Die katholische Kirche von Bougouni, einem malischen Provinzort von 80.000 Einwohnern, ist erst im Betonrohbau fertig. Trotzdem ist sie an diesem Augustfeiertag gerammelt voll für die Erstkommunion einiger Kinder. Das Auffälligste für auswärtige Besucher: Frauen und Männer sitzen getrennt. Das habe sich mit der Zeit so ergeben, lacht Maria, eine Frau im orange-blauen Boubou-Gewand. "In Mali beeinflussen und respektieren sich die Religionen gegenseitig. Das ist unsere malikitische Art des Zusammenlebens, gelebte Toleranz – halt auch eine Art von Kommunion."

Die katholische Kirche von Bougouni von innen. Oft sind dort auch Muslime anwesend.
Stefan Brändle

In Mali sind 95 Prozent Muslime, drei Prozent Christen. Viele leben gemeinsam in Familien, noch mehr feiern die Feste zusammen. Auch jetzt sind in der Kirche von Bougouni Muslime anwesend. Und, was Maria nicht sagt, ein paar Polizisten in Zivil. Unter ihren Sonntagsgewändern sind sie diskret bewaffnet. Das kommt nicht von ungefähr. Kürzlich habe ein Unbekannter auf dem Kirchengelände herumgeschnüffelt, erzählt David, der Messdiener. So könnten Jihadisten ihre Anschläge vorbereiten.

Über Mali hinaus

In Westafrika treiben sie seit langem ihr Unwesen, zuerst als Ableger von Al Kaida, seit dem Sturz des libyschen Herrschers Muammar al-Gaddafi 2011 auch im Namen der Terrormiliz IS. Ein Jahr später stoppten 5.000 französische Soldaten die Eindringlinge aus der Sahara, aber nur vorübergehend: Heute dringen die Wüsten-Jihadisten über Mali hinaus vor, unter anderem nach Côte d’Ivoire und Guinea, weniger als 100 Kilometer von Bougouni entfernt. Und derzeit vor allem nach Burkina Faso, wo die Jihadisten schon ganze Dörfer ausgelöscht haben. "Ein Drittel der Pfarreien in Burkina sind aus Sicherheitsgründen geschlossen", weiß David.

Der Messdiener erzählt von der kolumbianischen Ordensschwester Gloria, die östlich von der Hauptstadt Bamako entführt worden war. Nach vier Jahren kam die Waisenhaus-Betreuerin frei, zweifellos dank Lösegeldes. "Viele Jihadisten werden Banditen und Vagabunden", meint David. "Und umgekehrt."

Messdiener David erzählt, dass Jihadisten bereits über Mali hinaus vordringen, vor allem nach Burkina Faso.
Stefan Brändle

In der Kirche beginnt die Feier. Pfarreivorsteher Benjamin Samaké, ein Priester voller Energie, predigt mit seiner weitreichenden Stimme: "Der Glaube ist auch eine Verpflichtung. Tragen wir das Kreuz auf der Brust!" Früher wäre das selbstverständlich gewesen, heute braucht es Mut dazu: Das Kreuz ist für die Jihad-Fanatiker fast schon eine Zielscheibe.

Ausgelassene Stimmung

Allein, die Stimmung in der Kirche ist keineswegs gedrückt, sie wird im Gegenteil immer ausgelassener. Der Frauenchor beginnt wie bei einem Gospelkonzert zu tanzen und klatschen, und nach der Kommunion bewegt sich bald die ganze Kirche zu den Akkorden eines zunehmend frenetischen Schlagzeugs.

Nach der Messe versammelt man sich unter dem ausladenden Schatten eines Caïlcedrat, eines riesigen Acajoubaumes, der höher als der Kirchturm ist. Langsam weicht die Freude des Zusammenseins, das alte Gesprächsthema kehrt zurück. Ein pensionierter Lehrer zeigt auf seinem Handy ein Foto, das er erhalten hat. Zu sehen ist die zerschossene Fassade einer Arztstation im Dorf Kinian. "Ein Jihad-Angriff, gestern."

Ken, der nur seinen Vornamen nennen will, erzählt seinerseits, wie sein Bruder im Landesnorden, dem Einzugsgebiet der Jihadisten, vor einigen Monaten verschwunden ist. "Er ging eines Morgens los, den Acker zu bestellen. Und er kehrte einfach nicht mehr zurück. Wahrscheinlich hat ihn eine Jihad-Bande verschleppt und gezwungen, für sie zu arbeiten. Einzelne müssen sogar mit Waffen für die Fanatiker kämpfen. Wir beten täglich für unseren Bruder."

