Die EU will mit ihrem neuen Lieferkettengesetz die Abholzung wie hier im Amazonasgebiet eindämmen.

Foto:imago images/Fotoarena

Jedes Jahr werden weltweit über zehn Millionen Hektar Wald abgeholzt – eine Fläche größer als Österreich. Europa spielt dabei eine Hauptrolle: Rund 16 Prozent der Abholzung des Regenwaldes gehen auf das Konto Europas, so zeigt ein Bericht der Umweltorganisation WWF.

Ein neues Gesetz soll das stoppen: Die EU arbeitet an einer Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten. Tritt sie in Kraft, müssen Unternehmen, die ihre Produkte in Europa verkaufen, nachweisen, dass sie deren Herkunft sorgfältig prüfen und sicherstellen, dass für die Herstellung kein Wald abholzt wurde. Gelten soll das Gesetz für Rind, Kakao, Kaffee, Palmöl, Soja sowie Holz, schlug die EU-Kommission vergangenen Februar vor.

Diesen Vorschlag will das EU-Parlament jetzt nachbessern. Wie genau, das wird am Dienstag entschieden: Die Abgeordneten stimmen im Rahmen ihrer Plenarwoche in Straßburg darüber ab, wie sie in den sogenannten Trilog einsteigen wollen – also in die Verhandlungen mit dem Rat auf Basis des Kommissionsvorschlags. Diese sollen Ende September starten.

Als ziemlich sicher gilt, dass das Parlament sich darauf einigen wird, den Kommissionsvorschlag auch auf Kautschuk, Mais und weitere Fleischsorten zu erweitern. Denn diese Produkte führen weltweit ebenfalls zu großflächiger Abholzung. Außerdem dürfte das Parlament dafür stimmen, die Verordnung nicht nur auf Urwälder sondern auch auf andere waldähnliche Ökosysteme wie Steppen auszuweiten – das wäre etwa für den Schutz des brasilianischen Savanne Cerrado wichtig, in der sich riesige Soja-Plantagen immer weiter ausdehnen.

Auch beim Stichtag dürfte das Parlament sich heute einigen: Nur Flächen, die vor dem 31. Dezember 2019 abgeholzt wurden, sollen für den Anbau und die Viehzucht genutzt werden. Der Rat hat in seiner Position das Datum für ein Jahr später angesetzt.

Umstrittene Zertifizierung

Einer der großen Streitpunkte im Parlament ist, ob Unternehmen künftig sogenannte Geolokalisierungsdaten erheben müssen. Mit ihnen kann ein Rohstoff bis zum Feld getrackt werden. Kaum ein Unternehmen verfolgt seine Lieferketten heute so genau – damit ist in vielen Fällen kaum nachvollziehbar, auf welchem Feld etwa ein Sack Sojabohnen angebaut wurde. Das führt dazu, dass eben auch Produkte von entwaldeten Flächen den Weg in europäische Lieferketten finden.

Dabei wäre die Nachverfolgung einfach möglich, sagt die zuständige sozialdemokratische Abgeordnete Delara Burkhardt. Es fehle schlicht der legislative Druck dazu.

Die Abstimmung zu den Trackingsystemen dürfte knapp werden: Viele Abgeordnete wollen stattdessen weiter mit bisherigen Zertifizierungssystemen arbeiten, die Unternehmen die nachhaltige Herstellung bescheinigen. Zahlreiche Berichte zeigen jedoch, dass solche Zertifikate nicht immer verlässlich sind. "Sie können eine Hilfsrolle spielen, aber nicht die Verantwortung ersetzen", so Burkhardt.

Der Berichterstatter der konservativen EVP, Christophe Hansen, will hingegen beides: Eine Einführung der Geolokalisierung, aber auch eine Stärkung der Rolle von Zertifikaten. "Es geht vor allem darum, dass bisher gesammelte Daten nicht verloren gehen", erklärt er.

Geldhahn für industrielle Rinderfarmen

Besonders strittig dürfte heute werden, ob die Regelung auch für Banken gelten soll. "Damit würden wir kleinen und mittelgroßen Betrieben schaden", so Hansen. Er nennt als Beispiel einen Betrieb, der um Finanzierung für eine neue Kaffeemühle ansucht. Für eine Bank sei es schwierig nachvollziehen, wo der Kaffee wachse, der dort verarbeitet werden würde.

Burkhart hingegen hofft, Finanzinstitute zumindest perspektivisch einzubeziehen oder eine zusätzliche Regulierung zu schaffen – sie denke dabei etwa an großindustrielle Rinderfarmen. Finanzinstitute würden mit Krediten erst Aktivitäten ermöglichen, die zu Abholzung führen, sagt sie.

Eine Einigung zu einer Regulierung für Banken wird heute nicht erwartet.

Europäische Forstwirtschaft ausgeklammert

Nicht nur Wälder in Brasilien, der Elfenbeinküste und Indonesien sollen durch die Verordnung geschützt werden – auch europäische Wälder sollen erfasst werden. Alles andere wäre schon allein nicht mit den Regeln der Welthandelsorganisation vereinbar gewesen, weil die Auflagen sonst als diskriminierend hätten gelten können.

Doch unter anderem die nordischen Staaten mit ihrer starken Forstwirtschaft kündigten Bedenken an – vor allem in Bezug auf eine Definitionsfrage in der Verordnung. Diese sieht nämlich neben der kompletten Abholzung vor, auch sogenannte Waldschäden zu verhindern. Das bedeutet, dass zum Beispiel so viel Holz in einem Wald geschlägert wird, dass zwar noch Bäume stehen, das Ökosystem aber zerstört ist.

Der Rat wolle nur Urwälder vor solchen Schäden schützen, kritisiert Burkhardt. Davon gibt es in der EU fast keine mehr. Damit wäre die europäische Forstwirtschaft ausgeklammert. Entsprechend holprig dürften auch die Trilog-Verhandlungen werden, die Ende des Monats starten sollen.

"Wenn wir unsere Position durchs Plenum bekommen, ist das ein riesiger Schritt im Kampf gegen die Entwaldung", so Burkhardt. Und Hansen ergänzt – auch in Richtung des Rates, dem er vorwirft, das Gesetz zu verschleppen: "Es ist wichtig, dass es jetzt schnell geht. Mit jedem Jahr verlieren wir weitere zehn Millionen Hektar." (Alicia Prager, 13.9.2022)