Nein, Laufen ist nie langweilig. Das geht per se nämlich gar nicht. Erstens, weil es Laufen ist. Und zweitens, weil – falls doch – kein Läufer, keine Läuferin das je zugeben würde. Schon gar nicht in einer Laufkolumne.

Blöderweise gibt es aber in jedem vernünftig aufgebauten Trainingsplan Longruns: lange Läufe im Grundlagenbereich. Bei denen geht es ausdrücklich nicht darum, irgendwelche Tempo- oder Sonst-was-Bestmarken zu knacken, sondern so lange oder weit wie möglich locker zu traben. "Locker" bedeutet easy – und "lang" oder "weit" orientiert sich am Ziel, auf das man hintrainiert.

Im Marathontraining sind das gern drei Stunden. Manchmal 30 oder 35 Kilometer. (Nein, nie die volle Distanz: Der Rest passiert im Kopf. Andere Geschichte.) Das "Problem" solcher Läufe kennt, wer mit dem Auto oder dem Motorrad alleine auf elendslangen, absolut leeren Landstraßen fährt und, wo 100 km/h erlaubt sind, 60 km/h zu halten versucht: Irgendwann haut es einem da den Vogel raus.

Foto: Tom Rottenberg

Longruns sind ähnlich. Woran man "langsam" erkennt: "So, dass dir fad wird."

Weil jedoch fad halt fad wäre, Laufen per definitionem aber nie fad sein kann oder darf, "bekämpfen" viele Leute ihren Ennui genau falsch: Sie werden schneller. Blöderweise sind sie dann weder objektiv und subjektiv auch nur annähernd schnell – aber eben doch zu schnell für die Aufgabenstellung, den lockeren Grundlagenlauf.

Denn dabei geht es darum, dem Körper (grob vereinfacht gesagt) beizubringen, wie lange er problemlos durchhalten kann. Und diese Dauer führt man dann – step by step – mit Tempo zusammen. Idealerweise passt die Kombi dann am Wettkampftag genau.

Dabei, den Longrun zu versemmeln, habe ich Übung: Vorige Woche, bei meinem "Longy" im Seewinkel, hätte ich etwa 6' 10" pro Kilometer laufen sollen. Ich lief zwar langsam – war aber doch zu schnell.

Foto: Tom Rottenberg

Was da hilft? Klar: Selbstdisziplin. Oder ein Tempoalarm auf der Uhr. Oder aber eine Gruppe. Weil man sich da einem fixen Temporegime unterordnen muss. Nachteil: Man ist, was Treffpunkt und Route angeht, weniger flexibel.

Familie? Super – wenn es in der Binnenstruktur funktioniert. Beim Langsamlaufen fallen Niveauunterschiede zwar eine Spur weniger ins Gewicht – aber zu akzeptieren, dass sich jemand anders ganz klar ersichtlich viel leichter tut, ist nicht für jeden immer einfach. Männer tun sich da meist noch schwerer. Habe ich mal gehört: Ich selbst habe – eh klar – natürlich exakt null Probleme damit, der signifikant langsamere und schwächere Läufer zu sein.

Foto: Tom Rottenberg

Doch auch zu zweit kennt man auf den "beaten tracks" bald jeden Maulwurfshügel. Manche Menschen knallen sich deshalb so mit Musik zu, dass sie gar nichts mehr mitbekommen.

Ich versuche das Gegenteil – und suche nach Neuem, Unbekanntem, Atypischem. Deswegen fiel uns auch ein ident ausgerüstetes Paar auf. Die beiden wirkten ein wenig "lost" – also sprachen wir sie an.

Tatsächlich "lost" waren Nicky und Grant allerdings nicht: Die beiden betrieben zehn Jahre lang einen Laufshop in Ashtead (Surrey). Mit dem daraus hervorgegangenen Club "Run to live" sind sie unter anderem regelmäßig beim Ironman in Kärnten. In Wien waren die beiden diesmal nur für einen Tag: "We are on our way to Klagenfurt: We want to see how this place looks without the Ironman-Madness."

Foto: Tom Rottenberg

Während die Engländer die eventlose Eventregion sehen wollten, stand bei uns das Gegenteil auf dem Plan:

Man setzt sich zum "Leute schaun" ja auch ins Kaffeehaus. Geht bummeln. Hängt auf dem Dorfplatz ab. Gafft, tratscht, grüßt, plaudert – und lästert manchmal vielleicht ein bisserl. Beim Laufen geht das genauso. Der Wiener Laufdorfplatz ist die PHA, die Prater-Hauptallee. Und derzeit ist hier fast jeden Sonntag Bewerbsjahrmarkt.

