Armenien wirft Aserbaidschan Angriffe mit schweren Waffen wie auch während des letzten Krieges im Jahr 2020 vor.

Foto: Karen MINASYAN / AFP

Im Schatten des Ukraine-Konflikts droht im Südkaukasus ein eingefrorener Konflikt zum heißen Krieg zu werden. Seit Montag finden schwere Kämpfe zwischen Aserbaidschan und Armenien statt. Grund dafür ist der auf Eis gelegte, aber nie gelöste Streit um die Region Bergkarabach.

Frage: Was passiert derzeit in Armenien?

Antwort: Am späten Montagabend gaben sowohl Aserbaidschan als auch Armenien bekannt, dass entlang der Grenze schwere Kämpfe zwischen den Armeen beider Länder ausgebrochen waren. Das armenische Verteidigungsministerium vermeldete aserbaidschanische Angriffe mit schweren Waffen und Drohnen auf armenische Stellungen in Grenznähe. Aserbaidschan hingegen sprach von Provokationen durch das armenische Militär, bei denen 50 Soldaten ums Leben gekommen seien. Armenien beklagte 49 Gefallene. Seitdem ließ die Intensität der Kampfhandlungen laut der armenischen Seite nach, die Gefechte dauern aber weiter an.

Frage: Worum geht es in der Auseinandersetzung?

Antwort: Auch wenn die Kämpfe sich diesmal anderswo abspielen: Im Zentrum des Konfliktes zwischen Armenien und Aserbaidschan steht die Region Bergkarabach. Bereits nach den vorübergehenden Unabhängigkeitserklärungen Armeniens und Aserbaidschans im Jahr 1918 gab es Konflikte um die heute größtenteils armenisch besiedelte Enklave auf aserbaidschanischem Staatsgebiet. Bergkarabach wurde damals Teil Aserbaidschans. Das blieb auch zur Zeit der Sowjetunion so, allerdings wurde der Region ab 1923 der Status eines autonomen Gebietes zuteil. Mit dem Ende der Sowjetunion flammte auch der Streit um Bergkarabach wieder auf. Von 1992 bis 1994 führten Armenien und Aserbaidschan einen Krieg um die Region, der je nach Schätzung bis zu 30.000 Todesopfer forderte und bis zu einer Million Menschen zur Flucht zwang. 1994 wurde ein Waffenstillstand geschlossen, der aber immer wieder verletzt wurde. Bergkarabach ist de facto autonom, führt Wahlen durch und verfügt über eigene Streitkräfte, völkerrechtlich wird das Gebiet allerdings Aserbaidschan zugeschlagen.

Frage: Was geschah seit 2020 im Konflikt in Bergkarabach?

Antwort: Entlang der Waffenstillstandslinie in Bergkarabach entbrannten im Juli 2020 erneut Gefechte. Zwar wurde recht schnell eine neuerliche Waffenruhe vereinbart, diese hielt allerdings nicht an. Letztlich mündete die Auseinandersetzung in einen 44 Tage andauernden Krieg, in dem mehr als 6000 Menschen starben. Aserbaidschan eroberte Gebiete im Umland Bergkarabachs, die Armenien besetzt und als Sicherheitszone deklariert hatte. Zwar sorgten russische Truppen als sogenannte Peacekeeper im Herbst 2020 für Ruhe, was auch von westlicher Seite als positiv wahrgenommen wurde, gleichzeitig verschaffte sich Moskau dadurch noch mehr Einfluss im Südkaukasus. Einen Friedensvertrag zwischen Eriwan und Baku gibt es bis heute nicht. Erst vor wenigen Wochen kam es in Bergkarabach zu einzelnen Gefechten zwischen aserbaidschanischen und armenischen Truppen.

Frage: Welche weiteren Länder sind involviert?

Antwort: Die beiden wichtigsten externen Akteure sind Russland und die Türkei. Letztere unterstützt offen den Anspruch Aserbaidschans auf Bergkarabach. Aserbaidschan bezieht laut Angaben des Deutschen Bundestages außerdem Kampfdrohnen aus der Türkei, die es im Krieg von 2020 einsetzte. Russlands Rolle ist ambivalenter. Auch Moskau liefert zwar Waffen an Aserbaidschan, unterhält gleichzeitig aber Militärbasen in Armenien und gilt gemeinhin als dessen "Schutzmacht". 2020 setzte der Kreml schließlich einen den Krieg einfrierenden Waffenstillstand durch und stationierte "Friedenstruppen" in Bergkarabach. Laut der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik verläuft in der Bergkarabach-Frage aber anders als in anderen Territorialstreits im postsowjetischen Raum keine Konfliktlinie zwischen Russland und dem "Westen".

Frage: Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?

Antwort: Die USA und Frankreich, aber auch Russland haben beide Länder zur Beruhigung aufgerufen. Am Dienstag erklärte das von Moskau angeführte Militärbündnis Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), eine Beobachtermission in die Region zu entsenden. Armenien, das anders als Aserbaidschan Mitglied der Gruppe ist, hat Moskau und die OVKS um militärischen Beistand gebeten – und damit gedroht, anderenfalls aus der Organisation auszutreten. Ministerpräsident Nikol Paschinjan hatte zuvor sowohl mit Russlands Präsident Wladimir Putin als auch mit EU-Ratspräsident Charles Michel telefoniert. Auf die Initiative Frankreichs hin wollte sich auch der UN-Sicherheitsrat in New York am Mittwoch mit dem Konflikt beschäftigen. Präsident Emmanuel Macron, dessen Land traditionell gute Beziehungen zu Armenien pflegt, hat beide Seiten zu einem Waffenstillstand aufgerufen. Gemeinsam mit den USA und Russland steht Frankreich der sogenannten Minsker Gruppe vor, die sich um Ausgleich zwischen den beiden verfeindeten früheren Sowjetrepubliken bemüht. Auch der Iran, der sowohl an Aserbaidschan als auch an Armenien grenzt, äußerte sich besorgt. (Thomas Fritz Maier, Florian Niederndorfer, 14.9.2022)