"Circus Electrique" ist für Windows (Steam, Epic Store), Xbox One / Series S/X, Playstation 4/5 und die Nintendo Switch erschienen.

Screenshot: Circus Electrique
Screenshot: Circus Electrique
Screenshot: Circus Electrique
Screenshot: Circus Electrique
Screenshot: Circus Electrique
Screenshot: Circus Electrique
Screenshot: Circus Electrique

Es ist der Teufel los im viktorianischen London anno 1899. Der Grund sind allerdings nicht royale Schicksalsschläge, sondern dass plötzlich einfache Leute mir nix, dir nix zu blutrünstigen Killern werden. Das passiert just in der Zeit, als die Journalistin Amelia entsandt wird, um über das Comeback des nach einem dramatischen Unfall lange Zeit geschlossenen Circus Electrique zu berichten. Dort trifft sie auf ihren Onkel Randy, zu dem sie ein zerrüttetes Verhältnis pflegt. Seine Aktivitäten stehen zudem in verdächtiger Korrelation zum Beginn der Probleme.

Eine unspektakuläre Geschichte wird damit doch zu einer spannenden Story – und zum Anfang der Handlung des Indie-Games "Circus Electrique" (Windows, Xbox, Playstation, Switch). Hier schlüpft man in die Rolle beider Protagonisten. Während Amelia sich aufmacht, dem Grauen auf die Schliche zu kommen und dabei auch Licht ins Dunkel der Vergangenheit ihres Onkels zu bringen, versucht dieser, den einst weithin bekannten Zirkus wieder zu altem Ruhm zu führen.

Circus Electrique

Zirkus-Crew auf Abwegen

Das Game der Zen Studios besteht dabei aus Zirkusmanagement, Logikrätseln und Taktikkämpfen mit Rollenspielelementen. Für die Manegencrew rekrutiert man Akrobaten unterschiedlichster Profession – von rohrverbiegenden Strongmen über Feuerspucker, Illusionisten bis hin zu Seiltänzern und Roboterbären. Die sollen nicht nur in ihren Shows das Publikum begeistern, sondern begleiten auch Amelia bei der Erkundung der britischen Hauptstadt in ihrer Steampunk-Ausführung.

Dementsprechend muss beide Aspekte beachten, wer neue Mitglieder für das Performer-Ensemble rekrutieren will. Jeder Charakter bringt nicht nur – auch innerhalb der eigenen Klasse – ein individuelles Set an Skills und Skillwerten mit, sondern bevorzugt auch bestimmte Teile in einer Show und andere Klassen bei der Zusammenarbeit wie auch Positionen im Kampf.

Bühnenshow und Rundenkämpfe

Bei der Planung der Aufführungen sollte man diese Vorlieben idealerweise beachten, denn am Ende hängt davon die Reaktion des Publikums ab – und damit auch die Reputation, ebenso wie Einnahmen und Ressourcen, die wichtig für Amelias Abenteuer sind. Je nachdem, wie harmonisch die Aufstellung ist und wie gut sie zur jeweiligen Show passt, desto mehr Sterne kann man auf drei Kategorien verteilen. Mit diesen nimmt man ebenfalls Einfluss darauf, wie viel Publikum anwesend ist, wie viele Materialspenden dieses mitbringt und wie viel Erfahrung die Akrobaten sammeln. Dabei gilt: Jede Showfrau und jeder Showmann kann entweder bei der Aufführung dabei sein, mit Amelia abenteuern, sich im Rastzelt erholen oder im Übungszelt zusätzliche Erfahrung sammeln.

Wie die Darbietung am nächsten Tag in der Zeitung bewertet wird, hängt weiters auch damit zusammen, wie stark die Hingabe ("devotion") der Akteure ist. Aber diese spielt auch in Kämpfen eine Rolle, denn es ist neben den Lebenspunkten der zweite Wert, der über Gedeih oder Verderb entscheidet. Sinkt der Lebensbalken auf null, so stirbt ein Charakter und scheidet permanent aus der Crew aus. Erschöpft sich die Hingabe, so flieht er aus dem Kampf. Gleiches gilt auch für die Gegner, von denen manche aufgrund ihres großen Lebenspunkte-Reservoirs besser in die Flucht getrieben denn bezwungen werden. Die vorhandene Hingabe beeinflusst zudem auch, wie effektiv und treffsicher eigene Angriffe sind.

