"Animal Crossing" und das Ein-Mann-Indie-Wunderwerk "Stardew Valley" haben sich zu regelrechten Gaming-Hits entwickelt, bei denen man in einer virtuellen Welt Freundschaften mit digitalen Charakteren schließt und den eigenen Wohnort schrittweise verschönert. Disneys "Dreamlight Valley" schlägt in die gleiche Kerbe – nur dass man hier nicht mit irgendwelchen No-Name-Charakteren interagiert, sondern mit den bekannten – und mehr oder weniger nervigen – Figuren aus diversen Disney- und Pixar-Filmen.

Worum geht es in "Dreamlight Valley"?

Im Intro des Spiels haben wir vom öden Alltag in der Stadt genug, schmeißen unseren Job hin und fahren hinaus ins Land (ein Schelm, wer hier 1:1-Parallelen zu einem anderen Spiel des gleichen Genres sieht). In der nächsten Szene schlafen wir im Garten ein und finden uns sogleich in einer Traumwelt – dem titelgebenden "Dreamlight Valley" – wieder, wo wir unserem ersten Disney-Charakter begegnen: dem Zauberer Merlin.

Merlin erzählt uns, dass das Tal einst von einem gutmütigen Herrscher regiert wurde, der jedoch verschwunden ist. Mit seinem Verschwinden wurde es finster im Tal, fiese Dornenranken wucherten aus dem Boden, Bewohner verschwanden, und die Verbliebenen vergaßen immer mehr, worum es in diesem Tal eigentlich geht.

Das sollen wir ändern – und um dies zu erreichen, haben wir nicht bloß die magische Fähigkeit, die Ranken durch Drücken der A-Taste auf dem Controller verschwinden zu lassen, wir bekommen auch magische, royale Gegenstände an die Hand: eine Spitzaxt, eine Schaufel, eine Gießkanne, eine Angel und eine Kamera, mit der wir Selfies in der quietschig-freundlichen Disney-Welt machen können.

Aufgaben gegen den Alltagsstress

Die Gegenstände müssen wir zuerst auf dem Hauptplatz finden, die Spitzaxt muss aus einem Stein gezogen werden – wenig überraschend eine Hommage an einen klassischen Disneyfilm, auf welche Merlin auch sehr deutlich aufmerksam macht. Aufgaben dieser Art – "Besorge Gegenstand X oder ernte fünf Mal Y, um den nächsten Abschnitt freizuschalten" – gibt es im Lauf des Spiels immer wieder, im Detail wird dies weiter unten beschrieben.

In Dreamlight Valley gibt es immer etwas zu tun.
Foto: Disney

Ein anderes Element des Spiels ist die "Life Simulation": Wer im echten Leben noch nicht genug zu tun hat, der kann in diesem Spiel Gemüse pflanzen und ernten sowie diverse andere Aufgaben erledigen, um Punkte – das "Dreamlight" – zu sammeln, mit denen neue Segmente des Spiels freigeschaltet werden. Ebenso kann das eigene Haus renoviert und ausgebaut werden, wofür wiederum eine virtuelle Währung im Spiel zum Einsatz kommt.

Ist "Dreamlight Valley" für Kinder geeignet?

"Disney Dreamlight Valley" ist Pegi-3, also theoretisch für Kinder ab drei Jahren geeignet. Es gibt aber mehrere Gründe, das Spiel nicht gemeinsam mit kleinen Kindern zu spielen beziehungsweise sie nicht alleine in das magische Tal zu lassen. Der erste ist ein rein technischer: Das Spiel ist zumindest in der deutschen Fassung nicht komplett synchronisiert, die Dialoge müssen also gelesen werden – wovon Kinder unterhalb des Volksschulalters kognitiv ebenso überfordert sein dürften wie von der Steuerung im dreidimensionalen Raum und den zahlreichen Aufgaben, die es zu erledigen gilt.

Der zweite Kritikpunkt betrifft leider – wieder einmal – das Thema Monetarisierung. Denn "Disney Dreamlight Valley" befindet sich noch im "Early Accesss": Es ist also noch nicht fertig, kann aber – etwa von Abonnenten des Xbox Game Pass – bereits gespielt werden. Die fertige Version soll 2023 erscheinen und free-to-play, also in der Anschaffung gratis, sein. Das lässt bei Szenekennern per se schon die Alarmglocken läuten, und es wirkt nach aktuellem Stand auch so, als würden sich die Befürchtungen bestätigen.

