Im niederösterreichischen Rapottenstein dokumentiert man elektroakustische Nachrichten an heutige und zukünftige Hörer: der "Temple of Sound" als Begegnungsstätte.
Foto: Christian Tschinkel

Der Temple of Sound im niederösterreichischen Rapottenstein ist trotz seines Namens ganz von dieser Welt. Und doch öffnet sich darin ein Kosmos, den hier im westlichen Waldviertel niemand vermutet. Am Oberlauf des Kamp entstand über den Sommer das einzigartige künstlerische Projekt eines Archivs elektroakustischer Musik: 54 Kompositionen von 1956 bis zur Gegenwart, von Karlheinz Stockhausen über Dieter Kaufmann, einen heimischen Pionier der elektroakustischen Musik, bis hin zu zwei eigens für den Tempel komponierten Arbeiten von Oliver Grimm und Vinzenz Schwab.

Das akustische Material ist zum täglich wiederholten 24-stündigen Ablauf angeordnet. Eine Installation von 20 Lautsprechern in der renovierten Fabrikhalle eines Baustofferzeugers projiziert den Klang der bis zu zehnkanäligen Kompositionen in den Raum an der Schnittstelle zwischen Natur und den Natureingriffen industrieller Produktion. Zuhörende kommen, verweilen oder gehen. Der musikalische Dauerbetrieb, der die Bewegung des nahen Flusslaufs gleichsam aufnimmt, erreicht so nicht nur die Nerds einer gut vernetzten Elektroakustikszene, sondern auch viele glückhafte Zufallsbegegnungen.

Ohne Raumaufsicht oder Eintrittsgelder, nur eine Kamera übermittelt, wenn sich etwas bewegt, geben Initiator Günther Rabl und seine Mitstreiter ihrem Publikum einen einmaligen Vertrauensvorschuss. Der Temple of Sound schließt, bedingt durch die im Waldviertel früh hereinbrechende kalte Jahreszeit, am 30. September vorübergehend seine Pforten, um im späten Frühjahr wieder weiterzumachen.

Sound des technischen Zeitalters

Rabl, mehrfach ausgezeichneter Komponist und einflussreicher Lehrer einer jüngeren Generation in der elektroakustischen Musik, betreibt das Label canto crudo und veranstaltet mit der Electric Orpheus Academy im Waldviertel eine der raren Konzertreihen im Genre. Sein Ausstellungskonzept setzt die Zugangsschwelle niedrig an, aber nicht die der Wahrnehmung. Für die Programmierung unterwarfen sich Rabl und sein Beraterkreis ordnenden "Dogmen". Es müssen etwa Werke sein, die ohne weiteren Kontext als akustische Ereignisse rezipierbar sind oder mehr zum Ausdruck bringen als individuelle Befindlichkeiten. Sprache ist nur als musikalisches Element erlaubt, nicht als Inhalt.

Eine Installation von 20 Lautsprechern in der renovierten Fabrikhalle eines Baustofferzeugers projiziert den Klang der bis zu zehnkanäligen Kompositionen in den Raum an der Schnittstelle zwischen Natur und den Natureingriffen industrieller Produktion.
Foto: Christian Tschinkel

Der Temple of Sound ist Museum einer musikalischen Praxis, die den Anspruch erhebt, zeitgenössische Fragen auch mit zeitgenössischen Mitteln zu beantworten. Was ist der Sound des technischen Zeitalters oder der digitalisierten Lebenswelt? Es geht um Klangwelten jenseits handgefertigter Instrumente, deren Bauweisen sich über Jahrhunderte kaum verändert haben, um musikalische Strukturen, die komplexer sind als zwölf Halbtonschritte zwischen einer Frequenzverdoppelung. Ist bürgerliche Abendunterhaltung für sie noch die adäquate Form der Rezeption? Die älteste Arbeit, Forbidden Planet (1956) von Bebe und Louis Barron, etwa war als Filmmusik konzipiert, durfte aber im Abspann nicht "Musik" genannt werden, sondern nur "electronic tonalities".

Veränderung durch Technik

Elektroakustische Musik ist auch die Reflexion über die kulturellen Veränderungen durch Technik, über revolutionäre Umwälzungen der "Aufschreibesysteme", wie der Medientheoretiker Friedrich Kittler sie nannte. Der Buchdruck war die Startrampe in die Gutenberg-Galaxis. Das Tonband als Material, nicht nur als Dokumentationsmedium, und die Digitalisierung öffnen eine Klangwelt, die sich bislang nur in der Nische eines traditionsverhafteten Musikbetriebs entfaltet. Die Polemik gegen die "Kulturindustrie" des Philosophen Theodor W. Adorno hat an Trennschärfe wenig eingebüßt. In den ersten Jahren übten die Rundfunkanstalten mit ihrer technischen Apparatur großen Einfluss aus.

Stockhausens Telemusik (1966) etwa ist noch eine aufwendige Komposition für Japans Rundfunk, die in fünf Spuren Musikkulturen aus aller Welt bearbeitet hat. Später ereilte elektroakustische Musik jenes Schicksal, das Kunst in der Spätmoderne häufig traf. In ihrer Zeit wenig verstanden, wird sie, so Adorno, zur Flaschenpost an Rezipienten: in einer ungewissen Zukunft. (Uwe Mattheiß, 14.9.2022)