Die "Stereowatsche" in Aktion.
Screenshot: Circus Electrique

Schlachten werden im Format "vier gegen vier" geführt und erinnern in ihrem Rundenablauf an JRPGs. Je nach Initiativwert agieren Freund und Feind in Reihenfolge. Die verschiedenen Klassen decken dabei relativ typische Archetypen ab, von widerstandsfähigen Nahkämpfern über Artistinnen mit Vorlieben für Flächenschaden bis hin zu Rollen wie Fakir oder Clown, die vergleichsweise wenig Schaden austeilen, aber Verbündete heilen und stärken können.

Neben normalem Kampfschaden gibt es außerdem auch noch elementaren Schaden, etwa durch elektrische Energie oder Feuer und dazu passende Immunitäten und Schwächen. Im frühen Verlauf des Spieles schaltet man zudem von Amelia selbst durchgeführte Spezialaktionen frei. Von diesen lassen sich mit der Zeit immer mehr entdecken und aufwerten.

Wertvolle Artisten

Auch mit Gegenständen wie Heiltränken kann man das Glück auf seine Seite zwingen. Diese erbeutet man bei Ausflügen auf der Karte oder kann sie mittels gefundener und gespendeter Ressourcen auch herstellen. Und dann lässt sich auch jeder Charakter auch noch mit zwei Gadgets bestücken, die ihm passive Boni verschaffen – aber verloren gehen, falls er im Kampf umkommen sollte.

Die Crewmitglieder lernen von Auftritten, Kämpfen und im Übungszelt hinzu und steigen im Level auf. Die meisten Charakterwerte heben sich dabei automatisch, jene Zusatzpunkte für die Performance-relevanten Werte kann man aber selbst verteilen. Mit einem Stufenaufstieg lassen sich – unter dem Einsatz von Ressourcen – auch die einzelnen Fähigkeiten steigern. Dementsprechend vorsichtig sollte man den Umgang mit den eigenen Artisten pflegen und sie im Kampf auch einmal zur Flucht beordern, wenn ihnen das Ableben droht.

Atmosphärischer Leckerbissen

Zwischen Darbietungen und Kämpfen trifft man auch immer wieder kleinere Entscheidungen oder spielt wettbasierte Minispiele bei Zufallsbegegnungen. Die Story selbst wird in gut vertonten Zwischensequenzen erzählt, in der täglichen Zeitungsausgabe findet sich immer wieder Hintergründiges zur Spielwelt.

Gerade in Sachen Akustik ist "Circus Electrique" wirklich gelungen, einzig bei der Hintergrundmusik wäre etwas mehr Auswahl schön. An sich passen die Stücke aber hervorragend in die Atmosphäre, und die Soundeffekte in den Kämpfen können sich ebenso hören lassen. Auch beim Grafikstil und den Animationen bleibt das Game souverän seinem schönen Grafikstil treu. Wenn einer der eigenen "Strongmen" mit einer Stereowatsche in Bud-Spencer-Manier einen Gegner vom Spielfeld knallt, spürt man vor dem Bildschirm förmlich die Wucht.

Screenshot: Circus Electrique

Empfehlung für Herbstabende

Das Wichtigste ist freilich das Gameplay, und auch hier gefällt der Zirkus, auch wenn die Balance zwischen den Kampfbegegnungen ausbaufähig ist. Während etwa manche "normalen" Kämpfe im mittleren Schwierigkeitsgrad schwer zu bewältigen sind, macht der erste Zwischengegner wenige Probleme. Der zweite Boss hingegen, für den es auch keine Kampfvorschau gibt, vermag hingegen eine bis dahin souveräne Truppe komplett zu zerlegen, ohne selbst signifikanten Schaden zu nehmen.

Das ist mit etwas Elan aber lösbar. Eine freie Speicherfunktion stellt zudem sicher, dass man es bei allzu bösen Überraschungen einfach erneut versuchen kann. Der Mix aus leichtgewichtiger Wirtschaftssimulation, Rollenspiel und taktischen Kämpfen in "klassischer" Steampunk-Atmosphäre überzeugt. Wer gemütliches Spielvergnügen mit knackigen Herausforderungen und liebevoller Erzählung mag, findet hier viele Stunden gute Unterhaltung für verregnete Abende im Frühherbst. (Georg Pichler, 17.9.22)