Disney Dreamlight Valley

Denn laut einem FAQ wird das Spiel "kaufbare Erweiterungsoptionen" haben, um "dein Spiel zu verbessern". Im besten Fall bedeutet dies, dass neue Welten gegen Aufpreis freigeschaltet werden, im schlimmsten Fall werden hier Mikrotransaktionen integriert: hier ein Euro für ein neues Kleid, dort ein paar Euro, um sich ein neues Sofa ins virtuelle Wohnzimmer zu stellen. Die Basis dafür wäre durch die virtuelle Ingame-Währung jedenfalls ebenso gelegt wie durch die Tatsache, dass man im Lauf des Spiels kleine Säckchen findet, die neue Gegenstände enthalten – vergleichbar mit jenen Loot-Boxen, wie sie schon in anderen Spielen für Kritik sorgten. Und die unter anderem in Belgien verboten sind.

Nota bene: Wir wissen an dieser Stelle nicht, wie Disney das finale Produkt tatsächlich monetarisieren wird. Jedoch wird schon im jetzigen Stadium auf Konzepte wie Ingame-Währung und Überraschungssackerl gesetzt – und das legt die mentale Grundlage für ein System, in das man die eigenen Kinder nicht unbeaufsichtigt loslassen will.

Charaktergenerierung und -entwicklung

Da dieser Punkt nun geklärt ist, widmen wir uns einem sehr erwachsenen Thema: der Erstellung und Weiterentwicklung des Alter Ego in einer auf Eskapismus angelegten Welt. Und schon bei der Charaktergenerierung wird klar, dass "Dreamlight Valley" quasi die Antithese zu "Elden Ring" ist, denn hier sind alle gut und schön und lieb zueinander, und niemand will dem anderen etwas antun. Oder, anders gesagt: Egal wie sehr ich mich um Verruchtheit bemühe, zu Beginn des Spiels schaut mein Avatar auf jeden Fall aus wie ein dümmlich grinsender WU-Student.

Das ändert sich immerhin im Lauf des Spiels, indem diverse Kleidungsstücke eingesammelt und auch gleich anprobiert werden können. So trug ich zu Beginn noch Jeans und ein weißes Hemd, während ich später mit hautengem Shirt, Sonnenbrille und Hot Pants durch die Welt stolzierte. Bei Königin Ursula habe ich auch ein Kleid gefunden, das ich theoretisch hätte anziehen können.

Mein Alter Ego. Mit seiner magischen Gießkanne.
Foto: Screenshot/Disney

Allerdings scheint es bei den optischen Änderungen zu bleiben, das eigene Verhalten gegenüber den Disney-Figuren hat keinen Einfluss auf den eigenen Charakter. So sind die Nachbarn – ja, zu Beginn sind sie allesamt männlich – grundsätzlich wohlgesinnt und nicht zu verärgern. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe es versucht: Als Goofy mich als einen tollen Freund bezeichnete, fragte ich schnippisch, welchen Vorteil ich selbst denn davon hätte – dem treudoofen Trottel war es egal, er ging gleich wieder mit mir angeln.

Goofy ist ein Trottel.
Foto: Screenshot/Disney

An einer anderen Stelle des Spiels muss man die Nachbarn mit Geschenken überhäufen, um engere Freundschaften zu schließen. "Schlechte Geschenke" gibt es dabei nicht: Die Deppen aus dem Dreamlight Valley freuen sich sogar, wenn man ihnen ein schmutziges Stück Kohle in die Hand drückt.

Nerviger Micky, gieriger Dagobert

Und ebendiese Typen – am Anfang sind es Merlin, Mickey, Onkel Dagobert und Goofy – spazieren die ganze Zeit in der Nachbarschaft herum. Dabei sprechen sie auch und gehen einem teilweise gehörig auf die Nerven. Allen voran Micky, den ich mit seiner konsequent positiven Art noch nie ausstehen konnte: Während ich gerade meinen Garten bearbeite, kommt dieser Typ vorbei und hinterlässt ungefragt Kommentare wie "Was für ein toller Tag" und "Oh, Junge, ich liebe meine Nachbarn!". Bitte, muss das sein? Ich hab hier doch zu tun! Manchmal lassen auch zwei Charaktere ungeplant gleichzeitig ihre One-Liner ab, ohne miteinander zu interagieren – ein Fehler, den Disney noch ausbügeln sollte.

Manche Charaktere erfüllen dabei besondere Rollen. So erklärt Merlin vor allem zu Beginn die Kernelemente des Spiels und führt durch die Handlung, in Goofys Laden kann man Waren verkaufen. Onkel Dagobert wiederum tritt in die Fußstapfen Richard Lugners, wird zum Bauunternehmer und hilft – gegen das entsprechende virtuelle Geld – bei der Renovierung und Einrichtung des eigenen Hauses. Das Wortspiel in einem englischen Quest-Titel – "Giving Cents to Things" – ging dabei in der deutschen Übersetzung ("Den Dingen Sinn geben") leider verloren.