Freilich: Im Grundlagenmodus an einem Wettkampf teilzunehmen wäre ein wenig seltsam. Klar: Da das Low-low-low-Tempo zu halten könnte eine spannende Übung in Selbstdisziplin sein, die Spaßwerte sind dann aber wohl eher endenwollend: Beim Start ziehen alle weg – eventuell wird man überrundet. Fertig.

Einen Plan B gibt's hier aber auch. Charity-Dauerläufe etwa.

Foto: Tom Rottenberg

Die funktionieren nämlich oft anders: Meist rennt da jeder und jede "für die gute Sache" auf einem relativ kurzen Rundkurs so viele Runden wie möglich. Oft sogar ohne verbindliche Startzeit.

Weil Veranstalter ihr Publikum aber möglichst lange bei der Stange halten wollen, wird bei manchen Läufen nicht nur im Start-Ziel-Bereich, sondern auch entlang der Strecke mit Attraktionen, Interventionen und Unterhaltungsunterbrechern für Kurzweil gesorgt. Und zusätzlich die (in Österreich meist unerhört verhallende) Bitte um Kostümierung oder die Einhaltung eines Dresscodes ausgesprochen.

Das heimische Paradebeispiel dafür fand diesen Sonntag auf der Hauptallee statt: der Rote-Nasen-Clowndoctors-Charity-Run.

Foto: Tom Rottenberg

Das Event hat mittlerweile Tradition. Das erste Mal fand der Lauf in dieser Form 2007 statt. Damals – und über lange Jahre – spendeten Sponsoren zusätzlich zum von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bezahlten Startgeld für jede gelaufene Runde.

Das summierte sich schnell und anständig, war aber in der Abwicklung aufwendig. Außerdem wurde das Ergebnis dadurch wetterabhängig.

Ein paar Jahre vor der zweijährigen Corona-Zwangspause stellten die Roten Nasen das System also um – auf Startgeld plus Sponsoren-Fixbeträge.

Der Idee, das Publikum zwischen Stadionallee und Lusthaus so oft wie möglich hin und her zu schicken, blieb man jedoch treu.

Foto: Tom Rottenberg

Mit Erfolg – und guten Gründen. Schließlich geht es hier ja nicht um Bestzeiten, sondern neben der Spendensammelei auch ein wenig um die Botschaft, dass Bewegung die beste Vorsorgemedizin ist. Und je früher man damit beginnt ... #undsoweiterundsofort.

"Vorsorge" – das war in meiner Kindheit oft ein Löffel irgendwas in der Früh. Vorsorge schmeckte grauenhaft. Und das sonntägliche Pflichtwandern im Wienerwald war ähnlich sexy wie der Löffel Lebertran, auf den irgendwelche Urahnen schworen: bitte nicht.

Aber das war in einer Zeit, als "Edutainment" noch ein Fremdwort war – und sogar beim Turnunterricht in der Schule nur Wert hatte, was wehtat.

Foto: Tom Rottenberg

Wie anders, wie leicht und selbstverständlich Sport attraktiv gemacht werden kann, zeigen solche Events. Wie spielerisch sich Freude an Bewegung vermitteln lässt, wenn statt Zeigefinger, Stoppuhr und "Du musst!" Lachen, Anerkennung und ein "Versuch's einfach" im Raum stehen, sieht man dort sehr rasch.

Und wenn alle paar hundert Meter Clowns herumalbern, erleben längst nicht nur Kinder das gerade beim (Wieder-)Einstieg so frustrierende "Ich kann nimmer rennen, Gehpause bitte!" nicht als Eingeständnis des eigenen Unvermögens, sondern als zwingende Einladung, stehen zu bleiben: Da ist ja was los! Am kollektiv gesungenen "Maaaahajaaaa – erzähläää uuuuns von diiiiiir" kann nämlich kaum jemand vorbeilaufen. Oder? Eben. Und dann, erholt, rennt man auch motiviert weiter: "Kommen wir eh noch mal vorbei?"

Foto: Tom Rottenberg

Der Rote-Nasen-Lauf vom Sonntag war, das nur nebenbei, nicht der einzige Lauf, mit dem Aufmunterungsarbeit für "humorbedürftige" Menschen in medizinischen und sozialen Einrichtungen unterstützt wird. Alleine am Sonntag kamen so – dank der 1.800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer – über 60.000 Euro zusammen. Doch insgesamt sind es heuer um die 50 Läufe, bei denen rote Schaumstoffnasen verteilt werden – bis Oktober stehen noch 22 auf dem Plan.

