Ein Jahr ist es her, dass sich in Graz die Sonne rot färbte: Die Kommunisten wurden bei der Gemeinderatswahl im September 2021 zur stärksten Partei in der steirischen Landeshauptstadt gewählt.

Bürgermeisterin Elke Kahr geht auf Demos, hat eine offene Tür für Bedürftige und agiert politisch äußerst pragmatisch.
Foto: Alexander Danner

Die bis dahin jahrelang regierende ÖVP rasselte von hohem Niveau auf den zweiten Platz hinunter. Bürgermeister Siegfried Nagl nahm seinen Hut, KPÖ-Spitzenkandidatin Elke Kahr holte sich die Grünen und die SPÖ als Koalitionspartner ins Boot: eine epochale politische Wende in Graz , die auch international einiges Aufsehen erregte. Eine Kommunistin als Bürgermeisterin der zweitgrößten Stadt Österreichs – undenkbar bis zu dieser Gemeinderatswahl.

Massenarbeitslosigkeit

ÖVP-Klubobfrau Daniela Gmeinbauer hatte noch wenige Tage vor dem Wahlsonntag fast flehentlich um Stimmen geworben, denn es drohe eine rot-grüne Herrschaft in der Stadt, warnte sie eindringlich: "Graz ist kein marxistisches Versuchslabor für linkslinke Träumereien, die dieser Stadt nachhaltig ihre Lebensqualität und ihre Attraktivität rauben." Hinter der Fassade der Grazer KPÖ stünden "mahnende Beispiele, wohin der marxistisch-kommunistische Weg führt: nämlich Staatsbankrott, Massenarbeitslosigkeit und eine mit Almosen abgespeiste Bevölkerung ohne Perspektive".

Ein Jahr danach stellt sich natürlich die Frage, wie kommunistisch Graz tatsächlich geworden ist: Arbeiten bereits Kolchosen im Süden der Stadt, und wehen Hammer und Sichel vom Rathaus? Wurde die Stadt kommunistisch-grün umgekrempelt?

"Na ja, seriöserweise kann man die Auswirkungen vielleicht erst in einem Jahr sehen. Großes hat sich bisher noch nicht verändert", sieht es die ÖVP-Klubchefin heute etwas distanzierter. Sie ist auch Obfrau des Wirtschaftsbundes in Graz. Beschwerden aus Betrieben, dass hier nun kommunistisch-wirtschaftsfeindlich agiert werde, seien ihr bisher nicht zu Ohren gekommen, sagt Gmeinbauer. "Aber mal schauen." Andererseits sei das Thema "KPÖ-Bürgermeisterin" angesichts der anderen großen Problemfelder, etwa der europäischen Energie- und Kostenkrise, eher in den Hintergrund gerückt.

Grazer Tourismus floriert

Dort, im Hintergrund, sei das Thema Kommunismus in Graz speziell im Tourismus auch immer geblieben, sagt Dieter Hardt-Stremayr, Geschäftsführer der Graz Tourismus & Stadtmarketing GmbH.

"Am Anfang gab es natürlich einige Irritationen, aber nichts wirklich Ernstes. Die Stadtpolitik, und wer hier regiert, wirkt sich auf das Tourismusverhalten nicht aus. Mag sein, dass einige sogar Interesse gezeigt haben, aber das lässt sich an den Zahlen nicht ablesen", sagt Hardt-Stremayr. Immerhin habe sogar die New York Times Bürgermeisterin Kahr kürzlich ein großes Porträt gewidmet. Der Tourismus in Graz habe sich im vergangenen Jahr jedenfalls sogar sehr positiv entwickelt.

Wie Hardt-Stremayr beobachtet auch der Grazer Industrielle und frühere Präsident der steirischen Industriellenvereinigung, Jochen Pildner-Steinburg, die Sache ziemlich zurückgelehnt. Eine Stadtregierung werde den Teufel tun, sich gegen die Wirtschaft zu stellen. Das sei doch unlogisch, argumentiert Pildner-Steinburg. Daran werde sich wohl auch langfristig mit der rot-grünen Politik nichts ändern. Die Frage bleibe nur, "wie aktiv die jetzige Stadtkoalition Wirtschaftspolitik betreibt. Da ist momentan nicht viel zu sehen – aber auch nichts Negatives."

Darüber macht sich auch der aktuelle Präsident der steirischen Industriellenvereinigung, Stefan Stolitzka, seine Gedanken. Es sei zwar "eine neue Arbeitsweise im Rathaus eingezogen, und wir haben den Eindruck, dass die unmittelbare Hilfestellung und Einzelschicksale im Fokus der Bürgermeisterin stehen". Das sei "grundsätzlich nicht verwerflich, aber als oberste Gestalterin der zweitgrößten Stadt Österreichs braucht es einen großen Überblick, Visionen über das Sozialwesen hinaus und Verantwortungsbewusstsein für die nächste Generation", argumentiert Stolitzka. Die neue Stadtregierung habe noch zu wenig Augenmerk auf Industrie- und Wirtschaftsbelange gelegt.

"Es muss ein sehr dynamischer Wirtschaftsstandort konsequent weitergedacht und betreut werden. Das Ausruhen auf der hervorragenden vorhandenen Basis erachten wir in der Industrie als sehr gefährlich", warnt der steirische IV-Chef. Wenn sich die Stadt nicht weiter um den Standort kümmere, "verlieren wir an Attraktivität, Potenzial und Anschluss. Ein Umstand, der schlichtweg nicht eintreten darf." Er hoffe auf "Einkehr", sagt Stolitzka.

Symbolpolitik

Für Heinz Wassermann, Politikforscher an der FH Joanneum, ist es nicht verwunderlich, dass die Fundamente in Graz im Großen und Ganzen noch dort stehen, wo sie immer gestanden sind. "Der Gestaltungsspielraum auf kommunaler Ebene ist denkbar gering", sagt er.

Was bisher zu beobachten sei, sei eine "defensiv-offensive Sozialpolitik". Der Gemeindebau werde durchaus forciert, bei den Gebühren die Erhöhungen ausgesetzt. In der grünen Verkehrspolitik hingegen sei noch wenig zu sehen außer Renderings. Allerdings brauche man hier auch mehr Zeit. Eine neue Straßenbahnlinie lasse sich eben nicht von heute auf morgen bauen.

Und es gebe noch eine persönliche Ebene. Für eine "hart ideologische und konfrontative" Politik seien weder Bürgermeisterin Kahr noch Vizebürgermeisterin Judith Schwentner (Grüne) zu haben. Daher sei auch mehr Symbolpolitik und weniger Umsetzung zu beobachten. "Große Würfe sind noch nicht zu sehen", sagt Wassermann.

Und genau deshalb kommen bereits heftiger Gegenwind und Kritik aus dem Gemeinderat.

Mehr Mut gefordert

Der Neos-Fraktionsvorsitzende Philipp Pointner formulierte dieser Tage sogar einen "Handlungsaufruf" an die Stadtregierung, adressiert an die Vizebürgermeisterin. "Fortschrittsbremserin Schwentner hat Graz nach bald einem Jahr in der Stadtregierung trotz großer Ankündigungen keinen einzigen Schritt näher an die Verkehrswende geführt", kritisiert Pointner. Graz benötige seit Jahrzehnten ein umfassendes Verkehrskonzept und bekomme "immer bloß neue Ankündigungen und hübsche aufgezeichnete Fahrpläne" präsentiert. "Die Stadtregierung muss endlich den Mut aufbringen, dem Gemeinderat eine dringend notwendige Weichenstellung vorzulegen", verlangt der Neos-Politiker. (Walter Müller, 13.9.2022)