Quests und wiederkehrende Arbeiten

Die Macher von "Dreamlight Valley" werben mit einer friedlichen Welt, in der es immer etwas zu tun gibt. Und tatsächlich: Die Freundschaften mit den einzelnen Charakteren werden ausgebaut, indem man mit ihnen spricht, ihnen Geschenke – gerne eben auch ein Stück Kohle – macht und "mit ihnen abhängt" (ja, das ist das Original-Wording aus dem Spiel, Boomer). Das Haus will renoviert werden. Selfies werden geschossen. Edelsteine werden mit der Spitzhacke abgebaut. Und vor allem muss Gemüse angebaut und geerntet werden, damit man immer etwas zu essen hat. Auch kochen kann man.

Die eigene Immobilie wird in dem Spiel stets mit neuen Möbelstücken ausgestattet.
Foto: Disney

Ergänzend dazu gibt es die Quests – also diverse Aufgaben –, mit denen man die Handlung vorantreibt und den eigenen Freunden hilft. Diese sind nicht selten etwas eintönig gestaltet: Gegenstände müssen besorgt, Fische gefangen oder Fotos gemacht werden. Oder aber es handelt sich um Rätsel, bei denen ich teilweise schon in die Komplettlösung geschaut habe, weil sie verwirrend gestaltet waren. Beispiel gefällig? Einmal muss eine "gold-braune Pflanze" gesät werden, was in meiner Auffassung ein Mais gewesen wäre – richtig wäre aber Weizen gewesen, worauf ich selber nicht gekommen wäre.

In Hot Pants bei Anna und Elsa

Abseits des Tals ist es schließlich noch möglich, in fremde Welten zu reisen, um von dort die Charaktere ins Dorf zu holen – sofern man zuvor ausreichend Dreamlight-Punkte erarbeitet hat. Zu Beginn stehen drei Welten zur Verfügung, in weiterer Folge kann man auch in jene aus "Frozen" reisen. Und bei aller Kritik, die man dem Spiel sonst entgegenbringen kann: Die dortigen Szenen haben mich ein paarmal laut auflachen lassen.

Details sollen aus Spoiler-Gründen an dieser Stelle nicht verraten werden – nur so viel: Wer mit einer magischen Gießkanne in der tristen Welt der Eiskönigin auftaucht, der sorgt dort ordentlich für Verwirrung. Mal ganz abgesehen davon, dass ich in meinen Hot Pants zwischen den beiden royalen Gestalten eine recht schräge Figur abgegeben habe.

Name this band.
Foto: Screenshot/Disney

Es ist davon auszugehen, dass Disney in Zukunft noch weitere Welten und Charaktere zum Spiel hinzufügen wird. Und hier liegt wohl auch der Reiz, den das Spiel auf das Publikum ausüben wird: Das Eintauchen in Umgebungen, die man aus Filmen kennt, und das Interagieren mit den eigenen Lieblingscharakteren. Hier liegt viel Potenzial, auch in der Interaktion zwischen den einzelnen Franchises – ich kann es kaum erwarten, Wall-E und Elsa endlich einander vorzustellen.

Fazit: Viel Licht und viel Schatten

Ich war anfangs äußerst skeptisch, ob mir das Spiel überhaupt Spaß machen würde, wurde dann aber an vielen Stellen eines Besseren belehrt: Die Quests sind zwar teilweise stumpf und repetitiv, sorgen dafür aber auch für eine rasche Befriedigung – das Gleiche gilt für das Einrichten der eigenen Immobilie und das Pflegen des Gartens. Schön wäre es, wenn es im echten Leben auch immer so einfach wäre. Die Interaktion mit den Charakteren nervt manchmal gewaltig, ist an anderer Stelle äußerst amüsant – hier wird wohl jede Spielerin und jeder Spieler eigene Lieblinge haben.

Bauchschmerzen bereitet aber definitiv der Aspekt der Monetarisierung. Es ist davon auszugehen, dass auch Disney nicht aus reiner Nächstenliebe ein Spiel verschenkt, ohne damit Geld verdienen zu wollen. Somit bleibt abzuwarten, wie penetrant im fertigen Spiel dann der Geldbeutel aufgehalten wird – und wie viele Kinder mit ihrem Taschengeld auch dazu beitragen werden, den Geldspeicher des Mäuse-Imperiums zu füllen. (Stefan Mey, 13.9.2022)