Ich bin kein Clown-Fan: Ich lache über mich – und mit anderen. Mein Leben lässt das zu. Aber wo im Alltag wenig Lächeln, kaum Freude und kein Lachen zu finden ist, können Clowns helfen. Sehr. Clownerie ist kein medizinisches "Medikament", aber alles, was im Sozial- und Gesundheitsumfeld Lebensfreude vermittelt, ist richtig und wichtig.

Foto: Tom Rottenberg

Natürlich: Wer mit roter Schaumstoffnase läuft, kriegt weder eine "vernünftige" Pace noch Regelmäßigkeit in den Lauf. Gefühlt ist es eh anstrengender, alle paar Minuten anzuhalten und ständig mit irgendwem zu plaudern, und dann wieder loszurennen.

Deshalb wechselten wir nach ein paar Nasen-Runden auf die Donauinsel, um bei einem anderen Event anzufeuern: Bei der Steinspornbrücke fand nämlich der Vienna Triathlon statt. Da dort etliche Freunde und Bekannte starteten, war das ein guter Grund, ein zweites mögliches Anti-Longrun-Fadesse-Thema zumindest ansatzweise umzusetzen: Eventhopping nämlich. Also das Sammeln von am gleichen Tag stattfindenden Bewerben, bei denen man zumindest vorbeigeschaut hat.

Foto: Tom Rottenberg

Diesmal hatten wir in Wien da nur diese zwei auf dem Radar. Und unterschiedlicher als ein Vollgastriathlon auf der Insel und der entspannte Clown-Lauf im Prater können Bewerbe wohl kaum sein.

Doch es gab schon Sonntage, an denen bei drei oder vier Veranstaltungen vorbeilaufend zumindest ein "Hi" am Streckenrand möglich war. Fein – aber auch problematisch.

Denn obwohl Laufen immer noch boomt, ist der Markt der potenziellen Wettkampfläuferinnen und -läufer regional stets überschaubar. Wenn Veranstalter einander da bei den "kleinen" Events qua Terminwahl die Kundschaft gegenseitig ohne Not (Corona-Auflagen, die nur Kleinst-Zeitfenster ermöglichten, sind was anderes) abspenstig machen, hilft das auf lange Sicht niemandem.

Aber aktuell wirkt es eh so, als würde man sich mittlerweile halbwegs absprechen.

Foto: Tom Rottenberg

Sollten Sie drüber nachdenken, auf eine ähnliche Art Kilometer zu sammeln wie wir diesen Sonntag, wäre das mit zwei recht unterschiedlichen Stationen kommenden Sonntag relativ unkompliziert umzusetzen. Und zwar inklusive Charity: In der Früh findet im Prater der hier schon letzte Woche erwähnte Alfreds Lauf im Prater statt. Wenn Sie den entspannt anlegen, könnten Sie darüber hinaus alte, aber grundsätzlich noch lauftaugliche Laufschuhe vor dem Schicksal des Sterbens an der Langeweile in Ihrem Schuhschrank retten. Zu diesem Projekt der Laufplattform run42195.at gibt es hier ein anderes Mal aber mehr.

Danach könnten Sie den Donaukanal hinauf gen Döbling traben – in den Türkenschanzpark.

Foto: Tom Rottenberg

Denn dort findet ab 9 Uhr der Vienna Charity Run statt. Auf einem 1,5-Kilometer-Rundkurs geht es so lange im Kreis, wie es Spaß macht. Und so wie beim Urkonzept der Roten Nasen zahlen Sponsoren für jede gelaufene Runde zugunsten des Sterntalerhofs ein (es gibt übrigens auch Teilnehmer-Goodie-Bags, die so immer voller werden ...).

Da der Türkenschanzpark nicht ganz zentral liegt, kann man hier aber auch "virtuell" teilnehmen. Das bietet übrigens auch einen Vorteil für alle, die Bewerbe "sammeln": Sie können so mit einem Hintern gleichzeitig auf zwei Kirtagen tanzen.

Freilich: Für Ihr persönliches Longrun-Training zählt dennoch jeder Kilometer nur einmal.

(Und falls Sie es wirklich wissen wollen: Bei uns waren es diesen Sonntag 27 Kilometer – mit einer sehr entspannten 6er-Pace. Die reine Laufzeit betrug etwa 2:42, unterwegs waren wir aber doch sehr viel länger.) (Tom Rottenberg, 13.9.2022)

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Foto: www.vienna.charity.run