabe beziehe sich lediglich auf die Emissionen der Verpackung, nicht aber auf jene der Milch. Der Verbraucherverein Foodwatch hatte daraufhin eine Klage gegen Arla eingereicht, die der Konzern vor Gericht jedoch abwehren konnte.

Was stimmt nun als? "Hafermilch hat eine deutlich bessere Ökobilanz als Kuhmilch", sagt der Schweizer Agrarwissenschafter Urs Niggli dem STANDARD. Hafer sei insofern günstig, als er als sehr robuste Pflanze umweltfreundlich angebaut werden könne. Zudem sei klar, dass die Landwirtschaft, um nachhaltig zu werden, einen Teil der tierischen Proteine durch pflanzliche Proteine wie Soja, Bohnen oder Linsen ersetzen müsse.

Kuhmilch kann auch nachhaltig sein

Doch ganz so eindeutig ist der Vergleich dann doch nicht. Geht es etwa um die Proteinqualität, Vitamin B12 und Calcium, habe Kuhmilch deutlich mehr zu bieten als Hafermilch, so der Experte. Zudem habe Kuhmilch noch einen anderen Vorteil: Kühe können Gras zu Energie und Protein umwandeln und damit diese Flächen für die menschliche Ernährung nutzbar machen.

Global sei die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche Grünland wie Weiden und Wiesen. Zudem werde auch beim Biolandbau Gras und Klee angebaut, um die Bodenfruchtbarkeit aufzubauen, die wieder von Kühen, Schafen oder Ziegen verwertet werden können. "Es wäre ein Desaster, wenn man auf eine graslandbasierte Rindviehhaltung verzichten würde", sagt Niggli.

Leistung auf Anschlag

Kühe, die glücklich und zufrieden auf saftig grünen Almwiesen grasen? Die Realität sieht freilich oft anders aus. Grüne Wiesen haben viele der "Hochleistungskühe", wie Tierschützer die mit Kraftfutter gemästeten Tiere nennen, meist wenig gesehen. Deren Leistung ist mit Ausnahme des vergangenen Jahres in Österreich jedes Jahr kontinuierlich gestiegen: von durchschnittlich rund 6.000 Kilogramm Milch pro Kuh im Jahr 2007 auf 7.200 Kilogramm im Jahr 2021.

"Landwirte produzieren heute fast das Doppelte an Milch pro Kuh im Vergleich zur Generation davor. Die Leistung der Tiere steht bereits auf Anschlag", sagt Matthias Gauly, Experte für Nutztierhaltung an der Universität Bozen, dem STANDARD. Das habe auch gesundheitliche Auswirkungen: Denn den Kühen blieben weniger Ressourcen, mit Veränderungen bei den Futtermitteln, höheren Temperaturen oder Krankheiten fertigzuwerden. Zugleich sei es auch für die Landwirte eine zunehmende Herausforderung, die Tiere gesund zu halten. "Es ist ein Teufelskreis: Die Milchproduktion und die Zahl der Kühe steigen immer mehr, doch weder die Tiere noch die Landwirte profitieren davon", sagt Gauly.

Immer größer, immer mehr

Die Wachstumsspirale hat auch Milchbauer Johann Konrad erlebt. 360 Milchkühe hat Konrad mittlerweile in seinem Betrieb in Pfaffing in Oberösterreich. Jede von ihnen produziert rund 9.000 Liter Milch im Jahr, womit der Bauer in Summe auf drei Millionen Liter Milch pro Jahr kommt – im österreichischen Vergleich ein ziemlich großer Betrieb. "Wir haben trotzdem zu kämpfen, damit wir über die Runden kommen", sagt Konrad. Beinahe das gesamte Geld gehe für den laufenden Betrieb drauf: etwa für die Instandhaltung der Melkroboter, das Futter oder den Strom.

Rund 100.000 Euro bekomme er an Subventionen und Geld aus Umweltprogrammen pro Jahr, sagt der Milchbauer Johann Konrad. Das mache rund zehn Prozent seines Einkommens aus. Das Geld reiche insgesamt gerade so für den Betrieb.
Foto: Jakob Pallinger

Von einer 1,5 Euro teuren Milch im Supermarkt sehe er am Ende 52 Cent, den größten Teil bekomme der "marktmächtige" Handel. Immerhin sei der Preis, den er für seine Milch bekommt, im vergangenen Jahr um zehn bis zwölf Cent gestiegen. "Dass ein Bauer einmal einen Euro für seine Milch bekommt, wird es aber nie geben", sagt er. Denn das wäre auch den Konsumenten zu teuer – und Milchbauern würden vom "Modetrend" der Haferdrinks, wie Konrad es nennt, wohl noch mehr verdrängt werden.

Imageproblem selbstverschuldet

Dabei sind es nicht nur die pflanzlichen Alternativen, die der Branche zu schaffen machen. "Die Kuh hat ein Imageproblem, das die Landwirtschaft aber selbst verschuldet, weil man die Milch- und Fleischleistung mit Kraftfutter pushte", sagt Agrarwissenschafter Niggli.

Dieses Imageproblem kommt Unternehmen wie Oatly wahrscheinlich zugute. Im ersten Halbjahr dieses Jahres stiegen die Verkaufszahlen des Unternehmens weiter – und das, obwohl die Haferdrinks des Unternehmens zum Teil sogar das Doppelte im Vergleich zu Kuhmilch kosten. Indessen ist der Pro-Kopf-Verbrauch von Milch in Österreich zwischen 2011 bis 2020 leicht von 79 Kilogramm auf 75 Kilogramm gesunken.

Könnten pflanzliche Alternativen letztlich also den Kampf um die Milch für sich entscheiden? "Hafermilch kann die zahlreichen Milchprodukte wie Käse und andere nicht ersetzen", sagt Niggli. Auch die generellen Zahlen sprechen noch nicht dafür: Derzeit machen pflanzliche Alternativen lediglich vier Prozent vom Milchmarkt aus.

Milch muss teurer werden

Vielmehr könnte der Boom der Hafermilch ein Weckruf für die Milchwirtschaft sein. "Wir müssen von dem Gedanken wegkommen, dass maximale Leistung immer das Wichtigste ist", sagt Gauly. Fressen Kühe statt Kraftfutter Gras, dann nutzen sie Futter, das der Mensch ohnehin nicht verdauen kann – und können immer noch zwischen 4.000 und 5.000 Liter Milch pro Jahr produzieren. Das führe zwar zu einem höheren Methanausstoß, sei aber insgesamt ökologischer. Dafür müsste die Milch aber auch teurer sein und den Landwirten mehr Geld einbringen. "Ohne dass wir mehr dafür bezahlen, wird so eine Veränderung nicht möglich sein", sagt Gauly.

Kuhmilch und Hafermilch müssen einander damit künftig nicht ausschließen, sondern können sich sehr gut ergänzen, sagen Experten. Und auch für die Frage, welche Milch nun die "normale Milch" ist, gäbe es laut einigen, die sich an der Diskussion rund um Jan Böhmermann beteiligten, eine einfache Lösung: Wer Kuhmilch in seinen Kaffee will, sagt eben Kuhmilch. Wer Hafermilch will, sagt Hafermilch. (Jakob Pallinger, 20.9.2022)