Europas Energiekonzerne müssen die Not der Bürgerinnen und Bürger lindern helfen, sagt Brüssel.

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Geht es nach der EU-Kommission, sollen Europas Energiekonzerne einen beträchtlichen Teil ihrer Zufallsgewinne, wie es die Kommission nennt, bei Strom, Gas und Treibstoffen im laufenden Jahr abliefern. Das Geld soll von den Finanzministern der 27 Mitgliedsstaaten einkassiert und für soziale Maßnahmen für jene verwendet werden, die unter der Preisexplosion am meisten leiden.

Präsidentin Ursula von der Leyen hat bei ihrer Rede im Europäischen Parlament die rasche Umsetzung dieser "Notmaßnahmen" vor allem im Strombereich angekündigt: "Unser Vorschlag wird mehr als 140 Milliarden Euro für die Mitgliedsstaaten bringen, um die Not unmittelbar abzufedern", sagte sie. Ihre Behörde wird noch diese Woche entsprechende Gesetzesvorschläge einbringen, über die die EU-Energieminister Ende September beraten werden.

Straffer Zeitplan

Hält der gewünschte Zeitplan, würden die Maßnahmen also noch dieses Jahr wirksam werden. Umsetzen müssen sie jedoch die Mitgliedsstaaten, denn Steuerpolitik ist in der EU eine Angelegenheit der Nationalstaaten – und es wird dazu eine Reihe offener Fragen geben.

Sehr konkret wurde von der Leyen, was die Abgaben von Stromproduzenten betrifft. Mit Ausnahme derjenigen, die Strom mithilfe von Gas erzeugen, sollen grundsätzlich alle Stromerzeuger zur Kasse gebeten werden. Am meisten wird es jene treffen, die Energie mit Sonne, Wasserkraft und Wind erzeugen, aber auch Kernkraftwerksbetreiber und den Kohlesektor. Sie fahren im Moment die größten Profite durch die explosionsartig gestiegenen Strompreise ein.

Der Plan ist, dass die Firmen im Großhandel für eine Megawattstunde Strom nicht mehr als 180 Euro einnehmen dürfen. Alles, was darüber hinausgeht, muss abgegeben werden, um Entlastungsmaßnahmen zu finanzieren. Zum Vergleich: Ende August waren die Stromhandelspreise im Tagesgeschäft auf mehr als 1.000 Euro pro MWh gestiegen, was unter anderem die Krise der Wien Energie ausgelöst hat.

Großflächige Maßnahme

Eine zweite Maßnahme der Kommission sieht die generelle Abschöpfung von Übergewinnen im gesamten Energiesektor vor, bei Treibstoffen, Kerosin, Heizöl bis hin zum Gasgeschäft. Den Konzernen soll eine "Krisenabgabe" abverlangt werden, ein Solidaritätsabschlag für die Gesellschaft.

Demnach sollen sie für Gewinne im Jahr 2022, die 20 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen Jahre liegen, 33 Prozent Soli zahlen. Wie das genau umgesetzt werden kann – etwa wie man Ausweichbewegungen und Abschreibungen berücksichtigt –, muss noch geklärt werden.

Neben diesem Abgabensystem fordert die Kommission wie berichtet von den Staaten umfangreiche Maßnahmen zum Stromsparen ein. Insbesondere in Spitzenzeiten des Stromverbrauchs soll die Industrie ihre Produktion drosseln, zum Beispiel indem sie sie in die Nachtstunden verlegt.

Einen Preisdeckel auf russisches Gas dürfte es vorläufig nicht geben. Von der Leyen kündigte jedoch an, mit Produzenten in Norwegen, das anstelle von Russland große Mengen liefert, Gespräche über "repräsentative Richtwerte" für Gas im Großhandel zu besprechen.

Überdies soll dafür gesorgt werden, dass Konzerne an den Strombörsen nicht allzu rasch in Liquiditätsprobleme kommen können, wenn Preise stark schwanken. (Thomas Mayer aus Brüssel, 14.9.2022)