Die Schwestern Lora (Ralitsa Stoyanova) und Sonja (Maria Bakalova) zwischen Streit und Versöhnung.

Foto: Viennale

Es gibt eine Szene in Women Do Cry, in der ein junger, schwuler Mann, der auf einer Demonstration gegen häusliche Gewalt protestiert, zu Boden gestoßen wird. Ein lesbisches Paar eilt ihm zur Hilfe, was den Aggressor nur noch mehr aufhetzt: "Nicht einmal ficken kann man euch", schreit er, und dann: "Gender buh, Gender buh." Die Stumpfsinnigkeit des Protests gegen die Istanbul-Konvention, das "Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt", tritt hier offen zutage. Im echten Leben siegte der Stumpfsinn: 2018 scheiterte die Konvention in Bulgarien am Widerstand konservativ-orthodoxer Kräfte.

Schwesterndrama

Ebendieses politische Klima bildet den Hintergrund von Women Do Cry, dem zweiten Spielfilm des bulgarischen Duos Mina Mileva und Vesela Kazakova. Die Geschichte ist von Kazakovas Familie inspiriert, die im Film selbst mitspielt. Bis auf den durch einen Schlaganfall beeinträchtigten Patriarchen besteht die Familie nur aus Frauen: Da sind zwei Schwestern um die zwanzig, die sich wie die Furien streiten können. Da ist ihre sich mit Astrologie tröstende Mutter, und da sind ihre Tanten, Zwillinge, die sich entzweit haben, weil die eine, Ärztin von Beruf, sich von ihrem abwesenden Mann zur Hausfrau machen lässt, was die andere ärgert, denn Emanzipation liegt ihr am Herzen.

Maria Bakalova aus "Borat 2"

Women Do Cry positioniert sich klar auf der Seite der Aktivistinnen, vergisst dabei aber nicht die Filmerzählung, die geprägt ist von dramatischen Ausbrüchen und liebevollen Versöhnungsgesten. Zum Drama neigt Sonja, gespielt von Maria Bakalova, die in Borat 2 ihren internationalen Durchbruch als Lockvogel Rudy Giulianis hatte. Sonja hat HIV, was ihre ohnehin fragile Psyche auf die Probe stellt und ihre Nächsten mit den alten Vorurteilen über Aids konfrontiert. Dennoch stützen sie Sonja, als sie sich aufs Land zurückzieht, um sich mit Religion zu heilen. Doch trotz ihres Glaubens stößt sie auf Widerstände: Eine Frau darf die Ikone des religiösen Rituals schlicht nicht tragen.

Trauma häuslicher Gewalt

Darin erinnert Women Do Cry an den nordmazedonischen Film God exists, her Name is Petrunya von Teona Strugar Mitevska, der ebenso vehement die orthodox-christlichen Verkrustungen eines südlichen Balkanlandes angriff. Women Do Cry steht dem in der Dringlichkeit in nichts nach, doch der Ton ist sanfter. Zurückhaltend beobachtet die Analogfilmkamera das psychologische Zusammenspiel der Schwestern. Auch Katzen und Störche sind auffällig oft im Bild – abgeschossen, verarztet, gekuschelt und geschminkt. "Gender buh" ist dann auch nur eine Randnotiz in dem liebevollen und lebhaften Film, dem es eigentlich um das Kernanliegen der Istanbul-Konvention geht: um das Trauma, das häusliche Gewalt auslöst, und die Frage, wie man damit in der eigenen Familie umgeht. (Valerie Dirk, 15.9.2022)