Auswirkungen des Klimawandels

Der Nordosten Malis ist heute so gefährlich, dass auch Journalistinnen und Journalisten kaum mehr hinfahren. Einer, der Franzose Olivier Dubost, ein erfahrener Mali- und Sahel-Kenner, wurde dort 2021 gekidnappt; seit diesem Frühling gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihm. Der aus Kamerun stammende Reporter Mohamadou Houmfa erzählt nach einer Reportage vor Ort, wie der Klimawandel die ethnischen Spannungen anheizt: "Der See Faguibine, die letzte große Wasserstelle vor der Sahara, trocknet mehr und mehr aus. Der Boden setzt Gase frei, wird unbestellbar. Die Weidehirten der Peuls und die Ackerbauern der Dogons geraten aneinander. Die Jihadisten mischen sich ein und manipulieren Jugendliche, bis sie in ihre Reihen eintreten."

Die Militärjunta und die korrupten Eliten der Hauptstadt Bamako haben keine Autorität über das weite Land, das größer als Deutschland und Frankreich zusammen ist. Die derzeit wichtigste Terrormiliz Jamaat Nusrat Al-Islam Wal-Muslimin (JNIM) rückt Bamako immer näher. "Sie hat als einziger Machtfaktor in dem Land eine langfristige Strategie", schätzt Alexandre Liebeskind, ehemaliger Delegierter des Roten Kreuzes und heute Friedensvermittler für die Hilfsorganisation HD. "Sie bietet den Armen mehr Sicherheit als die malische Armee, und sie verzichtet in den eroberten Gebieten heute auf körperliche Strafen wie Handabhacken für Diebe."

Liebeskinds Fazit: "Man kann nicht mehr ausschließen, dass Mali eine Theokratie wird." Für die malischen Christinnen und Christen kommt erschwerend dazu, dass ihre frühere Schutzmacht Frankreich nicht mehr präsent ist. Auf Weisung des Putschobersten Assimi Goïta hat Frankreich die Militäroperation Barkhane Ende August in Mali endgültig beendet und in Nachbarländer wie Niger verlegt. Organisierte Demos von Bamako bis Gao skandierten "Barkhane hau ab!" und hießen die Russen willkommen. Deren Privatarmee Wagner ist in Mali mit schätzungsweise tausend Mann bereits aktiv – bei der Bekämpfung der Jihadisten genauso wie bei der Goldförderung.

Unbeliebte Kolonialherren

Die Christen haben wie die übrigen Malier nichts gegen die Ankunft der "Putin-Boys". Man kann daran vor allem ermessen, wie unbeliebt die ehemaligen Kolonialherren aus Paris zuletzt waren. "Den Franzosen ging es um Rohstoffe wie Uran, Erdöl oder Gold", sagt ein junger Gläubiger in Bougouni. "Die Russen haben uns dagegen Helikopter und Waffen geliefert."

Demonstrierende bedankten sich im Februar bei der Wagner-Armee.
Foto: APA/AFP/FLORENT VERGNES

Ein älterer Messeteilnehmer wendet ein: "Wenn sich Putin einmal in Mali festgesetzt hat, wird er auch bleiben, darauf könnt ihr Gift nehmen. Frankreich war immerhin die Schutzmacht von uns Christen." In Paris befürchtet die Organisation "Aide à l’église en détresse" (AED, auf Deutsch: Hilfe für die Kirche in Not) nicht nur direkte Jihad-Attacken gegen malische Christen, ob Katholiken oder Evangelikale. "Fast noch gefährlicher für sie ist, dass der malische Staat zunehmend zerfällt. Islamisten, Putschisten und russische Söldner, das ergibt einen unguten Mix für eine religiöse Minderheit", erklärt AED-Sprecher Thomas Oswald am Telefon.

Liberale Tradition

Noch hält das tolerante, gemäßigte Religionsmodell in Teilen Westafrikas: Im Gespräch stellen sich muslimische Malier ohne Vorbehalte dahinter, stolz auf die liberale Tradition des malischen Islam zu sein. Aber es ist auch unbestreitbar, dass die christlichen wie auch animistischen Minderheiten in Westafrika unter Druck geraten. Selbst in Städten wie Bamako gewinnen salafistische oder wahhabitische Prediger wie Mahmoud Dicko an Einfluss.

Pfarrer Benjamin bleibt zuversichtlich. "Die katholischen Privatschulen bleiben wie hier in Bougouni überall offen – und beliebt. Gerade die intellektuellen Eliten des Landes wissen, was sie daran haben. Zugleich ist die malische Kirche sehr sozial tätig. Und solange wir Gutes tun und uns des Lebens freuen, wird das so bleiben, glauben Sie mir." Es ist eben alles eine Frage des Glaubens. (Stefan Brändle aus Bougouni, 14.9.2022)